Weder Tier noch Pflanze

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Mit einer Tüte des Supermarktes, in dem ich arbeite, stehe ich am nächsten Tag kurz nach fünf an der Bank im Park und warte auf Enrico. Es regnet und ich habe vergessen, einen Schirm mitzunehmen, was daran liegt, dass ich auch vergessen habe, auf den Wetterbericht zu schauen.

Ich habe nicht einmal richtig gelesen, was in meiner Zeitungsapp auf dem Tablet stand. Ich kann mich erinnern, dass ich wie jeden Morgen am Frühstückstisch darin herumscrollte, aber um ehrlich zu sein, waren meine Gedanken ausschließlich bei Enrico.

Enrico, der Kaugummiblasen macht. Enrico, der mich küsst. Enrico, der mich anlacht. Enrico, der sich an mir reibt. Enrico in allen möglichen Variationen, bei denen meine Fantasie irgendwann so weit ging, dass ich kaum noch unterscheiden konnte, was ich mir wünsche und was sich schon erfüllt hat.

„Hey", holt mich Enricos Stimme zurück in die Wirklichkeit und als ich meinen Blick wieder fokussiere, stelle ich fest, dass er neben mir steht und einen weinroten Schirm über uns beide hält.
„Oh", mache ich überrascht und blinzele ihn an.
„Hast du deinen Schirm vergessen?", fragt er lächelnd und nimmt einen Wassertropfen von meiner Stirn mit seinem Zeigefinger auf.
„Ich schätze ja", murmele ich und bin schon wieder vollkommen von seinen schönen, dunklen Augen gebannt.

„Dann wollen wir dich mal ins Trockene bekommen", entscheidet Enrico und greift wie selbstverständlich meine freie Hand. Bevor er sich jedoch in Bewegung setzt, gibt er mir einen leichten Kuss auf meine feuchten Lippen und lächelt schief. „Wobei ich dich feucht auch recht ansprechend finde", fügt er verschmitzt hinzu und zieht mich dann mit sich.

Ich schlucke schwer und wünschte gerade, ich hätte eine freie Hand, denn meine sich anbahnende Erektion müsste dringend mal gerichtet werden. Doch in der einen Hand halte ich die Einkaufstüte und in der anderen halte ich Enricos Hand. Und er hält in seiner anderen Hand den Schirm, es ist also aktuell keine Hand verfügbar, die sich meinem Problem annehmen könnte.

„Wollen wir wieder bei Jill vorbeischauen?", fragt Enrico, als wir den Park verlassen und ich mache einen großen Ausfallschritt, um vielleicht auf diese Weise meine Lage etwas zu bessern. Enrico runzelt verwundert die Stirn und fragt: „Alles gut bei dir?"
„Ja", grummele ich und mache schon fast hampelnde Bewegungen, weil mein Penis sich gefühlt mit meiner Boxershorts verheddert hat und der große Schritt eher zu meinem Nachteil war.

„Robin?", fragt Enrico amüsiert und beobachtet mich. Entnervt schnaufe ich und lasse den Einkaufsbeutel kurz auf meine Schuhe sinken, damit dessen Boden zumindest nicht vollkommen vom Regen durchweicht wird. Mit meiner freien Hand richte ich mein Gemächt und greife den Beutel wieder.
„Jetzt besser", atme ich erleichtert auf und setze mich wieder in Bewegung.

Enrico kichert neben mir.
„Du hättest auch meine Hand loslassen können, weißt du?"
„Hätte ich, wollte ich aber nicht", erkläre ich und er nickt lächelnd.
„Und dass nur ein kleiner Schmatzer von mir schon so eine Wirkung auf dich hat..."
„Oh, das und die Aussage mit dem feucht", präzisiere ich grinsend. „Ich habe übrigens eingekauft, also können wir auch gern was kochen, wenn du magst."

Enricos Lächeln wird noch breiter und sein Daumen streichelt zart über meinen Handrücken.
„Das mag ich sehr gern, was hast du denn geplant?"
„Nun", beginne ich. „Ich habe Tagliatelle und Pesto in grün und in rot. Dazu noch Mozzarella und Parmesan und ein paar Pinienkerne. Die Tagliatelle sagtest du ja gestern, aber ich wusste nicht, ob du lieber grünes oder rotes Pesto magst und welchen Käse."

„Das ist sehr aufmerksam von dir", freut Enrico sich. „Ich mag lieber grünes Pesto, wobei ich zugeben muss, das Rote noch nie probiert zu haben, da ich keine Tomaten mag. Und beim Käse nehme ich gern beides."
„Du magst keine Tomaten, aber hast bei Jill die Pizza Hawaii gegessen?", wundere ich mich. „Da sind doch auch Tomaten drauf."
„Ja, aber als Sauce und ohne Stücke und außerdem so gewürzt, dass es gar nicht mehr nach diesem ekligen tomatigen Geschmack schmeckt", stellt Enrico klar.

„Ekliger tomatiger Geschmack?"
„Ja, dieses wässrige, eklige, Tomatige eben", schüttelt Enrico sich angewidert. „Wenn ich das schon rieche..."
„Okay", speichere ich laut für mich ab. „Keine Tomaten für Enrico. Welche Gemüsesorten landen noch auf der Black List?"
„Hmm...", überlegt er. „Sellerie, wobei ich den in Walldorfsalat ganz gern mag, Rosenkohl, es sei denn, er ist richtig knackig, Auberginen, wenn sie so holzig sind und Artischocken."

Ich lache und beobachte ihn, wie er die einzelnen Gemüsesorten aufzählt. Typisch Enrico, dass er für fast alle eine Einschränkung hat.
„Also gibt es bald Oliven und Kapern", witzele ich und seine Augen leuchten mich an.
„Magst du die auch so?", strahlt er. „Oh, diese grünen Oliven mit Paprika drin, davon könnte ich ein ganzes Glas verdrücken."

Ich bleibe stehen und tue so, als müsste ich mich übergeben.
„Kapern und Oliven müssten verboten werden", würge ich. „Welcher perverse Mensch kam auf die Idee, sowas zu ernten, dann einzulegen und dann zu essen?"
„Ein Genie", erklärt Enrico und zieht mich lachend weiter.
„Okay", schlage ich vor. „Dann nimmst du immer meine Oliven und Kapern, sollten sich je welche auf meinem Teller befinden, und ich nehme deine Tomaten. Einverstanden?"

„Wir ergänzen uns perfekt", freut Enrico sich und bleibt stehen, um mir einen weiteren Schmatzer auf den Mund zu geben. Wir gehen die Treppen zu meiner Wohnung nach oben und als ich die Tür aufschließe, drehe ich mich urplötzlich um und sehe ihn mit großen Augen an.
„Was ist mit Pilzen?", frage ich ernst und Enrico starrt mich mit einem ebenso ernsten Blick an.
„Pfui!", machen wir beide gleichzeitig und brechen anschließend in lautes Gelächter aus.

„Was ist das überhaupt?", fragt er lachend und ich zucke kichernd mit den Schultern, als ich den Einkauf in die Küche bringe.
„Ich habe keine Ahnung", sage ich stockend. „Weder Tier noch Pflanze und irgendwie..."
„Unheimlich", vervollständigt Enrico meinen Satz.
Ich nicke und sehe ihn glücklich an.

Enrico stellt sich ganz dicht vor mich und streicht mir eine feuchte Strähne aus der Stirn.
„Pilzfreie Zone", murmelt er und ich nicke erneut, während ich gebannt auf seine Lippen schaue. „Wie wäre es, wenn du dich jetzt ausziehst?", fragt Enrico rau.

Wandelmut | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt