Eine erdrückende Stille hatte sich über den Raum gesenkt und ich wagte es nicht einmal mehr zu atmen.
"Cam du schuldest mir eine Erklärung.", meinte Adrien und schnappte sich mein Handgelenk, als ich versuchte mich an ihm vorbei und in den Flur zu drängen.
"Und du. Hast du mich denn gar nicht vermisst?", wollte er selbstverliebt wissen.
"Seh ich etwa so aus?", knurrte ich und wollte mich losreißen, aber das klappte natürlich nicht.
"Um ehrlich zu sein, nein. Und genau das ist es, was mir Sorgen macht.", flüsterte er und kam mit seinem Gesicht ganz nah an meins. Seine eisblauen Augen brannten sich in meine und schienen bis auf die tiefsten Abgründe meiner Seele zu blicken. Seine Hand glitt an meiner Wange hinab und ich hielt die Luft an. Er lächelte. Ich nicht.
Vorsichtig warf ich einen Blick zu Cam. Dieser stand ein paar Meter entfernt und beobachtete uns angespannt.
"Deine Haut ist so weich.", stellte Adrien fest und hatte damit wieder meine volle Aufmerksamkeit. Ich spürte, wie seine Finger durch meine Haare glitten und schluckte. Ängstlich begann ich zu zittern.
"Das kommt, wenn man sie pflegt.", sagte ich leise und damit nur halb so giftig wie beabsichtigt.
Er lachte. "Was bist du doch für ein kleines unschuldiges Menschlein?"
"Immerhin bin ich eins.", antwortete ich atemlos.
Sein Körper war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt, ebenso wie seine Lippen. In diesem Moment wünschte ich mir, dass er sich vorbeugte und mir näher kam. Dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. Dass er mich küsste.
Würden sich seine Lippen so weich anfühlen, wie sie aussahen?
Dann erinnerte ich mich plötzlich daran, dass das hier Adrien war. Adrien. Das herzlose Monster!
Schnell riss ich mein Knie hoch, traf und flüchtete aus der Küche.
Hinter mir hörte ich Adrien einen ungeduldigen Schrei ausstoßen. Als ich die große Treppe nach oben rannte, nahm ich immer zwei Stufen auf einmal.
Dann sprang ich in mein Zimmer und warf die Tür hinter mir zu. Das letzte was ich sah, war Adriens wütendes Gesicht. Aber er war zu spät. Ich drehte den Schlüssel herum und schob den Schminktisch vor die Tür.
Auf der anderen Seite hämmerte ER wild dagegen und brüllte sich die Seele aus dem Leib.
"Talia! Mach sofort diese Tür auf oder ICH TRET SIE EIN!!!"
Aber ich dachte gar nicht daran. Pffffft! Lebensmüde, war ich gewiss nicht!
"Nein!", lachte ich, setzte mich auf die Fensterbank und beobachtete die Tür. Er schlug noch ein paar Mal dagegen und ich begann schon zu befürchten, dass sie nachgeben würde, aber dann sah ich einen Bentley auf den Vorhof fahren.
"Da kommt ein Auto, Adrien. Geh mal lieber nachsehen, wer von deinen Schoßhündchen jetzt was braucht.", informierte ich und kicherte. Ein weiterer dumpfer Schlag gegen die Tür ließ mich stoppen.
"Das wird ein Nachspiel haben!", drohte er. "Du wirst nicht ewig da drinnen bleiben können. Und wenn du diese Türe öffnest, werde ich genau hier stehen und dich erwarten. Und dann kannst du was erleben. Das schwöre ich!"
Seine Worte ließen mich erschaudern und ich wägte tatsächlich kurz ab, die Tür wieder zu öffnen, als es klingelte.
"Warts nur ab!", drohte er ein letztes Mal. Danach hörte ich seine Schritte im Flur verhallen und atmete erleichtert auf. Gerade noch mal gut gegangen. Seufzend glitt ich von der Fensterbank und fiel rückwärts auf das große Bett. Man hatte es frisch bezogen und ich rollte mich in den Decken zusammen. Ich vergrub behutsam meine Nase im Stoff und zog den Geruch von frischen Weichspüler ein. Das erinnerte mich an zu Hause... An meine Mutter. Und Mary. Und den Vater den ich nie hatte.
Schnell wischte ich die Tränen weg und wandelte sie in Wut. Auf meinen Dad. Der keiner war. Sondern bloß ein Erzeuger. Wenn ich ihm jemals gegenüber stehen sollte, würde ich ziemlich sicher ausrasten! Wahrscheinlich würde ich in ihm in meinem Zorn viele Fragen an den Kopf werfen, ohne seine Version der Geschichte zu hören. Vielleicht gab es tatsächlich berechtigte Gründe, warum er meine Mutter verlassen hatte. Vielleicht tat ich ihm dann damit Unrecht. Aber das war mir egal.
Er war mein Vater!
Mary war also eigentlich nur meine Halbschwester. Sie ist aus einer Beziehung meiner Mutter mit einem anderen Mann entstanden. Einem, der sie auch verlassen hatte, als er erfuhr dass sie schwanger mit ihr war.
Das Leben konnte so verdammt unfair sein.
Ein leises Klopfen an der verbarrikadierten Türe ließ mich aufhorchen. Mit dem Handrücken fuhr ich mir über das Gesicht und setzte mich auf. Die Türklinge wurde nach unten gedrückt. Aber ich würde nicht öffnen.
"Talia? Ich bin's Cam. Mach die Tür auf.", bat er. Seine Stimme war wirklich verlockend seidig und ich geriet erneut ins Zögern.
Als ich nicht antwortete, sondern abwartete fuhr er fort:
"Komm schon! Ich weiß, dass du da drinnen bist. Mach die Tür auf!" Fast bildhaft konnte ich mir vorstellen, wie er auf der anderen Seite der Wand stand und angestrengt lauschte.
"Warum sollte ich? Nenn mir einen guten Grund.", erwiderte ich jedoch nur.
"Wenn Adrien sein Gespräch mit dem Vorstand beendet hat und du immer noch in deinem Zimmer bist, wird er ausrasten und sich eine andere Möglichkeit suchen zu dir zu kommen. Koste es was es wolle. Ich kenne meinen Bruder und ich rate dir eines: Provoziere Adrien nicht zu sehr. Er mag es zwar, wenn man ihm die Stirn bietet, aber Pass ja auf, dass du dir nicht deine Nägel ausreißt, beim Versuch ihn zu kratzen.", riet Cam und versuchte erneut die Türe zu öffnen.
Mit dem was er sagte, schaffte er es aber dennoch mein Gewissen zu berühren und jetzt begann ich mich erst recht zu fragen, ob es der richtige Weg war, den ich gerade ging.
"Talia?", fragte er laut und klopfte sanft gegen die Tür.
"Hm?", machte ich nur und blickte auf.
"Hast du mir zugehört?" Ich konnte mir sein leicht genervtes Lächeln bildhaft vorstellten, obwohl wir uns nicht sehen konnten.
"Was? Nein! Tut mir leid!", warf ich alles durcheinander.
"Nicht so schlimm. Treib's einfach nicht zu weit mit Adrien und pass auf dich auf, ja?", wiederholte er.
"Danke Cam.", meinte ich und lächelte.
Kurze Zeit blieb alles still. Dann entfernten sich Schritte. Cam war weg.
Ich war wieder allein. Allein in der Höhle des Löwen.
Und doch war es nur eine Frage der Zeit, bis der Löwe zurückkam und mich in einem Stück verschluckte.
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Schwingen der Nacht
FantasyTalia ist ein 19-jähriges Mädchen, dass ihr Leben in vollen Zügen genießt. An das Gerücht, dass in ihrer Stadt rumgeht glaubt sie nicht wirklich. Darin heißt es, dass jeden Vollmond ein geflügeltes Wesen von unmenschlicher Schönheit in ihrer Stadt...