Mise-en-place ist das halbe Leben

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„Du willst jetzt noch Kaffee trinken?", fragt Enrico entsetzt, als ich in der Küche meine Kaffeemaschine befülle.
„Ganz bestimmt nicht", erwidere ich entsetzt. „Ich bereite nur schon alles für morgen vor."
Skeptisch betrachtet mein Freund mein Tun.
„Weil?", fragt er argwöhnisch.
„Weil ich so morgen früh nur auf den Knopf drücken und dann nicht alles vorbereiten muss", erkläre ich. „Mise-en-place ist das halbe Leben."

Enricos Augenbraue wandert verwundert nach oben. „Bitte was?"
Ich lache und küsse seinen Mund, bevor ich ins Badezimmer gehe und meine Zahnbürste suche.
„Mise-en-place, französisch und ein Begriff aus der Gastronomie. Vorbereitung. Du kannst nur guten Service bieten, wenn du gut vorbereitet bist. Woher neues Besteck zum Eindecken nehmen, wenn du dieses vorher nicht schon poliert und bereitgestellt hast?"

„Und das weißt du woher?", will Enrico kopfschüttelnd wissen, nimmt ebenfalls die Zahnbürste, die er schon die letzten Tage bei mir benutzt hat und beschmiert die Borsten mit minziger Zahncreme. Die Zahncreme ist nicht grün, obwohl sie grün schmeckt.
„Ich hab während des Studiums als Aushilfe in einem Hotel gearbeitet", nuschele ich beim Putzen.

Enricos Augen weiten sich im Spiegel und ich sehe hundert weitere Fragen in ihnen auftauchen. Ich stupse leicht mit meiner Schulter gegen seine und zwinkere ihm zu, was ihm ein kleines Kichern entlockt.

Und in diesem Moment bin ich vermutlich der glücklichste Mann der Welt. Mein hübscher Freund steht neben mir, wir tun etwas ganz Alltägliches und doch ist es das Schönste für mich, dies mit ihm zu tun, und er lächelt mich glücklich im Spiegel an, während sich weißer, minziger Zahnpastaschaum in seinen Mundwinkeln sammelt.
Bin ich irgendwie seltsam, dass ich das süß finde?

Enrico streicht mit seinem Daumen über meine Grübelfalte und ich spucke meine Zahnpastareste ins Waschbecken, um diese wegzuspülen.
„Ich bin komisch", murmele ich verlegen und spüle auch meine Zahnbürste ab. Enrico wiederholt meine Bewegungen und stellt seine Zahnbürste neben meine in das kleine Glas auf dem Waschbeckenrand.
„Warum jetzt genau?", will er wissen.

Ich seufze und weiche seinem prüfenden Blick aus, doch er packt meine Schultern und sieht mich eindringlich an.
„Ich schmachte dich sogar beim Zähneputzen an", brummele ich. „Ich stehe neben dir im Bad und denke, ich bin der glücklichste Mensch der Welt, weil du neben mir deine Zähne putzt und mich dabei anlächelst. Das ist schon ein bisschen creepy."

Enrico lächelt liebevoll und nimmt mein Gesicht in beide Hände, seine hübschen Augen leuchten glücklich. „Dann bin ich ebenso komisch wie du, weil ich genau das Gleiche dachte", flüstert er und küsst mich zärtlich. „Und jetzt lass uns ins Bett gehen, mein komischer Freund."

•••

Ein unbekanntes, nervtötendes Geräusch reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Neben mir bewegt sich etwas und als ich schläfrig ein Auge öffne, sehe ich, dass Enricos Arm müde nach seinem Handy tastet, um den Weckton abzustellen.

„Fuck", stöhnt er. „Es ist zu früh."
Ich muss unwillkürlich lächeln, obwohl ich selbst noch so müde bin.
„Wieso grinst du so?", brummt er mich an und lässt seinen Kopf zurück auf das Kissen fallen, seine Haare ganz zerzaust, sein Gesicht knautschig.
„Weil du zerknautscht neben mir liegst", grinse ich. „Komischer Freund, weißt du noch?"
Enrico muss sich ebenfalls ein Grinsen verkneifen und küsst meine Schläfe, bevor er aus dem Bett rollt.
„Du bist selbst zerknautscht", brummt er und spaziert ins Bad. „Und verdammt süß dabei."

Kichernd stehe ich ebenfalls auf und tapse in die Küche, um die Kaffeemaschine, die ich ja gestern schon vorbereitet habe, einzuschalten. Während sie ihrer Bestimmung nachgeht, bereite ich mein obligatorisches Glas mit warmem Wasser und der ausgepressten Zitrone vor.
„Was ist das jetzt?", fragt Enrico neugierig, als er in die Küche kommt.
„Warmes Wasser mit Zitrone", erkläre ich und spüle die Flüssigkeit meine Kehle hinunter. „Möchtest du auch?"

Angewidert verzieht Enrico das Gesicht.
„Ich denke, ich verzichte. Es sei denn, du willst, dass ich schlechte Laune bekomme."
„Jetzt sei nicht albern", lache ich und bereite ihm ebenfalls ein Glas vor. „Das ist gut für dein Immunsystem. Trinken ist wichtig und Vitamin C schützt vor Erkältungen."
Skeptisch betrachtet Enrico das Glas, das ich ihm in die Hand drücke.
„Warum bin ich nochmal mit dir zusammen?"

„Weil du unsterblich in mich verliebt bist", entgegne ich ganz selbstverständlich. „Und jetzt runter damit, ich will mit dir duschen."
Enricos Augenbrauen schnellen nach oben und im Nu hat er das Glas geleert, verzieht jedoch abschließend sein Gesicht.
„Wenn das nicht hilft, Freundchen!", meckert er.

„Komm", sage ich liebevoll und drücke ihm eine Tasse Kaffee in die Hand. „Den kannst du im Bad trinken."

„Machst du das jeden Morgen?", fragt Enrico, der nun auf meinem Badezimmerzimmerboden vor meinem Heizlüfter sitzt und seinen Kaffee schlürft, während ich meine morgendlichen Kraftübungen mache.
„Was?", stöhne ich zwischen den Liegestützen. „Duschen? Ja."
„Ha-ha", macht Enrico sarkastisch. „Nein, Witze reißen. Ich meine diese Übungen und die Zitrone und so."
„Ja", keuche ich und zähle die letzten Liegestütze in meinem Kopf. „Damit geht es mir besser."
„Mir geht es mit Kaffee und diesem Heizlüfter besser", erklärt Enrico fröhlich. „Kann ich für immer hier sitzen bleiben?"

Ich lache und setze mich neben ihn, trinke ebenfalls einen Schluck von meiner Kaffeetasse.
„Das kannst du sehr gern, aber irgendwann musst du zur Arbeit und lustige Fragen beantworten."
„Oder Kasperletheater machen."
„Oder auch das", lache ich und stehe auf.
„Und was machst du jetzt?", fragt er verdattert.

Ich ziehe meine Boxershorts aus und lasse sie auf den Boden fallen.
„Jetzt", erkläre ich und zwinkere ihm zu. „Gehe ich duschen."
Enrico steht so schnell auf, dass ich befürchte, dass er gleich den gesamten Kaffee über meinem Heizlüfter verschüttet und sich selbst einen tödlichen Stromschlag verpasst. In Nullkommanix fliegt seine Boxershorts in die Ecke und er strahlt mich freudig an, bevor er in die Dusche steigt.

„Kommst du, Robin?", säuselt er. „Wir wollen doch deine Morgenroutine nicht durcheinanderbringen."
Ich lache auf und schüttele ungläubig den Kopf. Ich denke, ihm ist nicht klar, wie sehr er meine gesamte Lebensroutine schon durcheinandergebracht hat.

Wandelmut | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt