Ich konnte es noch nicht recht glauben, aber offenbar hatten wir das Schattenwesen abgehängt.
Es war ruhig und ich konnte den Atem meiner Schwester leise neben mir hören.
Meine Hoffnung, hier draußen einem anderen Auto zu begegnen und dieses anzuhalten, damit Sie Mary ins Krankenhaus bringen konnten, ging gegen null.
Wer war denn auch so naiv und fuhr in einer nebligen Samstagnacht, eine nicht richtig asphaltierte Straße, welche in den ganzen neumodischen Navi-Systemen gar nicht aufgeführt war und die dazu noch durch einen düsteren Wald führte, entlang?
Oh und der Fakt, dass seit einiger Zeit Gerüchte über einen Serienmörder im Umlauf waren, halfen für so einen nächtlichen Waldausflug zusätzlich ungemein.
"Ta? Wo sind wir?", fragte meine kleine Schwester und beobachte ängstlich die Welt hinter den schützenden Autofenstern.
"Ich weiß es nicht genau.", gestand ich. Auch ich suchte schon seit einiger Zeit nach einem Ortsschild, einem Wegweiser, irgendetwas, damit ich mich zumindest ein wenig orientieren konnte.
Aber wo keine Dörfer waren, gab es natürlich auch keine Schilder. Das Radio spielte leise Musik. Es nervte mich ungeheuer, aber es half meiner Schwester dabei nicht komplett panisch zu werden, also ließ ich es so, wie es war.
Skeptisch warf ich einen Blick aus dem Fenster. Der Vollmond stand fast senkrecht über uns. Dicke Nebelschwaden krochen aus dem Wald auf uns zu und reflektierten unheimlich das weiße Mondlicht. Ich schluckte. Schon lange fuhr ich nicht schneller als 50 km/h auf Grund der schlechten Sichtverhältnisse.
"Ich denke ich glaube jetzt die Geschichten über diese Vampire, die sich jeden Vollmond ein junges Mädchen holen und sie aussaugen.", flüsterte Mary.
"Woher weißt du bitte davon?" Fassungslos drehte ich mich zu meiner Schwester um.
"Das haben sie in der Schule erzählt.", antwortete sie nur schulterzuckend. Wenn ich diese Nacht unbeschadet überstehen sollte, würde ich morgen früh höchstpersönlich bei Marys Rektorin anrufen und sie fragen, ob sie es für sinnvoll hielt, Grundschülern, so einen Schwachsinn zu erzählen.
"Also ich glaub das nicht.", versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Ich durfte mich jetzt nicht meiner Angst hingeben, denn dann hatte ich verloren.
"Aber du hast diese Dinger doch auch gesehen! Sie hatten Zähne. Vampirzähne. Wie in dem einen Film, den ich gesehen hab..." Mit jedem Wort wurde sie leiser, weil sie bemerkt hatte, dass sie sich selber verraten hatte.
"Hattest du nicht Fernseh-Verbot von Ma bekommen, sobald es zwanzig Uhr ist?", fragte ich, konnte aber nicht wirklich böse sein. Sie war so viel alleine. Es war doch klar, dass sie nicht um Punkt acht, den Fernseher abschaltete. Und jetzt hatten wir das Ergebnis: Sie sah sich Erwachsenen Filme an.
"Ja, schon.", druckste sie unsicher herum.
"Aber?"
"Ihr seid ja nie da. Und ich hab so häufig Langeweile." Ihre Stimme klang dünn und traurig.
Ich legte meine Hand auf ihre. "Ich verspreche dir, sobald wir diese Nacht hinter uns gebracht haben, bin ich mehr für dich da!"
Wenn ihr heute Nacht noch irgendetwas passierte und ich daran Schuld war, so würde ich mir das niemals verzeihen können. Ich seufzte und fuhr mir durch die kinnlangen roten Haare.
Inzwischen hatten wir den Waldrand erreicht. Der Nebel wurde immer dichter. Ich war mit mir selber im Zwiespalt. Sollte ich mein Licht einschalten? Bis jetzt hatte ich die Strecke ganz gut ohne irgendein Licht fahren können, um von oben nicht gesehen zu werden. Aber jetzt...
Wo man nicht einmal mehr zwei Meter weit sehen konnte?

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Schwingen der Nacht
FantasyTalia ist ein 19-jähriges Mädchen, dass ihr Leben in vollen Zügen genießt. An das Gerücht, dass in ihrer Stadt rumgeht glaubt sie nicht wirklich. Darin heißt es, dass jeden Vollmond ein geflügeltes Wesen von unmenschlicher Schönheit in ihrer Stadt...