Drachen, Engel und Raben II

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Gemeinsam traten sie aus dem Gasthaus. Die Sonne hatte sich hinter dichten Wolkenschleiern verborgen und spendete kaum Wärme. Lloyd schlang sich seinen Umhang um den Körper, aber Murasaki schien die Kälte nicht zu stören. Mit federnden, fast hüpfenden Schritten begleitete er den Elfen. Der beißende Wind ließ den lila Stoff flattern und brachte die Ketten an den Stiefeln zum Schwingen. Das Klirren folgte Murasaki wie ein treuer Gefährte auf Schritt und Tritt.

Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis Lloyd hinter den Stadttoren das Wort ergriff. „Die Ketten", begann er, „was haben sie zu bedeuten?"

Murasaki stockte kurz bei dieser Frage. Das Lächeln war ihm aus dem Gesicht verschwunden. Er öffnete seinen Mund, nur um ihn wieder zu schließen, ohne ein Wort herausgebracht zu haben. Erst als Lloyd sich schon sicher war, dass er keine Antwort erhalten würde, kam ein Seufzen von dem Erzähler.

„Ein Gefängnis", sagte er, den Blick starr nach vorne gerichtet, „und keine Zierde."

Lloyd schluckte. Diese Worte schnürten ihm die Kehle zu, aber der Erzähler schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen.

Vor dem Eisentor des Kestrel-Anwesens blieben sie stehen. „Nun jedoch heißt es wohl Abschied neben, Sweetie." Murasaki drehte sich zu Lloyd um, die Mundwinkel gehoben, aber der Glanz war auch jetzt noch nicht in die Augen zurückgekehrt. „Ich wünsche Euch viel Glück", sagte er. „Bis zum nächsten Mal."

Ohne auf ein Wort des Abschieds von Lloyd zu warten, wandte er sich ab und machte sich auf den Weg. Bis zum Großen Wald war es noch eine lange Reise.

Lloyd hingegen, öffnete das Tor des Anwesens und trat ein. Ausnahmsweise wurde er nicht von Dasan über den Haufen gerannt. Der Wolf war nämlich gar nicht da. Weder lag er auf den Stufen noch schnappte er nach Schmetterlingen. Er war einfach verschwunden.

Lloyd dachte an die Worte des Meisterdiebes zurück. ‚Gestaltenwandler', hatte er Tavaren genannt. Und Dasan soll ihm bei den Verwandlungen helfen. Das klang doch zu merkwürdig, um wahr zu sein. Aber wenn es auch nur den Hauch einer Chance gab, dass der Meisterdieb die Wahrheit gesprochen hat, dass keines seiner Worte gelogen war... Lloyd schüttelte seinen Kopf. Wenn er es herausfinden wollte, dann musste er wohl oder übel Tavaren selbst fragen. Nur nicht heute. Heute fühlte er sich noch nicht bereit, ihm unter die Augen zu treten.

Er hob seine Hand und klopfte mit den Knöcheln gegen das Holz. Einige Sekunden rührte sich nichts, dann wurde die Tür geöffnet und Luana kam zum Vorschein.

„Lloyd", begrüßte sie ihn. „Welch eine Freude Euch wiederzusehen. Mein Bruder ist derzeit in der Stadt, aber kommt doch rein." Mit einer Handbewegung lud sie ihn in das Herrenhaus ein.

„Was führt Euch her?", fragte sie und schloss die Tür hinter ihm.

„Ich hatte gehofft, einen Blick in die Bibliothek werfen zu dürfen", sagte er.

Sie nickte. „Aber selbstverständlich doch", meinte sie. „Kennt Ihr den Weg? Ansonsten kann ich Euch gerne bringen."

„Das wäre wunderbar", antwortete er.

Während sie durch die Korridore gingen, bot Luana ihm sowohl Tee als auch Gebäck an, aber beides lehnte er ab. Vor der Tür der Bibliothek verabschiedete sie sich von ihm.

Mit einem Seufzen drückte er die Klinke herunter und betrat den Raum. Nach Büchern über Drachen sollte er suchen... oder über Engel. Er schnaubte. Engel.

Er suchte die Regale ab. Mit dem Zeigefinger strich er vorsichtig an den Buchrücken entlang, während er die Titel las. Dabei fand er das Buch, aus dem er damals die Karte der Residenz herausgerissen hatte. Es schien ihm Jahre her zu sein. Damals hatte er von Tavaren einen Faden bekommen, um seinen Umhang zu flicken, aber gleichzeitig hatte genau dieser Faden ihn in das Elfenkönigreich geführt. An diesem Abend hatten sie beide einander betrogen.

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