Kleine Kämpferin

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Als ich aufwachte, war es draußen bereits dunkel. Offenbar war ich wohl eingeschlafen. Stöhnend setzte ich mich auf und fuhr mir müde mit den Fingern durch die Haare. Der runde Mond leuchtete ins Zimmer und tauchte alles in ein unheimlich weißes Licht. Es sah eigentlich recht friedlich aus. Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch das Zimmer gleiten. Alles schien normal. Soweit alles normal sein konnte, wenn man in einem Haus eingesperrt war mit ein paar Wahnsinnigen.
Trotzdem fühlte ich mich irgendwie beobachtet.
Leise stieß ich die Decke zurück und stand auf. Mögliche Waffen zur Verteidigung hatte ich nicht. Danke Adrien! Was aber wenn er es war? Wenn Adrien es geschafft hatte hier rein zu kommen? Ich schluckte und quetschte die Bedenken zur Seite. Ach was...
Vorsichtig ging ich auf nackten Füßen zum großen Fenster und blickte hinaus. Zum ersten Mal hatte ich ein Auge für die Umgebung außerhalb des Hauses.
Vor mir war eine große weiß gekieste Zufahrt. Rechts und links eingerahmt von ordentlichem grünen Rasen. Dahinter war das Grundstück mit einem hohen alten verspielten Eisenzaun vom Rest der Welt abgetrennt. Wo war ich hier nur gelandet?
Der schwarze Nachthimmel war wunderschön klar. Die Sterne leuchteten hell am Himmelszelt. Es war eine schöne Nacht. Fast so wie die, in der alles angefangen hatte. Irgendwo da draußen war meine Familie. Meine total verplante und immer gestresste Mutter. Und meine kleine unschuldige Schwester, die in eine Welt gerissen wurde, die für jedes Kind schlimmer war als ein Albtraum. Wie sollte ich jemals zurück nach Hause finden, wenn ich nicht einmal wusste, wo ich war! Und wie lange! Es könnten bereits Monate sein!
Plötzlich knarrte hinter mir etwas leise. Sofort fuhr ich herum. Aber da war nichts! Konzentriert suchte ich mit den Augen das Zimmer und seine dunklen Ecken ab und ich kontrollierte ob meine Barrikade noch so stand wie ich sie am Nachmittag vor der Tür errichtet hatte. Aber alles war unauffällig. Leise murmelte ich, dass ich eine schreckhafte, doofe Ziege war und schlug mir leicht mit der Handfläche auf die Stirn. Ich beschloss mich einfach wieder ins Bett zu legen und wollte morgen früh sehen, was passierte. Ob ich Ärger von Adrien bekam... Allerdings wollte ich dieses Mal mit anderen, bequemeren Sachen einschlafen. Daher ging ich schnell ins Ankleidezimmer, kramte eine Jogginghose, ein bequemes weites Shirt sowie eine Sweatjacke heraus und verschwand im Bad.
Eigentlich hätte mir das offenen Fenster sofort auffallen müssen, aber das tat es erst, nachdem ich mich umgezogen hatte. Doch das reichte um mich zu beunruhigen. Wieso war das Fenster auf? Leise suchte ich in den Schränken, nach einer Nagelschere oder zumindest einer Feile! Aber da war nichts! Und mit einer Zahnbürste würde ich mich wohl kaum wehren können!
Dann hörte ich es wieder: Das Knarren! Mit leisen Schritten ging ich zum Fenster und steckte meinen Kopf hinaus. Da war niemand! Das hieß die Geräusche kamen aus meinen Zimmer! Aber das konnte nicht sein! Ich hatte doch alles kontrolliert! Aber Fakt war nunmal, dass ich es gehört hatte. Und dann erkannte ich, wonach sich dieses regelmäßige Knarren und Knarzen anhörte: Schritte! Es waren Schritte! Ich hatte mich nicht getäuscht! Natürlich nicht! Mann ich hätte mich gleich auf meinen Instinkt verlassen sollen! Angespannt warf ich einen Blick in mein Schlafzimmer. Ich war so dumm! Wenn ich fliehen wollte konnte ich nicht einmal schnell genug aus dem Zimmer, weil da ja noch abgesperrt war und der Schlüssel weg war. Aber ich hatte ihn nicht abgezogen! Trotzdem saß ich jetzt in der Falle! Still huschte ich einen Schritt aus dem Bad ins Schlafzimmer als zeitgleich ein Fauchen ertönte.
Vor mir landete Sebastian. Als Schattenwesen. Seine Augen waren schwarze Höhlen und seine Iris zeichnete sich rot ab. Die dunklen schattenartigen Flügel standen ausgefahren von seinem Rücken.
Ich schrie!
Aber nicht lange, da Sebastian mich schmerzhaft an die Wand schubste und keine Sekunde später legten seine Hände sich um meinen Hals. Erschreckte versuchte ich irgendwie ihn zu treten, während ich gegen die schwarzen Punkte ankämpfte, die sich in meinem Sichtfeld bemerkbar machten. Viel zu panisch röchelte ich nach Luft und suchte mit meiner rechten Hand neben mir auf dem Nachttisch nach irgendetwas hartem. Dann bekam ich meine gläserne Wasserflasche zu fassen und dachte nicht lange nach, sondern zerschlug sie ihm in einer schnellen Bewegung über dem Kopf. Es klirrte laut und Scherben sprangen in alle Richtungen. Seine Hand lockerte sich und ich schlug sie fort und rannte zur Tür. Aber der Schlüssel war nicht mehr da! Dabei hatte ich ihn doch stecken lassen. Mit den Fäusten hämmerte ich gegen das Holz und rief laut um Hilfe. Dann hörte ich plötzlich Schritte im Flur.
"Adrien? Adrien?", fragte ich hysterisch und trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
"Talia?", entgegnete er und ich konnte ihn durch das Holz schon fast spüren.
"Hilf mir! Sebastian ist hier drin! Und ich weiß nicht wo der Schlüssel ist!", schluchzte ich.
Dann zog Sebastian mich weg von der Tür. Ich brüllte auf und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Aber ich hatte keine Chance.
"Lass mich los!", schrie ich und schlug um mich, aber er hielt mich nur noch fester und drückte mich gegen die Wand neben der Tür. Dieses Mal fing er meine Hände ein und hielt mir sie über den Kopf. Dann kam er ganz nah und blickte mir tief in die Augen.
"Bitte lass mich!", flehte ich bitterlich und spürte wie eine Träne meine Augen verließ und über mein Gesicht lief.
"Träum weiter, Prinzessin!", hauchte er und grinste diabolisch, dabei entblösste er zwei lange scharfe Eckzähne. Hatte ich zuvor Adrien für den Teufel persönlich gehalten, wurde mir gerade bewusst dass er gar nicht so übel war. Jedenfalls im Vergleich zu Sebastian.
"Talia! Sebastian lass sie los!", hörte ich Adrien nur wenige Meter neben mir toben. Die Tür
bog sich unter seinen Schlägen.
Dann spürte ich plötzlich wie Sebastian seine Lippen auf meinen Hals legte und ich hörte augenblicklich auf mich zu wehren und hielt den Atem an. Ich hatte nicht gewusst, dass Schattenwesen wie er auch Vampire oder ähnliches waren und ich war ehrlich gesagt auch nicht scharf drauf es herauszufinden. Seine langen Eckzähne waren Beweis genug.
"Er hätte dich niemals finden dürfen. Du stellst eine Gefahr für uns dar, die wir nicht einfach so akzeptieren können.", flüsterte er und sein Atem der auf meine nackte Haut stieß, jagte mir eiskalte Schauer über den Rücken. Vielleicht war es aber auch der Inhalt seiner Wörter, der mir Angst machte und zeitgleich verwirrte.
"Was?", brachte ich nur hervor.
"Aber dein Blut riecht so unglaublich verführerisch.", wisperte er und ich spürte, wie etwas scharfes an meinem Hals entlangfuhr. Automatisch hielt ich die Luft an. Das einzige was ich hörte war, Adriens lautes Gefluche und Geschrei. Aber all das schien so unglaublich weit entfernt. Die Zeit schien still zu stehen. Nicht mehr weiterlaufen zu wollen. Mein Herzschlag klopfte laut und ich fürchtete, dass jeder in einem Umkreis von drei Kilometern es hören könnte.
Inzwischen weinte ich lautlos und hoffte, es würde bald ein Ende finden. Ich hatte Angst. So unglaubliche Angst. Innerhalb von einer Sekunde könnte er mein Leben beenden oder mir unerträgliche Schmerzen zufügen. Alleine dieses Wissen machte es verdammt schwer einfach normal weiter zu atmen.
Dann im gleichen Moment in dem seine Zähne dabei waren sich in meine Haut zu bohren, explodierte die Türe neben uns förmlich und Holz flog durch die Luft. Ich hob die Arme vors Gesicht und rutschte auf den Boden. Das was danach passierte bekam ich so genau gar nicht mehr mit. Ich weiß nur noch, dass Adrien sich auf Sebastian stürzte und ich laut schrie. Vielleicht hatte ich die rote Flüssigkeit die danach auf dem Boden war auch verdrängt. Vielleicht hatte ich die schrecklichen Schreie verdrängt. Vielleicht hatte ich die Totenstille danach ebenfalls verdrängt. Oder das Adriens Kleidung blutdurchtränkt war. Vielleicht lag es daran, dass ich weinend in meiner Ecke saß, die Augen geschlossen hielt und die Arme auf den Kopf gedrückt hatte und einfach hoffte, dass es endlich vorbei war.
Ich hatte keine Ahnung wie lange ich so verharrte, bis jemand mich vorsichtig an der Schulter berührte und ich in Adriens Gesicht blickte. Meine Augen waren rot unterlaufen vom Weinen und ich sah ziemlich fertig aus, aber all das spielte gerade überhaupt keine Rolle.
"Talia. Wir gehen jetzt in mein Zimmer. Ich möchte, dass du solange nur mich ansiehst, okay? Schaffst du das?", fragte er sanft und lächelte tröstend.
Ich nickte nur und hatte überhaupt nicht das Bedürfnis hinter ihn zu sehen und die reglose Person näher zu inspizieren.
Adrien half mir auf und blickte mir dabei die ganze Zeit in die Augen.
"Genau. Sieh mich an. Gut machst du das." Er lächelte und sprach als rede er mit einem kleinen Kätzchen, dass er zu sich locken wollte.
Nachdem wir den Raum verladen hatten, brachen bei mir alle Dämme und ich sackte schluchzend zusammen. Mein Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt und ich kniete mitten im Gang und schlug mir die Hände vors Gesicht.
Einige Zeit passierte gar nichts, doch dann hob mich jemand hoch und trug mich ein paar Gänge weiter in ein großes Zimmer. Ich wurde auf ein Bett gelegt und Adrien deckte mich zu, da ich am ganzen Körper zitterte. Danach fühlte es sich kurz so an, als würde er mir einen Kuss auf die Stirn geben, aber das konnte auch eine Einbildung gewesen sein. Als folge von dem was ich eben gesehen hatte. Ich hörte seine Schritte und wusste, dass er gehen wollte aber im richtigen Moment schoss meine Hand vor und umklammerte seine.
"Lass mich nicht alleine! Bitte!", sagte ich leise und ziemlich heiser. Seine Hand war weich und warm. Eine wundervolle Mischung.
In der Dunkelheit die uns umgab, konnte ich sehen, dass seine Augen kurz überrascht aufblitzen und er danach einige Zeit mit sich rang.
"Bitte geh nicht.", setzte ich noch einmal hinterher und hoffte seine Entscheidung so ein wenig beeinflussen zu können.
Nach zwei, drei Minuten hörte ich ihn seufzen und sah ihn im Mondlicht liebevoll lächeln.
Kurz darauf spürte ich wie er mich losließ und die Matratze neben mir sich senkte.
Dann legte sich ein stärker Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Ich dachte nicht mehr darüber nach, was ich hier tat. Ich drehte mich um und kuschelte mich an seine Brust.
"Danke.", murmelte ich, als seine Arme mich vor dem Bösen der weiten Welt abschirmten und seine Hand gleichmäßig über meine Haare fuhr.
"Immer gerne, meine kleine Kämpferin."
Ich lächelte leicht bei diesem Worten und war kurz darauf über dem beruhigenden Pochen seines Herzschlags eingeschlafen.

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt