Ich wusste jetzt wer der Fremde war...
Ich hörte noch wie Cam und Adrien diskutierten und ärgerte mich, dass ich meine Tablette schon geschluckt hatte, denn ich merkte bereits wie sich mich ins Reich der Träume zog. Natürlich wusste ich, dass ich schlafen musste um gesund zu werden. Aber das hier war eine absolute Ausnahmesituation. Nassim war hier und mir fiel nichts Besseres ein, als zu schlafen. Das war ja mal wieder typisch für mich.
„Talia." Adrien kam zu mir ans Bett und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. „Woher willst du wissen, dass es Nassim war?" Seine Frage war berechtigt.
„Ich weiß es nicht.", antwortete ich daher ehrlich.
„Okay. Hat er mit dir geredet? Hat er dich angefasst? Kannst du dich an irgendetwas erinnern?", fragte er und ich schloss kurz die Augen. Es fiel mir mit jeder Sekunde schwerer mich zu konzentrieren. Warum hatte ich nur die doofen Medikamente schon genommen?
„Hm...", machte ich und spürte wie verlockend der Schlaf nach mir rief.
„TALIA!", sagte Adrien laut und ich schreckte hoch. War ich etwa eingeschlafen? So kurz?
„Tut mir leid.", entschuldigte ich mich erst. „Er hatte gelbe Augen. Katzenartig. Braune Haare und diese kleine Narbe in der linken Augenbraue.", erinnerte ich mich dann und klappte danach meine Augen zu. Wieso fiel mir das Reden denn plötzlich so schwer? Ach ja, stimmt. Die Schlaftabletten.
Ich sah wie Adrien zu Cam blickte. Die beiden tauschten einen Blick und ich wusste, dass ich Recht hatte. Mein unbekannter Besucher war Nassim.
„Ich hab euch doch gesagt, dass er es war.", behauptete ich bevor ich mich auf die Seite rollte. Adrien küsste mich auf die Stirn und kurz darauf war ich eingeschlafen.Am nächsten Morgen wachte ich im gleichen Bett wie am Abend zuvor auf und war aus diesem Grund auch ungeheuer erleichtert. Adrien hatte nicht über Nacht fluchtartig das Krankenhaus verlassen. Das ließ ja darauf hoffen, dass er während der letzten Jahrhunderte doch nicht sein komplettes Gehirn verloren hatte.
Der erste Ort an den mein Blick wanderte, war das Fenster. An die Stelle an der Nassim gestern Nacht gestanden hatte. Natürlich war dort jetzt niemand.
Schwerfällig richtete ich mich auf. Meine Brust schmerzte. Das Wetter war besser als gestern, wenn auch nicht sehr einladend. Der Himmel war grau und alles war nass. Wenn der Wind durch die Bäume vor meinem Fenster fuhr, flogen einige schwere Wassertropfen gegen das Glas.
Ich strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und stellte fest, dass ich für eine heiße Dusche morden würde. Jeden zweiten Tag kam jemand und wusch mir die Haare, aber es war nicht dasselbe. Ich wollte selber unter dem Wasser stehen und einmal meinen ganzen Körper von oben bis unten heiß baden. Denn so fühlte ich mich nur noch kranker.
Noch etwas schläfrig sah ich mich im Zimmer um. Cam lag auf der Couch, die wohl jemand letzte Nacht noch geholt haben musste und schlief tief und fest. Sein Mund war ein wenig geöffnet und eine Gesichtshälfte war in die Kissen gepresst. Na der würde später noch seinen Spaß haben, dachte ich und lächelte. Dann fiel mir auf, dass er ganz leicht schnarchte. Oh Gott war das süß. Cam schnarchte! Schnell biss ich mir auf die Lippe um nicht zu lachen und ihn somit zu wecken.
„Auch schon wach?", ertönte eine Stimme hinter mir und ich fuhr erschreckt herum. Was ein fataler Fehler war. Durch die abrupte Bewegung riss ich an meiner Brust und der Bauchdecke. Sofort zog ich scharf die Luft ein und presste vorsichtig die Hand auf den Verband.
Es dauerte keine Sekunde bis Adrien neben mir war und mich besorgt ansah. „Tut mir leid. Das wollte ich nicht.", entschuldigte er sich und ich atmete wieder aus.
„Was bist du auch so bescheuert und erschreckst mich von hinten?", flüsterte ich um Cam nicht zu wecken. Aber der unterdrückte Zorn in meiner Stimme war dennoch nicht zu überhören.
„Ja es tut mir echt Leid, okay?", lachte er und ich musste ebenfalls ein bisschen grinsen.
„Ist ja gut. Ich sag ja gar nichts mehr.", wehrte ich ab und lachte. Doch aus dem Lachen wurde relativ schnell ein lautes Husten, da es einfach zu sehr wehtat. Ich krümmte mich vorneüber und fand mich kurz darauf halb auf Adrien wieder.
Wir waren beide ziemlich überrascht über die Situation und als ich feststellte wie nah unsere Lippen einander waren, wäre ich fast zurückgezuckt. Aber eben nur fast.
Diese roten, vollen Lippen. Diese Versuchung. Von der ich nicht wusste, wie lange ich ihr noch widerstehen konnte.
Sein Gesicht kam immer näher. Am Schluss trennten uns vielleicht zwei Zentimeter. Ich schluckte. Sollte ich wirklich...?
Unsere Nasenspitzen berührten sich. Ich könnte es tun. Es wäre nicht das erste Mal. Wobei unser erster Kuss ja nicht zählte, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits halb tot war.
Es wäre so leicht. So unglaublich leicht.
Ein lautes Geräusch riss uns plötzlich auseinander. Erschreckt sah ich mich um und identifizierte das Geräusch als Cams Schnarchen. Er schmatze im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite.
Als ich wieder zu Adrien sah, waren meine Wangen hochrot. Aber so ging das nicht mehr weiter. Irgendwann würde ich sonst wohl noch an einem Herzinfarkt draufgehen.
„Ich glaube wir sollten reden.", schlug ich daher leiser vor und rutschte ein Stück zur Seite, damit Adriens ich setzten konnte. Sein Gesichtsausdruck zeigte nur allzu deutlich seine Verwirrung. Aber jetzt hatte ich schon angefangen, also musste ich das durchziehen.
Er setzte sich also neben mich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sprich!", forderte er mich auf.
Ich atmete tief durch. „Das geht so nicht mehr weiter."
„Was?", fragte er und seine Augen zeigten auf der einen Seite seine Belustigung auf der anderen Seite schien er genau zu wissen, um was es ging.
„Dieses ständige Hin und Her zwischen uns. Ich muss jetzt wissen, was das zwischen uns ist. Ich meine... Erst küsst mich, kurz bevor ich sterbe und dann gibt es Tage da denke ich, du würdest mich am liebsten anfallen und in einem Stück verschlucken, oder so!", erklärte ich und war ziemlich froh, dass ich es endlich gesagt hatte. Diese Erleichterung die sich in meinem Körper breit machte, war unbeschreiblich!
Adrien legte den Kopf schief und sah mich mehrere Minuten einfach nur schweigend an.
Gerade als ich ihm sagen wollte, dass ich sein Schweigen unfair fand, bewegten sich seine Lippen. „Du willst wissen, was das zwischen uns ist?", fragte er und ich hätte am liebsten laut aufgeschrien. Ja er war ein Mann. Aber kein Mann der Welt konnte so schwer von Begriff sein, oder? Es war... ARGH!! ICH BRING IHN UM!
„Nein, ich will wissen, ob es am Nordpol schneit!", entgegnete ich und verdrehte die Augen.
Sein Blick zeigte, dass er das nicht lustig fand doch das war mir relativ egal. Sollte er doch denken was er wollte! Solange ich keine Antwort hatte würde ich sagen was ich wollte.
„Im Großen und Ganzen ist das zwischen uns ganz einfach zu sagen:", baute er dann den Spannungsbogen auf und wenn mich die ganzen Kabel nicht ans Bett fesselten wäre ich ihm spätestens jetzt an die Gurgel gesprungen.
Allerdings musste ich mich so mit einem ungeduldigen Schnauben und einem warnenden Blick in seine Richtung zufrieden geben.
„Ich mag dich, Talia.", meinte er dann und lächelte dieses wunderschöne Lächeln bei dem meine ganze Wut sofort verpufft. Zack! Weg war sie. Wie eine Seifenblase.
HALT STOP! Hatte er gerade gesagt er mochte mich?!
„Ich mag dich sogar sehr Talia.", widerholte er und ich starb gerade erneut. ER mochte MICH! Und das sogar sehr.
„Ich schäme mich dafür, dass ich das erst gestehen konnte, als ich dachte ich würde dich verlieren. Ich habe mich immer für mutig und unbesiegbar gehalten. Doch dann bist du in mein Leben getreten und nichts war wie vorher. Es tut mir leid, dass ich mich anfangs wie ein ziemliches Arschloch benommen habe, aber ich hatte Angst vor den Gefühlen, die du in mir geweckt hast. Das kannte ich so nicht und ich brauchte meine Zeit um damit umzugehen. Vielleicht wollte ich dir auch Angst einjagen um einen Grund zu haben, dich aus meiner Welt rauszuhalten. Denn meine Welt ist ziemlich grau und düster. Jemand wie du hat etwas anderes verdient. Etwas Besseres. Nicht so ein herzloses Monster, das erst lernen muss, wie man liebt."
Mir stockte der Atem. Bestimmt schlief ich noch und die Tabletten hatten diese Halluzination hervorgerufen. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Was wollte er mir jetzt damit sagen? Dass er mich liebte?
Ich ging seine Worte nochmal ganz genau in meinem Kopf durch und stellte fest, dass es mir ja genau so ging. Ich hatte auch Angst vor den Emotionen die er in mir hervorrief.
Aber warum ging es ihm genauso?
Ich hatte wissen wollen was das zwischen uns war, aber ich hatte natürlich nicht mit so einer Antwort gerechnet.
„Ich weiß, dass es schwer so etwas mich zu lieben. Aber ich möchte probieren ein guter Mann zu sein. Ich möchte dich gerne kennenlernen. Du gehörst genauso in diese andere Welt wie ich und wenn ich eines in all den Jahren gelernt habe, dann dass es schöner ist, diese Welt mit jemanden an der eigenen Seite zu entdecken. Talia. Ich kann mich ändern. Ich werde mich ändern. Gib mir diese eine Chance und ich verspreche dir du wirst es nicht bereuen. Du wirst sehen, ich bin gar nicht so übel. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Findest du nicht?", wollte er wissen und lächelte matt.
Ich war jedoch wie erstarrt. Was sollte ich darauf antworten? Um ehrlich zu sein war ich gerade ein wenig überfordert.
Was antwortete man denn auf eine Frage dieser Art? Unbeweglich saß ich in meinem Bett und starrte ihn an.
Wenn ich jetzt ablehnte, würde er gehen. Er würde mich in Ruhe lassen. Ich könnte zurück nach Hause. In mein altes Leben. Doch wollte ich das überhaupt noch? Er hatte so viel für mich getan und ach ich wusste auch nicht recht.
Also blieb ich einfach genauso wie ich gerade war und hoffte auf eine hilfreiche Eingebung.
Tja das hatte ich jetzt also meiner großen Klappe zu verdanken...

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Schwingen der Nacht
FantasíaTalia ist ein 19-jähriges Mädchen, dass ihr Leben in vollen Zügen genießt. An das Gerücht, dass in ihrer Stadt rumgeht glaubt sie nicht wirklich. Darin heißt es, dass jeden Vollmond ein geflügeltes Wesen von unmenschlicher Schönheit in ihrer Stadt...