Die Entscheidung

14K 1K 103
                                    

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dachte ich, dass wäre alles nur ein Traum gewesen. Doch als ich mich streckte und den Blick durchs Zimmer wandern ließ, durfte ich feststellen, dass es nicht einfach nur ein Traum war. Leider.
Man konnte sogar sagen, dass ich so geschockt war, dass ich erstmal aus dem Bett fiel. Mit einem dumpfen Aufschlag und einem "Uff" kam ich auf dem Boden auf und blieb erstmal liegen, bis die Welt aufhörte sich zu drehen.
Ich gab einen verschlafenen unglücklichen Laut von mir und legte mir den Arm über die Augen.
Laute Schritte polterten über den Flur und kurz darauf riss Jake die Zimmertüre auf. "Alles in Ordnung?"
"Geht schon.", stöhnte ich und sah ihn von unten an. Sein Grinsen war nicht zu übersehen. Ächzend kämpfte ich mich zurück auf die Beine.
"Brauchst du irgendwie Hilfe?", wollte Jake lachend wissen.
"Nein!", fauchte ich, was ihn noch mehr zum Lachen brachte. "Vielleicht doch.", ergänzte ich dann noch, als ich bereits wieder stand und mir den letzten Schlaf aus den Augen rieb.
"Okay. Ich mache Frühstück. Mach dich ein bisschen frisch und komm runter.", erklärte er und bemerkte, dass das Kästchen, dass er mir gestern Abend gegeben hatte, noch immer ungeöffnet auf meinem Nachttisch stand.
"Du hast noch nicht reingesehen.", stellte er nüchtern fest.
Ich seufzte. "Nein. Ich kann es einfach nicht."
"Warum? Was ist so falsch daran Adriens Verlobte zu sein?", fragte er und setzte sich auf meine Bettkante. Haare raufend ließ ich mich neben ihm nieder.
"Ich weiß es nicht. Ich... Keine Ahnung. Vielleicht ist es, weil ich es immer gewohnt war alleine zu sein.", murmelte ich leise und wusste, dass Jake mich trotzdem verstand.
"Ich weiß wie du dich fühlst.", sagte er und nahm meine Hand. "Ich bin unten. Lass dir Zeit."
Bevor aus dem Raum verschwand drehte er sich nochmal um und schickte mir ein aufmunterndes Lächeln. Dann ging er und lehnte die Tür hinter sich an.
Seine Schritte hallten über den Flur und wurden immer leiser, bis sie irgendwann nicht mehr zu hören waren.
Ich holte tief Luft und starrte das Kästchen an. Mein Kopf war leer. Meine Gefühle waren wie abgeschaltet und auch mein Verstand gab ausnahmsweise mal keine cleveren Ratschläge.
Einige weitere Minuten wog ich ab, ob ich den Brief und die quadratische Box überhaupt öffnen sollte.
Doch schließlich siegte meine Neugier.
Mit wackelnden Fingern griff ich nach dem Briefumschlag.
Zittrig atmete ich einmal tief ein und versuchte mich ein wenig zu beruhigen. Es war ja nur ein Brief. Ein paar kleine, einfache Worte.
Bedächtig öffnete ich den schneeweißen Briefumschlag und zog das Papier darin heraus
Noch bevor ich die erste Zeile gelesen hatte, rollte mir eine Träne über das Gesicht.
Es reichte also inzwischen schon aus, dass ich Adriens Schrift nur sehen musste und anfing zu weinen.
Wie in Trance wischte ich mir über das Gesicht und holte erneut tief Luft.

Geliebte Talia,

scheinbar ist nun doch die Situation eingetreten, von der ich hoffte sie würde niemals kommen. Wir wurden getrennt und ich muss dir fernbleiben um dich zu schützen.
Aber es fehlt mich schwer. Unglaublich schwer. Jeder Tag ohne dich ist einer zu viel. Jede Stunde eine Qual. Jede Sekunde zerreißt mich die Sehnsucht.
Ich weiß, dass das total übertrieben und kitschig klingt, doch es entspricht nun mal der Wahrheit.
In all der Zeit in der ich jetzt schon auf dieser Erde wandle, habe ich so viel gesehen. Vieles hat mich innerlich tief geprägt, auch wenn es so aussah als würde es mich kalt lassen.
Ich bin dem Tod begegnet, habe das schiere Leben gesehen und nichts von alle dem hat mich so berührt wie du es tust.
Dich in meiner Nähe zu wissen ist... Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Es ist wunderschön und ich habe das erste Mal seit so langer Zeit, das Gefühl angekommen zu sein und gebraucht zu werden.
Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben und ich kann deine Abwesenheit kaum ertragen.
Es schmerzt. Dieses Loch in meiner Brust ist gefüllt mit Schwärze und ich weiß nicht wie lange ich diese Dunkelheit zurückdrängen kann ohne dich.
Du bist mein Licht, meine Luft zum Atmen, mein Boden unter den Füßen, mein Weg aus diesem Fluch.
Ich kann und ich will nicht einen weiteren Schritt ohne dich machen. Ich will dass du mein bist. Für immer!
Und ich will dass jeder sieht, dass du zu mir gehörst. Daher auch dieser eigentlich etwas anders geplante Antrag.
Mir ist bewusst, dass ich mich damit auf sehr gefährliches Terrain begebe und ich weiß auch, dass dein Stolz und dein Kampfgeist es dir verbieten werden, den Ring zu tragen.
Und dafür liebe ich dich.
Ich liebe deine Sturheit. Deine freche vorlaute Zunge. Deine Art und Weise bestimmte Sachen zu sehen.
Ich liebe das Funkeln deiner Augen, wenn du völlig verdreckt unter einem meiner Wagen herauskrabbelst.
Ich liebe deinen müden Gang, wenn du gerade erst aufgestanden bist.
Ich liebe es wie du manchmal dein Kinn auf dem Handballen abstützt und mich kritisch ansiehst.
Ich liebe das Kräuseln deiner Lippen, wenn du versuchst nicht zu lachen.
Ich liebe es, dass es dir egal ist ob es stürmt, schneit oder die Sonne scheint, wenn du raus willst.
Ich liebe es wenn du lachst und dabei den rechten Mundwinkel ein Stück höher ziehst als den Linken.
Ich liebe es, wie du leise im Schlaf meinen Namen murmelst.
Ich liebe dich mit allen deinen Ecken und Kanten.
Ich liebe dich mit jeder Faser meines Körpers.
Und es schmerzt mich so schrecklich, dass ich dir das gerade nicht selber sagen kann.
Wenn ich bei dir wäre, würde ich dich zu einem Spaziergang überreden. Der Wald hinter Jakes Haus lädt wunderbar dazu ein. Wir würden ein Stück gehen, lachen und uns an den Händen halten, wie ein ganz normales Paar.
Und dann würde ich vor dir auf die Knie gehen. Du würdest lachen und mir sagen, ich soll aufhören mit dem Unsinn. Ich würde trotzdem deine Hand nehmen, dir in die Augen sehen und dich fragen ob du meine Frau werden willst.
Wenn du ja sagen würdest, würdest du mich zum glücklichsten Mann der Welt machen und wir könnten gemeinsam mit grauen Haaren dem Sonnenuntergang irgendwann irgendwo zusehen.
Wenn du nein sagen würdest, würde ich dich gehen lassen, auch wenn es mir das Herz brechen würde.
Und wenn du Zeit zum Denken bräuchtest, so würde ich sie dir geben. So viel Zeit wie ich habe.
Ich muss gestehen, dass es mir leichter fällt, all das aufzuschreiben, denn wenn ich dir dabei ins Gesicht sehen würde, würde ich wahrscheinlich keinen Ton rauskriegen.
Eine Ehe bedeutet eine feste Bindung für immer. Selbst über den Tod hinaus. Zumindest war das in meiner Zeit so. Auch wenn meine Ansichten ein bisschen veraltet zu sein scheinen...
Was ich mit diesen ganzen Wörtern sagen will ist, dass ich dich liebe. Von der ersten Sekunde an. Seit ich das erste Mal in deine grasgrünen Augen sah.
Und ich will dich nicht mehr an meiner Seite missen. Auch wenn wir getrennt sind, so wie jetzt gerade, würde ich immer wissen, dass du irgendwo dort draußen bist und jedes Mal an mich denkst, wenn du auf deinen Ring siehst.
Es würde deine Abwesenheit um ein vielfaches erträglicher machen, wenn ich dich meine Frau nennen dürfte.
Ich erwarte nicht von dir, dass du dich sofort entscheidest und für den Fall, dass du ablehnst, sollte ich dir fairer Weise sagen, dass ich dir eine neue Identität schenken würde. Weit weg von der Welt die ich mein nenne.
Du könntest all das vergessen. Du könntest mich vergessen.
Talia, ich liebe dich. Und egal wie deine Entscheidung schlussendlich aussieht, so werde ich sie akzeptieren.
Um das ganze endlich auf den Punkt zu bringen, frage ich dich jetzt einfach, auch wenn es weniger überzeugend auf Papier wirkt:

Willst du mit mir in sechzig Jahren irgendwo im Sand sitzen und den Sonnenuntergang beobachten?
Willst du dein restliches Leben mit mir verbringen, egal was in naher Zukunft noch passiert? Egal ob ich menschlich sein werde oder nicht?
Willst du Frau DeManincor werden?
Talia willst du meine Frau werden?

In ewiger Liebe

Adrien

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt