Enrico und ich starren uns an und versuchen beide noch immer zu Atem zu kommen.
„Entschuldige", murmelt Enrico verlegen und windet sich unbeholfen auf dem Sofa. „Das kam vollkommen aus dem–"
„Ja."
„Was?"
„Ja", wiederhole ich. „Ich will dich heiraten."
Enricos Augen werden riesig und er setzt sich rasch auf, die klebrigen Rückstände für den Moment vergessen. Seine nicht-klebrige Hand legt sich an meine Wange und er blickt mir tief in die Augen.
„Meinst du das ernst?", flüstert er.Nun bin ich verlegen, denn was, wenn er es gar nicht so meinte? Was, wenn ich eine Aussage, die einfach nur im Affekt der Ekstase getroffen wurde, als wahrhaftigen Antrag interpretiert habe?
Sein Daumen streicht über meine Grübelfalte und ich zucke mit den Schultern.
„Ja", erwidere ich mit erstickter Stimme. „Ich weiß, es klingt vollkommen verrückt und es tut mir leid, wenn du es gar nicht so meintest. Ich will auch nicht–"Enrico küsst meine Lippen. Einmal, zweimal, dreimal. In seinen Augen schimmern Tränen, doch er lächelt glücklich.
„Das ist vermutlich das Verrückteste, was ich je gehört habe, aber das ist mir egal", schnieft er und küsst mich erneut. „Ich liebe dich und es ist mir egal, ob wir eine Woche, ein Jahr oder ein halbes Leben zusammen sind."Begeistert umschlinge ich ihn mit meinen Armen und halte ihn ganz, ganz fest, sauge seinen Duft in mich auf und seufze erleichtert.
„Das sehe ich genauso. Es gibt Menschen, die kennen sich seit der Schule und heiraten erst nach vielen, vielen Jahren, obwohl sie immer schon zusammengehörten, wie mein Bruder und seine Frau.
Und dann gibt es vielleicht andere, die ganz schnell heiraten und ebenso lange zusammenbleiben. Ich weiß einfach, dass das hier... dass wir richtig sind."Liebevoll küsse ich Enrico erneut und halte ihn einfach nur fest in meinen Armen, meinen Verlobten.
•••
„Danke, dass du das für mich tust", flüstert Enrico und drückt liebevoll meine Schulter. Ich grinse meinen Mann breit an und zwinkere ihm zu.
„Dir ist klar, dass du dir etwas ganz Großartiges als Dank überlegen musst, oder?"
Seine Augen weiten sich kurz und er beugt sich noch weiter über mich. Seine weichen Lippen kitzeln an meinem Ohr und er wispert heiß: „Wie wäre es, wenn der Dank dich und mich nackt in unserem Bett involviert? Vorzugsweise du auf mir, während ich dir nach allen Regeln der Kunst das Hirn herausvögele?"Ich schnappe nach Luft und räuspere mich laut, nicke ihm jedoch mit erröteten Wangen zu. Hier ist leider der unpassendste Ort für eine Erektion und Enrico weiß das ganz genau. Er grinst mich verwegen an und tritt dann einen Schritt zurück.
„Wir können dann, Dr. Schnapp", sagt er laut und vor mir erscheint ein grünes Krokodil, welches seinen Mund auf und zu klappt.„Ich bin nicht Dr. Schnapp", meckert es. „Ich bin Dr. Schau. Ich schaue nur, ich schnappe nicht."
Ein langer Arm steckt im Hintern des Krokodils –welches im Übrigen nur eine Handpuppe ist – und dieser gehört zu Dr. Elisabeth Potts.
Ich sitze auf ihrem Behandlungsstuhl, um uns herum etwa zwanzig Kinder, alle aus Enricos Zauberergruppe.Heute ist der Tag der Zahnuntersuchung im Kindergarten und ich habe mich, wie bereits in den vergangenen Jahren, als Vorführpatient zur Verfügung gestellt. Enrico geht nun regelmäßig mit mir zur Untersuchung, aber soweit, seinen Mund vor den Kindern untersuchen zu lassen, ist er noch lange nicht. Zu groß ist seine Angst, er könnte etwas von seiner Panik an eins der Kinder übergeben.
Also bin ich gern das „Opfer", zu Anfang noch bei Dr. Webber, welcher von den Kindern immer liebevoll Zahnopa genannt wurde und nun bei seiner Nachfolgerin Elisabeth.
Dr. Webber starb vor eineinhalb Jahren und es war sowohl für mich als auch für Enrico ein harter Schlag. Wir waren bei seiner Beerdigung und es war die absurdeste Situation, die ich bislang erlebt hatte. Es waren viele Menschen da, Freunde, Familie, Patienten. Enrico und ich standen im hinteren Bereich der Kapelle, hielten uns an den Händen und schwiegen. Alle schwiegen. Alle schauten traurig und bedröppelt und ich erinnerte mich.
Ich dachte an den Tag, als Sam der Patient und ich der Zahnarzthelfer war. Dr. Webber hatte sich umgedreht, um Instrumente aus einer der Schubladen zu suchen und ich begann, mit dem Sauger, an Sams Gesicht herumzusaugen. Erst seine Lippe, aber dann auch seine Augenbraue und seine Wange. An der Wange saugte es sich so fest, dass Sam schmerzvoll aufstöhnte und ich den Sauger ruckartig zurückriss. Er hatte noch Tage später einen roten Fleck an der Stelle und alle dachten, es wäre ein Knutschfleck.
Und dann ging es los. Das Lachen. Erst war es nur ein leises Glucksen und Enrico sah mich verwundert von der Seite an. Ich schlug mir die Hand vor den Mund und schaute hilflos zu ihm, als das Lachen immer wilder in mir brodelte.
„Was ist los, Robin?", flüsterte Enrico und ich sah mich in der Kapelle um. Alle weinten und schauten betreten und ich dachte an Sam und seinen Zahnarztsaugerknutschfleck und daran, wie Dr. Webber gegrinst, aber kein Wort gesagt hatte.Ich schüttelte den Kopf, versuchte zu atmen, doch das hysterische Kichern in meiner Kehle ließ mich kaum Luft bekommen. Enricos Mundwinkel hob sich leicht und er fragte: „Musst du etwa lachen?"
Verzweifelt nickte ich, eine erste Träne lief über mein Gesicht, während meine Fingerknöchel an der Hand, die ich über meinen Mund presste, schon weiß hervortraten.Kurzerhand packte Enrico mich am Oberarm und zog mich mit sich aus der Kapelle. Kaum, dass die Tür hinter uns zu fiel, brach das Lachen aus mir heraus. Hilflos stützte ich mich auf meinen Oberschenkeln ab, schrie schon förmlich und versuchte, wieder zu atmen. Enrico neben mir lächelte einfach nur und streichelte meine Schulter. Als ich mich wieder aufrichtetet, wischte er mit seinen Daumen die Tränen von meinem Gesicht.
„Tut... tut mir leid", lachte ich noch immer und versuchte weiterhin, mich zu beruhigen. „Nur alle sehen so bedröppelt aus und dabei war er immer so lustig und ich konnte nicht mehr aufhören und–"„Nun, dann hoffe ich, dass es dir bei meiner Beerdigung ebenso geht", flüsterte Enrico und küsste mich. Sofort erstarb mein Lächeln und ich blickte ihn fest an.
„Auf deine gehe ich nicht", sagte ich und er riss geschockt die Augen auf. „Wag es nicht, diese Welt vor mir zu verlassen, Enrico DiFranco-Harrisson."
Wieder war da dieses Lächeln, in das ich mich sofort verliebt hatte und Enrico drückte meine Hand.
„Das Gleiche könnte ich dir sagen, Robin DiFranco-Harrisson."
"Nun", erwiderte ich schnippisch. „Dann werden wir wohl beide bleiben."„Dann schauen Sie mal, Dr. Schau", weise ich das Krokodil lachend an und öffne meinen Mund, um die Untersuchung über mich ergehen zu lassen.
Als Enrico und ich an diesem Abend Hand in Hand den Kindergarten verlassen und an der kleinen Parkbank am Nordeingang vorbeikommen, bleibe ich unwillkürlich stehen und lächele. Nachdem wir uns verlobt hatten, dauerte es keine vier Tage bis Enrico bei mir einzog und so trafen wir uns seitdem immer zu Hause, oft mit leckerem Essen von Jill, welches Enrico auf dem Heimweg mitbrachte.
An der Parkbank treffen wir uns meist nur noch an unseren Hochzeitstagen oder wenn einer von uns beiden besonders romantisch aufgelegt ist.
„Heute ist Dienstag", lächele ich und Enrico kichert.
„Was?", frage ich fast etwas zickig und er streichelt über meine Grübelfalte, die aber gerade gar nicht da ist.
„Sagst du mir jetzt gleich, dass Dienstage deine Lieblingstage sind, weil wir uns an einem Dienstag zum ersten Mal geküsst haben?", grinst er und legt seine Arme um meine Taille.„Nein", widerspreche ich und ziehe ihn noch näher an mich. „Alle Tage sind meine Lieblingstage, seit wir uns zum ersten Mal geküsst haben."
Enrico lächelt und küsst meinen Mundwinkel.
„Meine auch."
„Danke, Enrico", flüstere ich und seine Augen funkeln wieder so schön.
„Dafür, dass ich dein Leben verändert habe?", grinst er und ich runzele die Stirn.
„Du kennst mich zu gut, oder?"
„Kann sein, aber genau das ist doch das Gute, Robin."
„Das ist es", seufze ich.Er verschränkt seine Finger mit meinen und zieht mit der anderen Hand eine kleine, rosa Packung hervor. „Lust auf Kaugummiblasen?"
Ende
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Danke fürs Lesen, für eure lieben Kommentare und die vielen Sternchen ✨
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Wandelmut | ✓
RomanceRobin Harrissons Leben ist einfach und strukturiert, doch ungewöhnliche Fragen von noch ungewöhnlicheren Menschen lösen einen unerwarteten Wandel in ihm aus. Gibt er der Veränderung nach oder kehrt er zurück zu seinen alten Mustern? ------------ ❝...