Lloyd folgte dem Drachen durch die Gänge des Berges. In dem endlosen Labyrinth hatte er schon bald die Orientierung verloren, aber er verließ sich auf Elliots Wegweisung. Die Wände waren in diesem Teil des Berges von einer dünnen Eisschicht überzogen. Eis, das bald dicker wurde und nicht nur die Wände, sondern auch Boden und Decke einnahm. Es strahlte zwar keine Kälte aus, aber kleine Eisblumen und Maserungen verrieten, dass es sich hierbei nicht um Glas handelte.
„Hier lebte ein jeder König vor Euch", erklärte Elliot. „Und solltet Ihr Euch entscheiden, bei uns zu bleiben, dann wird dies auch Euer Palast sein."
Am Ende des Ganges war eine Flügeltür aus Eis. Elliot drückte die Klinke herunter und lud Lloyd mit einer Handbewegung in den Raum dahinter ein. Ein Palast aus Eis erstreckte sich dahinter. Die Decke so hoch, dass ein Drache Platz darin gefunden hätte.
Eine Treppe führte von der Eingangshalle in das zweite Geschoss. Weißer Teppich mit hellblauen Ornamenten war auf dem gläsernen Boden ausgebreitet, damit man auf dem Eis nicht ausrutschte. Aber dies fing Lloyds Blick nicht ein. Nicht die Bilder an den Wänden, die Eingravierungen im Eis oder die Fülle der kleinen leuchtenden Eiskristalle, die unter der Decke schwebten.
Das, wovon er den Blick nicht nehmen konnte, war eine überlebensgroße Statue eines Mannes mit weiter Robe. Die Hände hatte er leicht erhoben und den Mund leicht geöffnet, als wollte er gerade zum Sprechen ansetzen. Seine Gesichtszüge gütig, doch eine kleine Falte zwischen den Brauen verriet seine Sorgen. Über seinem Kopf schwebte ein Kreis mit feinen Strahlen wie ein Heiligenschein.
Elliot bemerkte Lloyds Staunen und sagte: „Das ist Regna."
„Euer letzter König", fragte Lloyd. Er konnte seinen Blick nicht von der Gestalt nehmen. Sie erinnerte ihn an die Engelsstatue, die die Säulen in seines Vaters Palastes hielt. Dieselben Züge trug sie, doch statt der Flügel hatte sie hier einen Heiligenschein.
Elliot schüttelte den Kopf. „Mein Gott", antwortete er.
„Euer Gott", hauchte Lloyd und blickte weiter auf die Statue. An den Armen war sie umwickelt mit weißem Stoff, der an ihr herabhing, einen Windhauch auffing und sich leicht bewegte.
„Ich kann Euch einiges über ihn erzählen, wenn Ihr möchtet", sagte Elliot. „Aber nun folgt mir bitte."
Er führte Lloyd an der Statue vorbei zu einem Gang hinter der Treppe. Die Wände waren nicht länger so schmuckvoll, aber weit von schlicht entfernt. Lloyd vermutete, dass es sich um einen Dienstbotengang handelte. Mit Holz war der Korridor getäfelt und umso weiter sie gingen, desto weniger Eis überzog die Oberflächen.
Nach einigen Minuten öffnete Elliot wieder eine Tür und schob ihn hinein. Der Raum war klein. Nur ein Fenster spendete Licht. Eingerichtet war es nur mit einem Bett, einem Schrank, einem Bücherregal und zwei Sesseln. Hier stand auch wieder eine Statue von Regna, auch umhüllt mit weißem Stoff, doch viel kleiner als in der Eingangshalle.
„Mein bescheidenes Heim", sagte Elliot. „Macht es Euch doch gemütlich. Wir haben Einiges zu bereden."
Lloyd durchquerte den kleinen Raum und setzte sich in einen der Sessel. Der Drache entzündete eine Kerze vor Regnas Schrein, ehe er sich in den anderen Sessel setzte.
„Warum soll genau ich Euer König werden?", fragte Lloyd.
„Ich sagte es Euch bereits", antwortete Elliot. „Die Prophezeiung verkündete, dass Ihr Frieden bringen werdet."
„Aber Ihr traut einer Prophezeiung? Einfach so?"
Elliot nickte verdutzt. „Ja, natürlich. Regna brachte sie uns. Er war der Prophet und wie könnte ich ihm misstrauen." Er stockte, weil er glaubte, wieder einen Schritt zu schnell gegangen zu sein. „Ich... nun, ich bin wohl etwas, das man am ehesten als Priester bezeichnen kann. Ich glaube an die Worte meines Gottes mehr als an meine eigenen Sinne. Und wenn er mir sagt, dass Ihr der nächste König werdet, dann vertraue ich ihm."
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A King's Tale
FantasyAls der Halbelf Lloyd für einen Auftrag in den Norden geschickt wird, ahnt er noch nicht, was er damit lostritt und welche Reise er bestreiten muss. Die Menschen sind die Bösen und die Elfen die Guten, so hatte er es gelernt, seit er ein Kind war. D...