Das Rasseln der Ketten schien fern. Es war das einzige Geräusch, das sich durch den Nebel in seinem Kopf bahnte. Aber erst als ein Tropfen auf seine Nasenspitze traf, wachte er gänzlich auf und erinnerte sich an die Geschehnisse. Der Ball, sein Bein, der König. Das Klirren.
Vorsichtig öffnete Lloyd die Augen. Sein Blick war verschwommen, aber er erkannte das Lila, das sich direkt vor seinen Augen befand.
„Murasaki?", fragte er. Die Stimme tonlos, kaum hörbar.
Als Antwort bekam er nur ein „Hm?" Die goldenen Augen blieben starr nach vorne gerichtet. Nur der Griff um Lloyd herum verstärkte sich, als hätte er Angst, dass der Elf sich, nun da er erwacht war, aus seinen Armen stoßen würde.
„Seid Ihr das?" Die Worte kratzen in Lloyds Hals, aber ein Husten hielt er zurück.
„Mhm." Murasakis karge Antworten wurden von dem Prasseln des Regens auf den Blättern nahezu übertönt.
„Aber mein Vater –"
„– braucht davon nichts zu erfahren."
Lloyd presste die Lippen zusammen. Ein Wort-Duell mit dem Erzähler konnte er in seinem Zustand nicht gewinnen.
Mehr und mehr Tropfen trafen ihn, doch die Müdigkeit in seinen Gliedern konnten sie nicht gänzlich vertreiben. Erschöpft schloss er die Lider und lehnte sich an Murasakis Schulter. Aber Schlaf überkam ihn nicht. So sehr sich das Klirren auch in seinen Kopf bohrte und ihn zwang, von der Realität loszulassen, er blieb wach.
„Murasaki?", fragte Lloyd erneut, aber diesmal behielt er die Augen geschlossen.
Wieder kam als Antwort nur ein „Hm?"
Lloyd rang nach Worten. Er wusste, was er fragen wollte, doch das Wie war sein Problem. Der König der Menschen hatte gesagt, dass Murasaki ihm einen der Fingern schicken sollte, wenn er sich dazu entschied ihn zu essen. Das konnte nur eines heißen.
Lloyd holte tief Luft und sprach die Frage aus, die ihm auf der Seele brannte: „Murasaki, Esst Ihr Menschen?"
Murasaki schwieg einige Sekunden. Das Prasseln des Regens wurde stärker, die Ketten kamen kaum noch gegen ihn an. Doch das leise Seufzen des Erzählers hörte er trotzdem.
„Können wir das später besprechen?", fragte Murasaki. Seine Stimme verriet die Hoffnung darauf, dass dieses ‚später' niemals eintreten würde.
„Nein!", warf Lloyd ihm entgegen. Er stieß sich aus seinen Armen und landete auf dem Boden, mit dem Gesicht mitten im Schlamm. Schmerz durchfraß sein Bein und ließ ihn aufkeuchen. Ehe Murasaki auch nur eine Bewegung machen konnte, drehte sich Lloyd auf den Rücken und richtete seinen Oberkörper auf. Sein Blick wanderte an seinem Bein entlang und blieb an der Lanzenspitze in seinem Knie hängen.
Murasaki hockte sich zu ihm und versuchte ihn wieder hochzuheben, aber Lloyd schlug seine Hände weg und kroch ein Stück zurück.
„Ich will eine Antwort, jetzt!", rief Lloyd, aber er spürte, wie er schwächer wurde. Die wenigen Bewegungen hatten ihm alle Kraft gekostet.
Daher wehrte er sich nicht noch einmal, als der Erzähler ihn hochhob und an sich drückte.
„Später", sagte Murasaki.
Lloyd schnaubte und murrte leise: „Ich hasse Euch", ehe er seine Lider schloss und seinen Kopf gegen Murasakis Schulter lehnte.
„Ich weiß", antwortete der Erzähler.
Das leise Klirren der Ketten begleitete die beiden auf dem Weg, aber einschlafen konnte er nicht, obwohl die Erschöpfung sich durch ihn fraß.
Er öffnete seine Augen erst wieder, als sich das Geräusch von Murasakis Schritten änderte. Kein Sand knirschte mehr unter den Sohlen. Nun erklang es dumpf jedes Mal, wenn sein Fuß den Boden berührte.
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A King's Tale
FantasyAls der Halbelf Lloyd für einen Auftrag in den Norden geschickt wird, ahnt er noch nicht, was er damit lostritt und welche Reise er bestreiten muss. Die Menschen sind die Bösen und die Elfen die Guten, so hatte er es gelernt, seit er ein Kind war. D...