Einige Monate später...
"Adrien würdest du gehen?", bat ich ihn, als das Klingeln der Tür ertönte.
Seufzend stand er auf, legte die Zeitung beiseite und kam zu mir.
"Aber nur weil du es bist.", meinte er lächelnd, legte seine Hände auf meine Hüfte und zog mich an sich. Seine Lippen streiften meine und der Pfannkuchen in der Pfanne war plötzlich nur noch Nebensache.
Das erneute Klingen trennte uns schließlich.
"Kann jetzt nicht einfach mal jemand die Tür aufmachen?", schrie Cam, knallte die Terrassentür hinter sich zu, warf seine Handschuhe durch den Raum und marschierte in den Flur.
Adrien und ich sahen uns an und begannen zu lachen.
Es war so viel passiert in den letzten Wochen. Weihnachten lag bereits hinter uns und draußen fielen lautlos weitere weiße Flocken vom Himmel.
Nachdem Luce Nassim und seine Handlanger in die Hölle verband hat, hat Adrien seine Leute "freigestellt". Er hatte ihnen gesagt, dass sie gehen dürfen. Einige von ihnen kehrten zu ihren Familien zurück, während andere sich irgendwo ein neues Leben aufbauten. Allerdings hat uns auch die traurige Nachricht erreicht, dass ein paar wenige sich umgebracht haben um endlich Frieden zu finden.
Jake hatte lange mit sich gekämpft. Für ihn gab es kein Zuhause. Er selber war der Ansicht, dass die Welt zu kalt sei um jemanden wie ihn Willkommen zu heißen.
Cam und Adrien hatte sich lange und ausgiebig unterhalten und waren zu dem Schluss gekommen, dass Familie zusammenhalten musste.
Also blieb Cam bei uns.
Gemeinsam haben wir uns Jakes Haus eingerichtet. Es gefiel uns einfach zu gut um es einfach so aufzugeben.
Außerdem hingen bei jedem von uns Erinnerungen und ein Stück Herz an diesen Gemäuern.
Adrien und ich waren ins Dachgeschoss gezogen und hatten einen Teil des Dachs durch ein spezielles Glas ersetzt, denn auch wenn Adrien nicht darüber sprach, so wusste ich, dass ihm der Himmel und seine damit verbundene Freiheit fehlte.
Cam und ich hatten lange überlegt wie wir Adrien die Umstellung erleichtern konnten. Bis uns die Idee mit dem Dach gekommen war.
Ich hatte wieder angefangen Klavier zu spielen und Gesangsunterricht zu geben. Man konnte sagen, dass der Alltag uns eingeholt hatte.
Wir waren eine bunt zusammengeworfene Familie. Jeder war für jeden da.
"An was denkst du gerade?", fragte Adrien sanft, während ich den verbrannten Pfannkuchen in den Mülleimer kratzte.
"Ich überlege wie ich jetzt meine Schwester satt kriegen soll.", murmelte ich und legte die Pfanne in die Spüle.
Adrien lachte und half mir den Tisch zu decken. "Ich glaube Mary kriegt auch so genug."
"Das wurde aber auch mal Zeit.", ertönte sogleich die Stimme meiner kleinen Schwester im Flur. "Wir sind da draußen schon fast festgefroren!", beschwerte sie sich und kam mit völlig wirren Haaren ins Wohnzimmer gestürmt.
Als sie uns entdeckte, steuerte sie auf uns zu, stoppte aber als sie den gedeckten Esstisch sah und blickte mit großen Augen darüber.
"Wer soll das denn alles essen?", wollte sie wissen und Adrien und ich lachten beide.
Sie zog einen Schmollmund, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte uns beleidigt an.
Die große Mütze rutschte ihr dabei tief in die Stirn.
Ich lächelte als Adrien sich von mir löste und anfing meine kleine Schwester durch das Wohnzimmer zu scheuchen.
Mary quiekte auf und versuchte sich hinter dem Sofa zu verstecken.
Mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete ich die beiden und stellte fest, wie glücklich Adrien aussah.
Seine Augen leuchteten, als er Mary erwischte und sie durch die Luft wirbelte.
Ihre Mütze flog ihr vom Kopf.
Cam kam grummelnd zurück aus dem Flur und warf mir einen leicht wütenden Blick zu. Aber ich grinste nur fies zurück.
Er hatte schlechte Laune, weil er diese Woche an der Reihe war, die Einfahrt vom Schnee zu befreien. Es war reiner Zufall, dass natürlich ausgerechnet an diesen Tagen der meiste Schnee gefallen war.
"Jake Jake Jake!", kreischte meine kleine Schwester lachend und kurz darauf tauchte auch schon ein blonder Haarschopf im Türrahmen auf.
"Was ist den los?", fragte er, während er sich die Winterjacke von den Schultern zog und seine Schuhe abstreifte.
Seine Wangen waren gerötet und er wirkte, als hätte er es bis eben ziemlich kalt gehabt. Aber das waren wohl die Konsequenzen, wenn man meiner Schwester versprach ihr einen Schneemann zu bauen und dann noch den größten, den sie jemals gesehen haben sollte.
Da konnte ich nur sagen: Selber Schuld.
Als Jake die Situation erkannte, lachte er und kam zu mir rüber. Ich stupste ihn in die Seite und drückte ihm eine dampfende Tasse Chai Tee in die Hand. Inzwischen war er nämlich genauso süchtig danach wie ich.
"Danke.", sagte er und küsste mich auf die Wange.
Jake war wirklich ein Bruder für mich geworden und was viel wichtiger war: Adrien akzeptierte es. Er bekam seine Eifersucht langsam echt gut in Griff. Zumindest bei Jake. Andere Männer an meiner Seite zu sehen, war jedoch noch immer schwer für ihn.
"Immer gerne.", erwiderte ich und sah wieder zu den anderen. Cam hatte sich derweil zu seinem Bruder gesellt und zu zweit ärgerten sie Mary jetzt. Um es genauer zu sagen, spielten sie nun fangen und das wohlbemerkt im Wohnzimmer!
"Na hoffentlich bleibt alles heil.", sprach Jake in diesem Moment meinen Gedanken laut aus.
"Wenns passiert, passiert es.", lachte ich. In der Sekunde in der ich dachte, ich hätte Adrien für immer verloren, hatte ich gelernt, dass alles ersetzbar war nur das Leben nicht. Sachen konnten kaputt gehen und man könnte einfach etwas neues oder Ähnliches kaufen, oder aber man reparierte es einfach.
Mit einem kaputten Herzen war das etwas komplizierter: Ein gebrochenes Herz konnte man weder ersetzen noch reparieren.
Jake ahnte offenbar, an was ich dachte, denn er stellte seine Tasse ab und nahm mich in den Arm.
"Er ist hier bei uns und freiwillig wird er dich nie wieder aus den Augen lassen.", flüsterte er und ich merkte wie mir Tränen in die Augen stiegen.
Schnell löste ich mich von ihm und lächelte. "Ich weiß." Meine Stimme klang belegt und ich putzte mir rasch die Nase, bevor noch jemand anderem auffiel, dass meine Augen feucht waren.
"Mary.", unterbrach ich die tobende Meute dann und sofort lagen alle Blicke auf mir. "Würdest du bitte rübergehen und Mama holen?"
Sie zog sich ihre Mütze wieder an und salutierte spielerisch vor mir. "Ai Ai große Schwester!", sagte sie und begann laut loszuprusten.
Ich lachte kopfschüttelnd, als Cam hinter ihr her nach draußen rannte.
Meine Ma und Mary waren kurz vor Weihnachten angereist um sich anzusehen, wie ich lebte und wo ich wohnte.
Anfangs war gerade meine Mutter nicht sehr begeistert davon, dass ich mit drei Jungs zusammenwohnte, aber nachdem sie alle kennengelernt hatte, fand sie sich damit ab. Außerdem vertraute sie Adrien und wusste er würde mich niemals verletzen.
Ich war überglücklich gewesen, als Adrien den Vorschlag gemacht hatte, die Feiertage mit meiner Familie zu verbringen.
Tja und keine Woche später trudelten Mum und Mary dann auch schon hier ein. Mary mischte das Leben hier ziemlich auf, aber ich musste sagen, es gefiel mir.
Alles was mir wichtig war, war hier: Meine eigene Familie. Die Jungs. Adrien.
Man konnte sagen, ich war angekommen und hatte meinen Platz in der Welt gefunden.
Und dieser Platz war genau in Adriens starken Armen. Auch wenn er ein Mensch war. Für mich war er viel mehr... Ich konnte es nicht beschreiben.
Adrien verscheuchte Jake von meiner Seite und klemmte mich zwischen sich und der Küchenarbeitsplatte ein.
"Hallo schöne Frau.", hauchte er und ich sah den Schalk in seinen blauen Augen aufblitzen. Die Augen in die ich mich vom ersten Moment an verliebt hatte.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. "Hallo schöner Mann. Was kann ich für Sie tun?"
Adrien grinste. "Viel. Aber damit sollten wir lieber warten, bis niemand mehr wach ist."
Verwirrt sah ich ihn an.
Er lachte laut und schloss seine Arme um mich. "Genau dafür liebe ich dich so." Sein raues Lachen hallte in meinen Ohren wieder und versetzte meinem Herz einen kleinen Anstoß. Es begann sofort wie verrückt in meiner Brust zu klopfen.
"Oh bitte!", drang die Stimme meiner Mutter zu uns und ich blickte vorsichtig an Adrien vorbei ins Wohnzimmer.
"Es gibt wirklich viel, dass eine Mutter vom Leben ihrer Tochter erfahren möchte, aber einiges will selbst ich nicht hören!", lachte sie und ließ sich an den Esstisch fallen.
"Dann ist es ja gut, dass ich dir nicht immer alles erzähle, Mama.", konterte ich, griff nach Adriens Hand und zog ihn zum Tisch. Wir setzten uns ebenfalls und keine Minute später, war jeder Platz besetzt.
Alle lachten und aßen. Es war wunderschön.
"Wie geht es Anna?", wollte ich an meine Mutter gewandt wissen.
Anna war Chris Mutter. Chris hatte sich körperlich überraschend gut erholt, nach seinem Sturz. Doch seine Psyche war das komplette Gegenteil. Dauernd sprach er von einem geflügelten Wesen mit roten Augen, dass ihn geschubst hatte.
Er hatte das halbe Krankenhaus damit in den Wahnsinn getrieben und schließlich kam es wie es kommen musste: Man verwies in eine naheliegende Kreisklinik.
Er war in Behandlung gekommen, aber es sah nicht wirklich gut aus. So sehr war er sich sicher, dass er dieses Monster gesehen hatte. Und er hatte ja Recht. Nur konnte ihm das natürlich keiner sagen.
Seine Mutter entschied sich dafür ihn wieder zu sich zu holen, da die Ärzte meinten, dass ein Leben ohne Betreuung nicht vorstellbar für ihn wäre.
"Den Umständen entsprechend.", antwortete meine Ma und zuckte mit den Schultern.
Sie half Anna wo es nur ging dabei, Chris Sachen zu verpacken und zu ihrer Wohnung zu fahren.
Adrien legte unter dem Tisch seine Hand auf meinen Oberschenkel und begann kleine Kreise zu malen.
Ich sah ihn warnend an, aber er lächelte nur und aß seelenruhig weiter, während ich damit kämpfen musste still zu sitzen.Einige Stunden später lagen wir nebeneinander in unserem großen Bett und blickten in den klaren Nachthimmel.
Adriens Hand strich regelmäßig über meinen Rücken. Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich lauschte dem Schlagen seines Herzens.
"Vermisst du es?", fragte ich leise und schielte ihn von meiner Position aus an.
Er wusste sofort was ich meinte und überlegte einige Zeit.
Für ihn war es eine ziemliche Umstellung vom mächtigsten Wesen der Welt zu einem normalen Menschen zu werden und gerade anfangs hatte er oft mit Problemen gekämpft. Es waren so viele Kleinigkeiten, die einfach für einen Menschen nicht zu schaffen waren, die er als Engel der Nacht allerdings mit links geschafft hatte.
Ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass gerade das Fliegen ihm fehlte.
Schließlich seufzte er. "Ja. Aber es wird leichter."
"Bereust du es?" Ich richtete mich ein Stück auf um ihn besser sehen zu können.
Entsetzt sah er mich an. "Wie kommst du darauf?"
Ich schüttelte den Kopf. "Ist nur so eine Ahnung."
"Wenn ich es bereuen würde, wäre ich jetzt nicht hier bei dir. Talia, du bist alles was ich habe. Meine Schwingen sind ein Teil meiner Vergangenheit. Aber das ist nicht von Bedeutung, denn DU bist meine Zukunft und ich bin dankbar, dass mir diese Möglichkeit gegeben wurde. Ohne dich, wäre ich jetzt nicht hier. Ich will ein glückliches, erfülltes Leben. Ich will in 15 Jahren unsere Kinder nach Onkel Cam und Jake schreien hören. Ich will mit grauen Haaren und dir an meiner Seite auf mein Leben zurückblicken und sagen, dass ich das Richtige getan habe. Ich will, dass bei allem was noch kommt, du neben mir bist." Seine blauen Augen suchten meine und seine Hand fuhr mir sanft über die Wange.
"Talia, ich liebe dich und das mehr als du dir vorstellen kannst."
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Schwingen der Nacht
FantasyTalia ist ein 19-jähriges Mädchen, dass ihr Leben in vollen Zügen genießt. An das Gerücht, dass in ihrer Stadt rumgeht glaubt sie nicht wirklich. Darin heißt es, dass jeden Vollmond ein geflügeltes Wesen von unmenschlicher Schönheit in ihrer Stadt...