Verdattert sehe ich Enrico an. Ob ich ihn süß finde? Keine Ahnung. Findet man Menschen süß? Irgendwie war ich bislang der Überzeugung, diese Beschreibung wäre treffender für Hundebabies und kleine Kinder. Erwachsene Männer? Ich weiß nicht.
Enrico lacht unbeholfen und winkt mit seiner Hand ab. „Ich mache nur Spaß, Robin."
„Ich... findet man erwachsene Menschen süß?", spreche ich meine Gedanken laut aus.„Wenn sie süße Sachen tun, kann man auch erwachsene Menschen süß finden", erwidert er lächelnd.
„Süße Sachen tun? Wie Kuchen backen?"
Enrico lacht und zuckt mit den Schultern.
„Vielleicht auch das, aber ich meine sowas wie... lustige Fragen stellen oder einem Pizzarezeptzeitschriften als Entschuldigung hinterlassen."
Ich runzele meine Stirn.
„Das findest du süß?"
„Total", freut er sich. „Sowas hat noch nie jemand für mich gemacht."
„Dir Pizzarezeptzeitschriften gebracht?"
„Zum Beispiel. Oder sich vielmehr die Mühe gemacht, eine Entschuldigung so kreativ darzustellen", präzisiert Enrico.Ich zucke verlegen mit den Schultern.
„Besonders kreativ fand ich das eigentlich nicht. Zumal mir erst später klar wurde, dass Flammkuchen viel besser gewesen wären", überlege ich laut.
Enricos Hand streicht über meinen Oberarm und an den Stellen, wo ich sie durch mein Sweatshirt spüre, kribbelt meine Haut eigenartig.
„Ich fand das sehr süß", sagt Enrico schlicht.„Das heißt, du... du findest mich süß?", frage ich verwirrt und Enricos Wangen färben sich in ein leichtes Pink. Sind sie jetzt wohl auch wärmer?
„Schon... ja", gibt er verlegen zu und weicht meinem prüfenden Blick aus. Er räuspert sich und sieht sich um, offenbar verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Thema. Ich hingegen starre ihn an, denn... wieso?Mich fand noch nie jemand süß. Zumindest hat es mir noch nie jemand gesagt. Mir hat mal eine Frau gesagt, dass sie mich heiß findet, aber das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.
„Also... hm...", stottert Enrico. „Magst du Pizza, Robin?"
Ganz klar ein Ablenkungsmanöver, stelle ich fest. Enrico ist verlegen. Warum? Weil er ehrlich zu mir war? Erfordert seine Aussage eine gewisse Gegenaussage von mir? Wie ist der exakte Verhaltenskodex bei Komplimenten?„Ich finde dich interessant", platze ich heraus und nun schlage ich mir buchstäblich die Hand vor den Mund. Was ist denn das mit meinem Filter?
Enricos Augen weiten sich und ein kleines Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Er sieht etwas fragend aus und ich nehme an, ich muss meine Aussage etwas genauer erklären.Ich hole tief Luft, nehme meine Hand langsam von meinem Gesicht und fasele einfach los: „Ich bin gern allein. Eigentlich interessieren mich andere Menschen nicht. Ich finde Leute nicht süß oder heiß oder interessant. Aber du.. ich weiß nicht, ich unterhalte mich gern mit dir und würde dich gern tausend Fragen fragen, aber jedes Mal, wenn wir uns unterhalten, kommen da noch mehr Fragen in meinen Kopf und ich sage Dinge, die ich sonst eigentlich nicht sagen würde, so wie jetzt und jetzt höre ich auf zu reden, weil ich sonst auch nicht viel rede."
Wie ein Fisch klappe ich meinen Mund einfach zu und glotze ihn an. Ich muss unglaublich bescheuert aussehen, wie ein Karpfen oder die Karikatur eines Karpfens mit großen Augen, der einen Mann auf einer Parkbank mit seinen großen Augen anglotzt.
Enrico sieht mich ebenfalls mit großen Augen an, nur kann man es bei ihm nicht als Glotzen bezeichnen. Er hat schöne Augen. Sie sind braun, mit kleinen goldenen Flecken darin und wenn er lacht, glänzen sie so schön.
Und so sitzen wir da und sehen uns gegenseitig an. Enrico guckt, ich glotze und plötzlich muss ich auf Grund dieser absurden Vorstellung von mir als Karpfen auf einer Parkbank so lachen, dass ich laut lospruste. Enricos Stirn zieht sich kraus und er fragt: „Machst du dich über mich lustig, Robin?"
Ich schüttele meinen Kopf und versuche, ihm zu erklären, dass ich ihm die Wahrheit gesagt habe, dass jedes Wort genau so gemeint war, aber ich bekomme kaum Luft und beuge mich verzweifelt vor, greife sogar seine Hand, damit er nicht davonläuft und lache aus vollen Halse.Enrico neben mir kichert unbeholfen und ich kann es ihm nicht verdenken.
„Ich meinte es wirklich so", gackere ich. „Aber ich habe so viel gesprochen... und..." Wieder schüttelt mich ein Lachanfall und ich höre, dass auch Enrico langsam von meinem Kichern angesteckt wird.
„Warte, warte, warte", keuche ich und versuche, ernsthaft nach Luft zu schnappen.Ich schließe meine Augen, atme tief durch die Nase und will ihm erklären, was der Grund für meinen Ausbruch ist, doch jedes Mal, wenn ich das Wort Karpfen denke, gluckst ein weiteres Lachen aus meiner Kehle.
„Wenn der nicht wirklich lustig ist", droht Enrico mir spielerisch und ich schüttele mit noch immer geschlossenen Augen den Kopf.„Also", beginne ich erneut, als ich mich einigermaßen beruhigt habe. „Ich habe so viel geplappert. Und ich meinte es wirklich so, wie ich es dir gesagt habe. Und dann habe ich einfach nichts mehr gesagt und dich angeglotzt." Erneut beginne ich zu kichern, doch auch Enricos Lachen klingt nun ehrlicher.
„Du hast wirklich ein bisschen geglotzt", pflichtet er mir bei.
„Wie ein Karpfen", sage ich und werde von einem weiteren Lachkrampf geschüttelt.Auch Enrico fällt nun lauthals mit ein, jetzt, wo er den Grund meines Ausbruchs kennt. Ihm laufen kleine Tränen aus dem Augenwinkel und er hält sich schüttelnd den Bauch.
„Du hast auch den Mund so zugeklappt", grölt er und imitiert meine Bewegung von vorhin. Ich schnappe hilflos nach Luft, da mein Körper kaum in der Lage ist, Sauerstoff aufzunehmen, so sehr zieht sich meine Bauchmuskulatur unter den Lachkrämpfen zusammen.Wieder schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meine Atmung. Wenn ich mich nicht beruhige, sterbe ich sonst vermutlich. Enrico neben mir gluckst ebenfalls noch leise, scheint aber ebenfalls auf seine Atmung konzentriert zu sein.
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich noch immer seine Hand halte, unsere Finger miteinander verschränkt.
„Was für Fragen?", fragt Enrico auf einmal und macht keine Anstalten, seine Hand aus meinem Griff zu ziehen. Ich sehe auf unsere verflochtenen Finger und überlege, was ich ihn noch fragen wollte.Mit meiner anderen Hand greife ich in meine Hosentasche und ziehe die pinkfarbene Packung hervor.
„Zeigst du mir, wie man Kaugummiblasen macht?"
DU LIEST GERADE
Wandelmut | ✓
RomanceRobin Harrissons Leben ist einfach und strukturiert, doch ungewöhnliche Fragen von noch ungewöhnlicheren Menschen lösen einen unerwarteten Wandel in ihm aus. Gibt er der Veränderung nach oder kehrt er zurück zu seinen alten Mustern? ------------ ❝...