Alte Feinde und neue Verbündete III

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Nachdem Lloyd noch fünfmal alles auf den Kopf gestellt hatte, war er sich sicher, dass sein Medaillon fehlte. Und die einzige Person, die es haben könnte: Der Wächter. Nun konnte er nur hoffen, dass Tavaren es nicht geöffnet hatte.

Lloyd hüpfte in seine Stiefel und warf sich seinen Umhang über die Schultern. Er atmete tief durch und zog sich die Kapuze über den Kopf, ehe er sich wieder auf das Schlachtfeld wagte.

Der Abend war bereits herangebrochen und das Treiben in der Stadt neigte sich langsam dem Ende entgegen. Auf den Straßen waren nur noch wenige Menschen unterwegs, sodass er  nicht mehr in der Menge untertauchen konnte.

Aber wenn er Glück hatte, konnte er Tavaren einfach finden, ihm das Amulett abnehmen und wieder verschwinden, ehe der Wächter ihm die Wachen auf den Hals hetzen konnte. Er öffnete seinen Mund zu einem lautlosen Seufzen, denn er wusste, dass dies nur ein Wunschgedanke war. ‚Glück' war für ihn ein Fremdwort.

Doch mit diesem Gedanken fiel ihm das Ereignis in dem Verlies wieder ein. Wer oder was auch immer ihn dort gerettet hatte. In seiner Erinnerung blieb nur der violette Stoff und dieses merkwürdige Rasseln ähnlich wie bei Ketten.

Er schüttelte seinen Kopf. Er durfte nicht darüber nachdenken, musste seinen Kopf davon freihalten, damit ihn kein Mensch überraschen konnte.

Es dauerte nicht lange, da hatte er Tavaren gefunden. Entgegen seinen Erwartungen befand sich der Wächter in der Unterstadt. Gedankenverloren warf er einen silbernen Gegenstand in die Luft und fing ihn wieder auf.

Lloyd knirschte mit den Zähnen und ging auf ihn zu. „Hört auf es zu werfen", sagte er.

Tavaren war so in Gedanken versunken, dass er ihn erst jetzt bemerkte. Er zuckte leicht zusammen, aber als er sah, wer sich zu ihm gesellt hatte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Stumm, nur mit einer Handbewegung deutete er dem Elfen an, ihm zu folgen.

Lloyds Blick verdunkelte sich. Ihm gefiel das ganz und gar nicht, aber er brauchte das Medaillon zurück. Und so folgte er Tavaren in einigen Metern Abstand in eine Seitengasse.

Er prüfte, ob sich Wachen dort oder auf den Dächern versteckten, aber er konnte niemanden sehen. Außer dem Wächter, der sich gegen eine Wand gelehnt hatte und nun wieder begann, das Medaillon in die Höhe zu werfen.

„Hört auf, es zu werfen", knurrte Lloyd noch einmal und betrat die Gasse.

„Ist es Euch etwa wichtig?", fragte Tavaren scheinheilig, aber er ließ das Amulett tatsächlich in seiner Hand landen und in seiner Tasche verschwinden. Nicht, weil er dem Elfen diesen Gefallen tun wollte, sondern damit dieser es nicht aus der Luft fischen konnte.

„Gebt mir das Medaillon." Lloyd ging weiter auf ihn zu.

„Holt es Euch." Tavaren hatte diese Worte kaum ausgesprochen, da sah er auch schon den Elfen auf sich zu schnellen. Er konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen. Die Faust traf den nackten Stein. Mit einem Knirschen zersplitterte er und als Lloyd seine Hand von der Mauer nahm, blieb dort nur ein klaffendes Loch.

„Whoa." Beruhigend hob Tavaren die Hände. „Ihr müsst nicht gleich so angriffslustig sein."

Zähnefletschend wandte sich Lloyd zu ihm. In seinen Augen sprühten Funken, die das Grau fast rötlich schimmern ließen und die Erde unter seinen Füßen ansengten, sobald sie den Boden trafen.

Keinen Wimpernschlag später stürzte er sich erneut auf Tavaren, aber wieder konnte er ausweichen. Lloyd nutzte keine Strategie. Blind in seinem Zorn setzte er dem Wächter nach.

Damit der nächste Schlag nicht treffen konnte, sprang Tavaren einen Schritt zurück.

„Beruhigt Euch. Ich will Euch nicht weh—" Weiter kam er nicht. Lloyds Faust traf ihn am Kopf. Die Wucht schleuderte ihn einige Meter weiter. Ihm gelang es nicht, den Fall mit seinen Armen abzufangen und er stürzte. Für einige Augenblicke konnte er Sterne sehen.

Er schüttelte seinen Kopf. Ein schmerzhaftes Pochen zog sich durch seine linke Gesichtshälfte. Er wischte sich mit einer Hand Blut von der Lippe.

Ehe er sich aufrichten konnte, hatte Lloyd sich über ihn gebeugt und heftete ihn an seinen Handgelenken am Boden fest.

„So fühlt es sich also an, unten zu liegen." In Tavarens Mund sammelte sich Blut. „Daran könnte ich mich glatt gewöh—"

„Seid still!", wies der Elf ihn zurecht.

„So dominant hatte ich Euch gar nicht eingeschätzt."

Er sah, wie Lloyds Kiefer mahlte. Die Funken in den grauen Augen entzündeten sich wieder, sodass Tavaren Angst bekam, von ihnen verbrannt zu werden.

„Wo ist es?" fragte Lloyd, ohne auf ihn einzugehen

„Sucht es doch." Tavaren spie ihm einen Mundvoll Blut ins Gesicht.

Instinktiv ließ Lloyd dessen Handgelenke los, um sich zu schützen. Diese Chance nutzte Tavaren. Er schmetterte den Elfen mit einem Schlag von sich. Ein lautes Krachen ertönte, als dessen Kopf gegen die Mauer knallte.

Dann Stille.

Er lag regungslos am Boden. Bewegte nicht mal einen Finger.

Tavaren rappelte sich auf. Sein Blick fiel auf den Elfen.

„Lloyd?", fragte er.

Weder antwortete der Angesprochene, noch rührte er sich.

„Lloyd?" Tavaren eilte zu ihm und kniete sich neben ihm zu Boden. So fest hatte er doch gar nicht zugeschlagen.

Er griff nach dessen Schulter und drehte ihn auf den Rücken. Blut rann an der Stirn herab über die weiße Haut in sein Gesicht.

„Hey!", sprach Tavaren ihn noch einmal an, aber welche Reaktion er auch immer erwartete, er bekam keine.

Lloyds Augen waren geschlossen. Der typisch elfische Glanz schimmerte auch unter dem Staub und dem Blut und gab ihm eine fast unmenschliche Schönheit.

Tavaren beugte sich über ihn, um ihn besser betrachten zu können, und er strich eine Strähne des weißen Haares aus dem Gesicht. Die lange Reise, die Lloyd hinter sich hatte, schlug sich nicht auf sein Äußeres nieder. Nur der Schmutz verriet, dass er schon lange von daheim entfernt war.

Doch abseits davon. Keine rissigen Lippen, keine fettigen oder zerzausten Haare. Das waren die Vorteile, die es mit sich brachte, ein Elf zu sein.

Doch die Nachteile waren noch zahlreicher. Bekam man kein Asyl bei dem Elfenkönig Leandras im Großen Wald musste man – sofern man das Glück hatte, nicht an einem Baum aufgeknüpft zu werden – sein Dasein entweder in den Gesindevierteln verbringen, die noch elendiger waren als die Unterstadt. Oder aber man ging in das Imperium, wo jeder Elf beim ersten Sichtkontakt gefangengenommen und als Sklave verkauft wurde.

Dies war der Preis, den die Elfen für ihre Schönheit bezahlten.

Tavaren stockte. Er konnte sich doch jetzt keine Gedanken darüber machen. Eigentlich sollte er Lloyd in den nächsten Kerker schleifen und dort verrotten lassen.

Doch ehe der Wächter die Gelegenheit dazu hatte, öffneten sich die grauen Augen. Einen Moment starrten die beiden sich nur an. Dann bemerkte Tavaren, dass er sich, versunken in seinen Gedanken, ein Stückchen weiter als beabsichtigt über Lloyd gebeugt hatte. Erschrocken zuckte er zurück. Im selben Augenblick schob der Elf ihn von sich und kroch unter ihm hervor, bis er rücklings gegen die Wand stieß.

Tavaren fing sich aber schnell wieder. Er erhob sich wortlos und wandte sich ab.

Im Gehen sagte er: „Wenn Ihr Euer Medaillon wiederhaben wollt, dann holt es Euch." Und mit diesen Worten setzte er seinen Weg fort.

Lloyd brauchte noch einige Sekunden, bis er ganz zu sich kam. Der Schmerz in seinem Kopf verhallte und ein Gedanke kam darunter hervor. Warum hatte der Wächter ihn nicht gefangengenommen? Es wäre die perfekte Gelegenheit gewesen.

Als etwas Flüssiges an seiner Stirn herabrann, griff er sich an den Kopf und sah danach auf seine Hand. Rötlich schimmerte es auf der weißen Haut. Blut. Doch die Wunde würde ihn nicht umbringen.

Er seufzte und erhob sich. Schlussendlich musste er Tavaren doch wieder hinterherjagen, um an sein Medaillon zu kommen. Doch das musste warten. Zuerst verlangte die Verletzung seine Aufmerksamkeit.

Er zog seine Kapuze über den Kopf und machte sich auf den Weg zum Gasthaus.

A King's TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt