Gerettet

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Das ließ er sich nicht zweimal sagen und kam mit langen Schritten auf mich zu. Auf seinen Lippen lag wieder dieses selbstgefällige Lächeln.
Die Angst drohte mich zu ersticken und mit jedem Meter den er näher kam, wollte ich mich einfach nur noch umdrehen und fliehen. Nur weg von diesem Mann in dem ich mich so schrecklich getäuscht hatte.
Doch es war nicht meine Schuld. Keiner hatte ahnen können, dass er die Seiten wechseln würde. Nicht einmal Adrien hatte etwas bemerkt und er war sein Bruder!
Irgendwie schaffen es meine Füße doch auf meinen Kopf zu hören und auf der Stelle zu verharren. Mein Plan würde scheitern, sobald ich ihm den Rücken zudrehen und er das Messer sehen würde.
Stur erwiderte ich seinen Blick. Das Kinn stolz gehoben.
Er würde gleich sein blaues Wunder erleben...
"Was?", fragte er als er mir gegenüberstand. "Kein Wegrennen? Kein verzweifeltes Schreien? Kein wilder Angriff? Kein Winseln um Gnade? Ich muss fast sagen, dass ich ein wenig enttäuscht bin."
Trotz der Angst die in meinem Inneren herrschte, gelang mir ein kleines Lächeln. "Du hast ja keine Ahnung.", behauptete ich einfach und ließ ihn noch ein Stück näher kommen. Meine Nase berührte fast seine Brust.
"Hast du endlich eingesehen, dass mein Bruder nicht mehr als ein erbärmlicher kleiner Wurm ist?", wollte er wissen und legte seine Hand auf meine Wage. Sein Blick wurde weicher, während er mit dem Daumen kleine Kreise auf meine Schläfe malte.
Bei seiner Bemerkung fiel es mir verdammt schwer, still zu bleiben. Ihn nicht anzuschreien. Doch würde ich das tun, würde er wissen, dass ich nur spielte und ich konnte mein Vorhaben gleich vergessen.
"Talia!", redete er mir ins Gewissen. Die Stimme sanfter als zuvor. "Was hält dich hier? Mein Bruder wird verlieren. Er kann gar nicht gewinnen. Komm mit mir. Du wirst frei sein. Als wäre als das nicht passiert. Ich verspreche dir, Nassim würde dich in Ruhe lassen. Wir könnten einen Deal mit ihm eingehen und danach den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Irgendwo wo du möchtest. Das kann hier sein. Oder auf einer kleinen Insel mitten im Pazifik. Oder aber bei deiner Familie." Eines musste ich ihm wirklich lassen: Seine Worten waren unheimlich überzeugend und die Aussicht nicht mehr vor Nassim fliehen zu müssen war sehr verlockend. Auch das ich zu meiner Familie zurückkehren könnte, hatte ich nicht überhört. Es wäre so leicht. Ich müsste nur "Ja" sagen und alles wäre wie früher. Ob ich nun Cam an meiner Seite hatte oder nicht, wäre auch egal. Ich hatte die Chance diesem Albtraum zu entfliehen.
Doch war es das überhaupt noch?
War ich nicht lange schon in dieser anderen Welt Zuhause?
Hatte ich nicht angefangen mich in Adrien zu verlieben?
Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nein!", sagte ich leise aber bestimmt. "Nein. Ich gehöre hierher."
Cams Gesicht verlor wieder seine weichen Züge. Der Cam den ich hätte lieben können, war wieder verschwunden.
"Hat er dir das eingeredet?", wollte er wissen und griff nach meinem Handgelenk.
"Hat er nicht. Und selbst wenn es so wäre, ginge es dich einen feuchten Dreck an.", fauchte ich und riss meinen Arm aus seiner Hand.
"Warum? Was hat er, was ich nicht habe?" Verzweifelt drehte er sich um die eigene Achse und raufte sich die Haare. Es schmerzte mich ihn so zu sehen. Aber ich durfte jetzt nicht weich werden. Das war nicht mehr mein Cam! Warum wollte das denn nicht in meinen Kopf?
Ich lachte leise. "Einiges.", antwortete ich dann.
Cam schluckte hart und atmete tief ein.
"Falsche Antwort.", meinte er dann und griff nach mir.
Das war mein Zeichen. In einer einzigen flüssigen Bewegung zog ich das Messer aus meinem Hosenbund und rammte es ihm in die Brust.
Überrascht blickte er zu dem Gegenstand in seiner Mitte.
Angewidert sah ich ebenfalls darauf und löste meine Hand von dessen Griff. Ich konnte nicht glauben, dass ich das gerade getan hatte.
"Was...?", fragte er und kalte Wut verunstaltete sein Gesicht als er mich wieder anblickte.
"Ich... Es tut mir leid! Das war nicht... Ich...", stotterte ich und sah auf meine Hand. Sie war rot. Auf Cams hellem Shirt bildete sich ein immer größer werdender roter Fleck.
Was habe ich getan?
Er war doch auch wie Adrien. Er konnte doch nicht sterben, oder?!
Mit einem Ächzen zog Cam das Messer aus seiner Brust und taumelte dann ein wenig. Mit einem dumpfen Geräusch landete die Waffe im Gras.
Es floss noch mehr rotes Blut aus seiner Brust und mir wurde noch schlechter.
In seinem Oberteil war ein großes Loch und ich wandte den Kopf ab. Ich wollte nicht sehen, wie seine Wunde aussah. Auch wenn es mein eigentlicher Plan gewesen war, so bereute ich meine Tat nun.
Dann begann er plötzlich zu lachen wie ein Wahnsinniger. Laut und dunkel. Ich bekam eine Gänsehaut und brachte ein paar Meter Sicherheitsabstand zwischen uns.
Mit Entsetzen beobachtete ich wie das Loch in seiner Brust sich schloss und seine Iris schwarz wurde. Allerdings nur seine Iris. Und da wurde mir klar, wie ich die Wesen unterscheiden konnte.
Bei Adriens Leuten verfärbte sich das gesamte Auge schwarz. Samt Iris und Augapfel.
Im Gegensatz dazu wurde bei Nassims Vampiren, nur die Iris rot. Blutrot, was logisch war, immerhin ernährten sie sich schließlich davon.
Aber dann blieb die Frage, was Cam war. Bei ihm hatte sich nur die Iris schwarz gefärbt.
"Denkst du wirklich, du könntest mich mit einem Küchenmesser verletzen?", grollte er gefährlich, nachdem sein Lachen abrupt verstummt war.
Als ich nicht antwortete, sprang er auf mich zu. Erschreckt wich ich nach hinten, stolperte und fiel in die von der Nacht gewässerten Wiese.
"Antworte mir gefälligst!", brüllte er und ich krabbelte auf dem Boden weg von ihm.
"Nein!", meinte ich leise und hoffe das reichte ihm als Antwort.
"Und warum hast du es dann versucht?", fragte er gefährlich und starrte mich aus seinen schwarzen Augen an.
"Ich weiß es nicht!", schrie ich und versuchte aufzustehen, aber Cam stieß mich zurück auf den Grund.
Das war der Moment in dem ich wusste, ich würde nicht mehr entkommen. In dem mein Leben eine Wendung nehmen würde. Ich verloren hatte.
Zumindest dachte ich das. Denn plötzlich verstummte Cam und sein Blick veränderte sich. Seine Lippen formten ein stilles "Oh" und danach fiel er einfach um.
Ich schrie weil ich dachte, er würde sich auf mich stürzen. Aber stattdessen fiel er einfach leblos ins Gras.
Ängstlich krabbelte ich weg von dem Körper der nur wenige Zentimeter von mir entfernt lag.
"Komm her.", hörte ich Jakes Stimme und stieß erleichtert den angehaltenen Atem aus.
"Jake.", schluchzte ich und ließ mir von ihm aufhelfen.
"Ist gut.", beruhigte er mich und schloss seine schützenden Arme um mich. "Ist ja schon gut."
"Es tut mir leid.", flüsterte ich an seiner Brust und begann zu weinen. "Ich wollte das nicht."
"Ich weiß.", meinte er und strich mir gleichmäßig über den Rücken.
"Bring mich einfach nur hier weg.", bat ich. Ich wusste zwar, dass Cam nicht tot war und trotzdem hoffte ein kleiner Teil in mir, dass es so war. Es war erschreckend, dass ich so dachte oder fühlte, aber ich konnte nicht akzeptieren was aus ihm geworden war.
Jake nickte, legte seine Arme unter meine Beine und hob mich hoch.
Die Tränen liefen über mein Gesicht und wollten nicht versiegen. Ich fühlte mich innerlich tot. All die Bilder dieser Nacht hatten sich tief in meinen Kopf gebrannt und ich wusste, ich würde sie nicht so schnell vergessen können.
"Ich bringe dich fort von hier. Versprochen.", waren seine letzten Worte. Dann schlief ich ein.

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt