Vorahnung

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"Gehe ich recht in der Annahme, dass es diesen Freund von dir nicht gibt und wir zurück fahren?", fragte ich nach knapp einer Stunde Fahrt.
Meine Stimme klang ungewohnt rau vom vielen Weinen. In den letzten sechzig Minuten hatte ich kein Wort mit Adrien gewechselt.
Er nickte. "Da könntest du Recht mit haben."
Kommentarlos nahm ich es zur Kenntnis, dass ich in wenigen Stunden wieder in meinem goldenen Käfig eingesperrt sein würde.
Ich konnte es gar nicht erwarten. Mein einziger Lichtblick dort war Cam. Cam der komplette Gegensatz zu Adrien.
Ich zog die Schuhe aus, und die Füße auf den Sitz. Ich würde meine Familie nie wiedersehen, dieser eine Gedanke ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
"Du solltest schlafen.", sagte Adrien dann.
Ich schwieg.
"Es tut mir leid, Talia.", entschuldigte er sich nach einiger Zeit. Aber ich sah ihn trotzdem nicht an. Warum sollte ich auch?
Sein empörtes Schnaufen zeigte, was er von meinem Ignorieren hielt.
"Was tut dir leid?", hakte ich letzen Endes dann doch nach.
Er zuckte mit den Schultern. "Dass ich dich hergebracht habe in der Hoffnung du könntest damit abschließen, vielleicht."
"Abschließen?", echote ich trocken und blickte ihn ungläubig an. "Du hast gehofft ich würde mit meiner Familie anschließen?!" Ich wurde immer lauter. "Das ist meine Familie! Nur weil du keine mehr hast, musst du mir meine nicht nehmen!", brüllte ich und funkelte ihn wütend an.
Statt dem erwarteten Wutanfall seinerseits, blieb er still und wandte den Blick von mir ab.
Und erst da wurde mir bewusst, was ich gerade gesagt hatte. Und ich wusste, dass ich eine Grenze überschritten hatte. Seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad und er fokussierte die Straße peinlich genau.
"Adrien.", sagte ich leise. "Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen sollen. Es war unfair von mir."
Einige Zeit lang reagierte er gar nicht auf meine Worte, bis er schließlich laut seufzte und den Kopf schüttelte.
"Schon gut. Es stimmt. Du hast Recht.", gab er nach und ich musste mich beinahe kneifen um sicher zu sein, dass ich ihn nicht falsch verstanden hatte.
"Es fällt mir nur schwer dich gehen zu lassen, dabei würde ich es so gerne tun. Du solltest glücklich sein und ich würde dich so gerne glücklich machen. Ich klammere mich so an diesen Gedanken, dass ich fast vergesse dass du auch Gefühle hast und ich auf diese vielleicht Rücksicht nehmen sollte. Ich gebe zu: Ich bin kein Gott und auch ich mache Fehler und ja, ich bin egoistisch, eingebildet, ignorant und abgehoben. Aber du kannst mir nicht sagen, dass du nicht neugierig bist die Person hinter diesen Eigenschaften kennenzulernen." Kurz unterbrach er seinen Redeschwall um tief Luft zu holen, was wirklich süß war und um ehrlich zu sein ließen seine Worte mich nicht ganz kalt. Vielleicht weil sie wahr waren?
"Aber ich kann dich nicht mehr gehenlassen. Selbst wenn ich es könnte. Da draußen gibt es viele Personen und eine ganz besondere, die gefährlich sind. Die dir etwas antun wollen und das nur, weil ich dich bei mir habe.", erklärte er sanft und ich entspannte mich ein wenig. Konnte ich wirklich glauben, dass Adrien mich schützen wollte? Durfte ich das glauben? War das die Wahrheit? Ich wusste es nicht. Nur dass ich ihm vertraute, was schon schlimm genug war...
Als ich nicht gleich antwortete drehte er sich zu mir und sagte liebevoll meinen Namen.
"Ich... weiß ehrlich gesagt nicht was ich dazu sagen soll.", gestand ich und fuhr mir verlegen durch die strubbeligen Haare.
"Du musst gar nichts sagen.", erwiderte er direkt und lächelte.
"Du solltest wirklich schlafen. Wenn wir Zuhause sind unterhalten wir uns nochmal ganz in Ruhe darüber.", fügte er hinzu und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
Ich schnaufte. "Es ist dein Zuhause. Nicht meins."
Er lachte nur. "Noch nicht."
Fast hätte ich ihm ein lautes 'Niemals' an den Kopf geschmissen, entschied mich im letzten Moment aber dagegen. Es würde nichts bringen jetzt mit ihm darüber zu diskutieren.
So beließ ich es bei einem empörten Stöhnen und verdrehte die Augen.
Dann lehnte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und blickte nach draußen. Das Glas lag kalt an meiner Stirn und ich genoss das Gefühl der Geschwindigkeit. Der Wagen war, abgesehen von ein paar Motorgeräuschen, total leise. Kein Radio. Keine Stimmen. Nichts.
Die Nacht war kalt und klar. Selbst hier auf der Autobahn begegneten uns nur ganz vereinzelt mal ein paar andere Fahrzeuge. Kein Wunder es war kurz vor eins.
Erst jetzt viel mir Mr. Dumbels in meiner Hand wieder ein und ich hob das Kuscheltier ein wenig um es genauer zu betrachten. Er war so süß und er würde mich immer an Mary erinnern. Mit Tränen in den Augen drückte ich den weißen Teddy an mich und blickte wieder nach draußen. Das letzte was ich wahrnahm, war Adriens kindliches Lächeln und, dass er mir eine gute Nacht wünschte. Hätte ich gewusst wie schlimm diese Nacht noch werden würde, wäre ich nie in dieses Auto eingestiegen...

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt