Enrico sieht mich einfach nur mit seinen großen, braunen Augen an und plötzlich wird mir die Tragweite meiner Worte bewusst. Ich mag keinerlei Erfahrung in solchen Dingen haben, immerhin wurde mir erst vor wenigen Minuten bewusst, dass es so ist, aber auch ich habe die üblichen Hollywoodfilme gesehen und weiß, dass es bis zum Ausspruch dieses Satzes in aller Regel einer gewissen Karenzzeit bedarf und die liegt weitaus höher als eine Woche.
Mein Brustkorb zieht sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken, ich könnte Enrico verschreckt haben und sofort beginne ich zu faseln: „Ich... es tut mir leid... ich..."
„Wag es nicht, es jetzt zurückzunehmen oder dich dafür zu entschuldigen, Robin", sagt Enrico ernst und ich senke betreten meinen Blick. Enrico legt seine Lippen an mein Ohr und flüstert: „Ich liebe dich auch, Robin."Können Herzen platzen? Können sie wie Luftballons anschwellen, immer größer werden und dann platzen? Ich befürchte, das können sie und meins ist kurz davor.
„Das war gerade... wow...", bringe ich stockend hervor und streichele noch immer vollkommen überwältigt über Enricos Schultern und Oberarme.
„Das kann ich bestätigen", kichert er und die Vibrationen gehen direkt auf mich über, da wir noch immer auf die bestmögliche Art miteinander verbunden sind und ich verziehe mein Gesicht.„Oh", lacht Enrico noch mehr und ich stöhne gequält. „Empfindlich?", scheint er zu wissen, wie es mir geht und ich nicke mit zusammengekniffenen Augen. Vorsichtig klettert er von mir herunter und als ich meine Augen wieder öffne, steht er neben dem Bett und hält mir seine Hand hin.
„Was jetzt?", frage ich und er antwortet nur: „Zähne putzen und dann ab ins Bett."
Ohne Widerworte krabbele ich aus dem Bett und folge ihm ins Badezimmer.„Ist das normal?", frage ich später, als wir engumschlungen in Enricos riesigem Bett liegen.
„Dass du mich liebst? Wenn normal mit selbstverständlich gleichzusetzen ist, dann nein, dann ist es für mich nicht normal, dass du mich liebst", flüstert Enrico und lässt meine Haarsträhnen immer wieder durch seine Finger gleiten.
„Und dass du mich liebst?", frage ich weiter und er lächelt.
„Das", murmelt er. „Ist für mich das Normalste der Welt. Ich könnte gar nicht anders, Robin."„Wir kennen und erst seit einer Woche", gebe ich zu bedenken.
„Wir kennen uns schon etwas länger, immerhin sind wir uns schon am Kindergarten begegnet und du hast mir eine Rezeptzeitschrift geschenkt und mich fast angepinkelt", korrigiert er mich und ich rolle mit den Augen.
„Okay, wir sind seit sieben Tagen zusammen", verbessere ich meine vorherige Aussage.
„Und was für wundervolle sieben Tage das waren", seufzt er und zieht mich noch näher an sich. „Ich freu mich schon auf die nächsten sieben. Und die sieben danach..."Ich seufze, denn ich befürchte, er versteht nicht, worauf ich hinauswill.
„Es ist mir schon immer recht egal gewesen, was normal ist und was nicht, Robin", erklärt Enrico leise. „Mein Herz sagte mir, ich solle Kindergärtner werden, kein normaler Beruf für einen Mann. Ich mag Männer und Frauen, auch das ist für viele Menschen nicht normal. Und wenn mein Herz mir nach zwei Tagen sagt, dass ich jemanden liebe, dann glaube ich ihm, auch wenn das für viele Menschen nicht normal ist."Ich betrachte ihn lange und frage dann: „Nach zwei Tagen?"
Er lacht und nickt.
„Eigentlich schon in dem Moment als du gern das Küssen mit mir ausprobieren wolltest."
„Warum hast du nichts gesagt?"
„Oh, ich wusste nicht, wie normal oder unnormal du bist, Robin", lächelt er. „All das war neu und ungewohnt für dich, ich wollte dich nicht überrumpeln."
„Hmm", mache ich und lege meinen Kopf auf seine Brust. „Danke."
„Wofür?"
„Dass du mich selbst hast drauf kommen lassen."
Ich höre und spüre Enricos Lachen durch seinen Brustkorb und muss selbst schmunzeln.
„Dann danke ich dir dafür, dass du so schnell drauf gekommen bist."•••
Wieder reißt mich Enricos nerviger Weckton aus dem Schlaf und ich stöhne fast schon schmerzvoll auf. Heute liegt kein Enrico neben mir und erlöst mich von dem Leid, das der nervige Ton seines Smartphones verursacht. Müde taste ich nach dem Gerät und schaffe es irgendwie durch willkürliches Tippen auf dem Display, es zumindest für den Moment zum Schweigen zu bringen.
Erst jetzt wird mir vollends klar, dass Enrico nicht neben mir liegt. Wo ist er? Ich schaue nun bewusst auf das Display und stelle fest, dass es halb sechs Uhr morgens ist, meine übliche Aufstehzeit.
Träge robbe ich über die gigantische Matratze zu Enricos Seite und stehe auf. In der Küche ist er nicht zu finden, ebensowenig im Wohnzimmer.„Enrico?", rufe ich und höre ein Seufzen aus dem Badezimmer. Erschrocken eile ich zu der Tür, hinter der ich das Seufzen vernahm, und klopfe vorsichtig daran, obwohl sie nur angelehnt und nicht geschlossen ist.
„Enrico?", frage ich erneut und bekomme nun ein klägliches „Ja" als Antwort.
Vorsichtig drücke ich die Tür auf und sehe, dass mein Freund nur in Boxershorts neben der Toilette sitzt, den Kopf auf den geschlossenen Deckel gelegt, sein Gesicht blass und mit dünnem Schweiß bedeckt.„Oh Gott", rufe ich besorgt und eile zu ihm. „Geht's dir nicht gut? Kann ich irgendwas tun?"
Erschöpft schließt er die Augen und schüttelt den Kopf. „Ich warte nur bis die Tablette wirkt."
„Welche Tablette?", frage ich panisch und sehe mich hektisch nach irgendwelchen Indizien um, die mir erklären könnten, was hier vor sich geht.
„Die Schmerztablette", stöhnt Enrico.
„Schmerztablette? Du hast Schmerzen? Wo? Kann ich was tun? Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?"Nervös betrachte ich ihn von oben bis unten, versuche zu erkennen, ob irgendwas an seinem Körper nicht da ist, wo es hingehört, obwohl ich weiß, dass dieses Denken vollkommen absurd ist.
„Es geht bestimmt gleich wieder", presst Enrico hervor. „Mir wird nur leider immer schlecht, wenn ich starke Schmerzen habe."
Ich nicke verständnisvoll, mustere ihn noch immer.„Wo tut es weh?", hake ich erneut nach und gehe im Kopf bereits durch, welches Krankenhaus von hier aus am Nächsten zu erreichen ist. Enrico weicht meinem Blick aus und ich reiße die Augen auf. Oh nein! Habe ich etwa-?
„Ich muss dir was sagen, Robin", flüstert er beschämt.
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Wandelmut | ✓
RomanceRobin Harrissons Leben ist einfach und strukturiert, doch ungewöhnliche Fragen von noch ungewöhnlicheren Menschen lösen einen unerwarteten Wandel in ihm aus. Gibt er der Veränderung nach oder kehrt er zurück zu seinen alten Mustern? ------------ ❝...