Idiot mit Charme

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"Vergiss es!", wies Jake mich kalt ab. "Das ist eine Sache, die dich absolut nichts angeht. Ich darf nicht darüber reden und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun." Seine Stimme war ungewohnt hart und ich zuckte unter seinen Worten ein wenig zusammen.
"Tut mir leid Talia, aber darüber werde ich nicht mit dir reden. Vertrau mir: Es ist nur zu deinem besten.", ergänzte er ein bisschen ruhiger.
"Na sieh mal einer an, zumindest hast du nicht gegen meine oberste Regel verstoßen.", ertönte plötzlich Adriens Stimme hinter uns.
Ertappt sprangen wir beide auf. Dabei stieß ich versehentlich mit dem Knie gegen den niedrigen Tisch und die Tassen fielen mit einem lauten Klirren auf den Boden und zersprangen.
"Sch...", fluchte ich und sah abwechselnd erschreckt zu Adrien und dann wieder zu den Scherben, die um meine Füße verteilt waren.
"Kannst du nicht anklopfen wie jeder normale Mensch?", fuhr ich ihn an und verdeutlichte dadurch nur, dass ich gerade total überfordert war.
Adrien und Jake lachten beide, während ich beide nacheinander warnend ansah.
"Ich bin kein Mensch.", warf Adrien ein "Also gelten für mich auch andere Regeln."
Ich schnaufte abfällig. "Aber ICH bin ein Mensch und es wäre also wirklich sehr freundlich, von euch BEIDEN, wenn ihr euch in meiner Anwesenheit auch so benehmen würdet."
Adrien grinste nur breit und kam zu mir. Dann legte er seine Hände um meine Mitte und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. "Allerdings wäre das nur halb so amüsant.", flüsterte er in mein Ohr und ich biss mir auf die Zunge als ein wohliger Schauer mir über den Rücken kroch.
"Du bist ein Idiot, weißt du das?", fragte ich und lächelte ihn an.
Er lachte wieder sein raues dunkles Lachen, in das ich mich so schnell verliebt hatte und das ich eigentlich immer hören konnte.
"Aber ein Idiot mit Charme.", ergänzte er lachend.
"Jaaa.", erwiderte ich. "So kann man es natürlich auch formulieren."
Jake seufzte hinter uns und augenblicklich löste ich mich von Adrien. Es schien mir nicht fair, nach allem was er mir gerade über sich und Isabelle erzählt hatte, so verliebt mit Adrien rumzualbern.
Das Knirschen unter meiner Schuhsohle verriet mir, dass die Scherben noch immer auf dem Boden lagen. Natürlich waren sie noch da! Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn ihnen plötzlich Beine wachsen würden, mit denen sie dann wegliefen.
Sehr gut nachgedacht Einstein, sagte ich mir selber und hätte mir am liebsten noch die Hand vor die Stirn geschlagen, aber da die beiden Männer mich in diesem Moment etwas verwirrt ansahen, entschied ich, es lieber bleiben zu lassen.
"Ähm... Habe ich das gerade laut gesagt?", fragte ich und merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss als beide nickten.
"Ups... Tschuldigung.", machte ich und zog eine Grimasse.
Adrien schüttelte nur liebevoll, während Jake anfing laut zu lachen.
Eines musste ich jetzt einmal loswerden: Dafür dass Jake so viel Grausames in seinem Leben widerfahren war, war er wirklich erstaunlich gut bei der Sache. Und dafür erhielt er meinen größten Respekt.
Aber wahrscheinlich stimmte das Sprichwort "Die Zeit heilt alle Wunden" doch irgendwo, vorausgesetzt man hatte genug Zeit um den Schmerz zu vergessen.
Ich für meinen Teil war der Meinung, dass dieser Satz nicht stimmte. Wenn eine Wunde tief genug war, würde sie dich nämlich dein ganzes Leben lang begleiten...
Man konnte Gefühle abschalten oder nicht daran denken, aber vergessen konnte man nie!
Ich wusste nicht wie Jake es machte, aber egal was er dafür tat, es war absoluter Wahnsinn. Das konnte man ihm nur hoch anrechnen. Sehr hoch sogar!
"Okay. Ich habe dir etwas versprochen. Also: Was willst du heute machen?", fragte Adrien mich dann, während Jake sich auf die Suche nach etwas zum Aufkehren machte.
"Oh...", meinte ich überrascht. Da gab es viele Dinge die mir so spontan einfielen. "Hmm. Ich würde gerne etwas sehen. Lass uns doch irgendwo etwas Trinken gehen und sehen wo der Tag hinführt.", schlug ich vor und wippte auf meinen Füßen vor und zurück.
Adrien verzog das Gesicht.
Ich stöhnte. "Lass mich raten: Du solltest lieber auf dem Grundstück bleiben. Draußen ist es zu gefährlich." Während ich die letzten zwei Sätze sagte, äffte ich seine Stimme etwas übertrieben nach.
Er nickte. "Tut mir leid. Es ist nicht so, als wollte ich nicht. Du weißt doch, dass ich dich da draußen nicht beschützen kann ohne andere Menschen zu gefährden."
Eine geschlagene Minute blickte ich ihn skeptisch, mit hochgezogener Augenbraue, an, ehe ich den Kopf schüttelte und einlenkte. "Okay. Dann lass uns halt hier irgendetwas unternehmen. Ich will nur raus an die frische Luft, bevor mein Kopf explodiert. Außerdem würde uns etwas Sport ganz gut tun."
Jetzt war es Adrien der mich skeptisch ansah.
"Ist ja gut! MIR würde etwas Sport gut tun!", korrigierte ich und warf entnervt die Arme in die Luft. Warum musste er auch nur den Körper eines griechischen Gottes haben? Es war zum verrückt werden! Wirklich!
Er lachte wieder und ich streckte ihm die Zunge entgegen.
"Okay! Okay!", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Ich habs verstanden!"
"Gut.", antwortete er und grinste.
"Eine Bedingung: Ich suche aus was wir machen.", stellte ich dann klar und wusste schon ganz genau was wir machen würden... Das einzige das ich gut konnte und somit einen kleinen Vorteil gegenüber Adrien hatte.
"Damit kann ich leben.", erklärte er sich einverstanden und das Glitzern in seinen Augen verriet, dass er sich ziemlich sicher war, dass egal was wir machten er der Bessere war.
Wenn ich ihn da nicht enttäuschen musste.
Ich biss mir auf Lippe um mein siegessicheres Lächeln zu verstecken. "Dann lass uns doch gleich mal anfangen."
"Sehr gerne.", meinte er und grinste nur.
Noch lachst du, dachte ich, lächelte weiter und drehte mich um, damit er es nicht sah. Mal sehen wie lange noch...
Dann ging ich auf eine bestimmte Wand zu und zog ihn hinter mir her.
Mit jedem meiner Schritte wurden seine langsamer und irgendwie schwerer.
Ich lachte leise. Offenbar wusste er, was ich geplant hatte.
Als wir zu Stehen kamen, grinste ich ihn frech an. "Na dann such dir mal eins aus."
Er schluckte. "Du machst Scherze, oder?"
"Nein. Ganz im Gegenteil. Mein Tag, meine Auswahl, dein Pech.", erklärte ich und angelte mein Skongboard aus seiner Verankerung.
Bevor Adrien etwas dazu sagen konnte, ging die Tür daneben auf und Jake, bewaffnet mit einem Handfeger, kam herein.
Er sah uns und das Board unter meinem Arm und musste sich ein Lachen verkneifen.
"Na viel Spaß, mein Lieber.", wünschte er Adrien und klopfte ihm auf die Schulter.
"Ach das schaff ich locker.", prahlte dieser aber ich konnte die Unsicherheit in seinem Blick sehen.
Jake grunzte. "Das wage ich zu bezweifeln. Ich habs probiert und kann dir nur eins sagen: Es ist schwerer als es aussieht."
Adrien hatte nicht mehr die Chance etwas zu entgegnen, denn da war Jake schon fort.
"Das war zwar nicht Sinn der Sache, als ich dir die Dinger besorgt habe, aber nun denn...", meinte Adrien und lächelte mit zusammengepressten Lippen.
"Das war ja auch echt süß von dir. Aber was soll ich alleine mit so vielen Boards? Ich kann sie ja schließlich nicht alle gleichzeitig fahren.", konterte ich. Er würde sich jetzt nicht herausreden, so viel stand fest.
Ich nahm ein zweites Board von der Wand und drückte es ihm in die Hand.
"Keine Widerworte. Wir fahren jetzt.", befahl ich und marschierte an ihm vorbei zum Tor der Garage.
Als wir an Jake vorbeikamen, verzog Adrien hilfesuchend das Gesicht.
"Rette mich!", flehte er leise. Worauf Jake nur lachte.
"Ach Jake?", rief ich, kurz bevor ich nach draußen ging.
"Ja?", antwortete er, noch immer lachend.
"Dich erwarte ich später übrigens auch hier draußen.", erklärte ich und sofort brach sein schadenfrohes Lachen ab. Dafür fing Adrien nun an zu lachen.
Bevor Jake eine Ausrede erfinden konnte, schlüpfte ich hinaus und zog Adrien hinterher.
Ich legte mein Skongboard auf den Boden und fuhr los.
Das Pflaster hier auf der Einfahrt war super zum Fahren und ich drehte erstmal eine kleine Runde auf dem Hof. Die Wachmänner am Tor grüßten mich lachend und als sie ihren Boss hinter mir sahen, mussten sie sich ernsthaft zusammenreißen um nicht laut los zu prusten.
Adrien sah aber auch einfach bescheuert aus, um es auf den Punkt zu bringen.
Der sonst so selbstsichere, elegante, anmutige Herrscher der Schatten lief mehr neben seinem Board, als dass er fuhr und dabei wackelte er wie wild mit den Armen.
Ich schüttelte den Kopf und grinste, entschloss dann aber, dass ich ihm helfen musste. Sonst müsste er sich demnächst neue Leute suchen, weil die Alten sich totgelacht hatten und das konnte ich ja nicht zulassen.
Die nächsten Stunden verbrachte ich also damit Adrien beizubringen, wie man Longboard fuhr. Und eins musste ich ihm lassen: Er lernte schnell und machte zeitweise sogar eine echt gute Figur.
Na jedenfalls bis die nächste Kurve kam und er wieder wild ins Schwanken und Rudern kam.
Irgendwann hatte sich Jake doch tatsächlich zu uns gesellt und wir fuhren nun zu dritt auf der großen Einfahrt umher. Adrien schummelte allerdings oft mit seinen Flügeln um das Gleichgewicht halten zu können oder schneller zu sein, doch das war in Ordnung.
Ich war einfach froh Zeit mit ihm zu verbringen. Wie lange wir genau draußen waren, konnte ich nicht sagen. Inzwischen war es jedenfalls dunkel geworden und nur die Laternen entlang der Einfahrt spendeten Licht. Wenn auch nicht sehr viel.
Am Eingangstor glitzerten die Augen der Wachmänner rötlich und an ihren Gürteln blinkte etwas grün. Seit die Nacht hereingebrochen war, standen sie nicht einfach nur noch herum, sondern patrulierten in regelmäßigen Abständen über die Grundstücksgrenzen. Das heißt das Tor war meist für wenige Minuten unbewacht. Natürlich gab mir das zu denken, aber was sollte schon groß passieren? In spätestens drei Minuten würden die beiden Männer eh wieder dort stehen und alles im Auge behalten. Auch die nur leicht beleuchtete Straße.
"Du schummelst schon wieder!", rief ich in diesem Moment zu Adrien als er auf mich zu schoss. Seine Flügel hinter seinem Rücken weit ausgebreitet. Allerdings hatte er sich wohl ein bisschen verschätzt, denn er raste viel zu schnell auf mich zu und fuhr mich praktisch über.
Ich schrie auf, nur um im nächsten Augenblick laut zu lachen, als seine Schwingen mich umhüllten, wir uns blitzschnell drehten und ich auf seiner Brust zum Liegen kam.
Lachend schlug ich auf seinen Oberkörper ein. "Kannst du nicht aufpassen?", fragte ich und musste mich zwingen dabei nicht ganz so zu lachen, da man sonst nichts verstand.
"Wer sagt, dass das keine Absicht war?", fragte er grinsend und küsste mich.
Ich lächelte in den Kuss hinein. Seine Hände strichen über meinen Körper und ich dachte, ich müsste verbrennen.
Mein Kopf setzte vollkommen aus und es gab nur noch ihn.
Als ich mich kurz von ihm trennte um festzustellen, dass wir das hier vertiefen konnten weil die beiden Wachen gerade wieder ihre Runde gingen, bemerkte ich einen schwachen Lichtstrahl auf der anderen Seite des Tors.
Verwirrt zog ich die Augen ein Stück zusammen um besser sehen zu können. Wer würde Adrien denn um diese unmenschliche Uhrzeit noch einen Besuch abstatten wollen?
"Fährt einer deiner Leute einen dunklen Cadillac Escalade?", fragte ich Adrien verwirrt.
Dieser zog genauso verwirrt die Augenbrauen zusammen, war aber sofort aufmerksam. "Nein. Warum?"
Ein übles Gefühl beschlich mich. "Weil da gerade einer vor dem Tor geparkt hat."

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt