Einladung

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Als ich das nächste Mal aufwachte, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren und war einfach froh in einem normalen Bett aufzuwachen.
Der weiche Stoff schmiegte sich wunderbar um meinen Körper und am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen. Doch dann fiel mir ein, dass ich gar nicht in einem Bett eingeschlafen war.
Und zack: Ich war hellwach.
"Wo bin ich?", murmelte ich und fuhr mir durch die verstrubbelten Haare.
Als mein Blick sich geklärt hatte, sah ich mir den Raum in dem ich lag einmal genauer an.
Das erste das mir ins Auge fiel war, das kleine Fenster schräg gegenüber von mir. Die Sonne schien herein und hatte mich wohl geweckt.
Das Zimmer war recht klein und den meisten Platz nahm das Bett ein. Sonst gab es nicht viel nennenswertes: Einen Schreibtisch, ein paar verteilte Regale und einen Fernseher.
Die Wände waren weiß gestrichen und Stuck zierte die Decke.
Als ich meine Füße auf den Boden setzte, stellte ich fest, dass dunkles Parkett verlegt war.
Der Raum hatte Altbauflair.
Wo hatte Jake mich hingebracht?
Seufzend tapste ich zu dem einzigen Fenster und sah hinaus. Was ich sah überraschte mich. Denn vor meinen Augen war überall grün.
Ein Wald? Warum ein Wald?
Ich öffnete das Fenster und lehnte mich ein wenig heraus. Ein paar Meter neben dem Haus in dem ich mich befand, gab es ein weiteres.
Auch in der anderen Richtung entdeckte ich weitere Bauten.
Wow. Wir sind ja mal nicht ganz so weit von der Zivilisation wie ich gedacht hatte.
Das passte gar nicht zu Adrien...
Blieb nur noch die Frage wo ich war.
Leise schloss ich das Fenster und durchquerte den Raum.
Vor der Zimmertüre hielt ich inne. War ich wirklich alleine? Auch wenn es total albern war, presste ich mein Ohr gegen das Holz und lauschte. Doch auch nach mehreren Minuten drang kein Laut zu mir durch.
Skeptisch verharrte ich auf der Stelle und überlegte, ob ich einfach hinausspazieren könnte.
Letztlich siegte meine Neugier und so öffnete ich die Tür und spähte hinaus.
Der Flur war leer.
So alleine zu sein war ungewohnt. Aber ein gutes Gefühl.
Die dunklen Holzdielen knarrten leise, als ich barfuß den hellen, weißen Gang erkundete. Es war kein allzu großes Haus, aber dennoch hatte es seinen eigenen Charme.
Ich ließ mich von meinen Füßen leiten und fand mich am Ende an einer schmalen Wendeltreppe wieder.
Vorsichtig blickte ich zurück in den Gang und zu der offenen Tür, die in den Raum führte in dem ich geschlafen hatte.
Was würde es schon aussmachen, wenn ich mich hier mal ein bisschen umsah?
Bedächtig kletterte ich die Stufen hinab und fand mich schließlich im Wohnzimmer. Noch immer gab es keine Spur von Jake.
Das Wohnzimmer war ein großer viereckiger Raum mit einer großen Glasfront die auf den Wald gerichtet war.
Eine der Glastüren war auf und mein Gefühl sagte mir, ich würde Jake in dieser Richtung finden.
Draußen wehte ein leichter Wind und ich wickelte mir automatisch meinen Pullover enger um die Brust. Offensichtlich trug ich noch immer die Sachen von gestern. Aber das machte mir nichts. Sie waren bequem und die Wärme vom Schlafen hing noch darin.
Dass ich wie eine erschreckte Vogelscheue aussah, war mir in diesem Fall total egal.
Der Garten war ziemlich weitläufig und wenn ich mich nicht täuschte, führte er dort hinten sogar in den Wald.
Ich schmunzelte. Das war ziemlich naiv, wenn man bedachte, wer sich alles in dem dichten Grün verstecken konnte.
Irgendwo hörte ich ein dunkles Lachen und folgte ihm einfach.
Und ich hatte mich nicht getäuscht: Jake stand am Gartenzaun und unterhielt sich mit einem Jungen in unserem Alter.
Wobei man "in unserem Alter" nun etwas definieren musste. Das ich neunzehn war, war Fakt.
Jake allerdings sah aus wie sechsundzwanzig. Das hieß nicht, dass er auch sechsundzwanzig war! Nur wussten das alle andren natürlich nicht.
In diesem Moment lachte Jake erneut und ich wurde wieder auf den Jungen, der auf der anderen Seite des Zauns stand aufmerksam.
Er hatte zottelige hellbraune Haare, die von ein paar blonden Strähnen durchzogen wurden, dunkle Augen und einen hochgewachsenen, athletischen Körper.
Kurz: Er war durchaus attraktiv.
"Ahh da bist du ja.", sagte Jake in diesem Moment und winkte mich zu sich. Ein breites Lachen lag auf seinem Gesicht. Anscheinend hatte er sich prächtig amüsiert.
Ich ging auf ihn zu und bereute, was ich soeben über mein Aussehen gesagt hatte. Kein Mädchen wollte in der Anwesenheit von zwei so schönen Männern, so aussehen wie ich jetzt gerade.
"Guten Morgen, hast du gut geschlafen?", wollte Jake wissen und umarmte mich kurz.
"Es geht schon.", murmelte ich und vermied es aufzusehen. Mein Kopf war hochrot. Hätte ich doch lieber erst das Bad gesucht, bevor ich auf Entdeckungstour ging.
"Sie ist schon ein Sonnenschein.", lachte Jake und der Fremde stieg mit ein.
Während unser "Nachbar" noch gluckste, schnappte Jake sich meine Hände und hielt sie auseinander. Erst da bemerkte ich, dass ich schon wieder dabei war, an meinen Fingern zu kratzen und zu reiben, wie so eine Verrückte.
"Bitte!", sagte er nur und sah mich flehend an.
"Tut mir leid.", meinte ich hilflos und sah ihn mit großen Augen an.
Er winkte ab und blickte wieder zu unserem Gegenüber. So wie es aussah hatte er nicht mitbekommen, was Jake zu mir gesagt hatte.
Gott sei Dank. Es wäre nämlich neuer Rekord, wenn mich jemand nach nicht einmal fünf Minuten für einen Psycho hielt.
"Oh, ich bin übrigens Christoph. Aber Chris reicht.", stellte der Schönling sich vor und streckte mir über den Gartenzaun seine Hand entgegen.
Das war das erste Mal, dass ich ihn wirklich ansah und das brachte mich zum Schlucken. Er war wirklich attraktiv.
Adrien war in diesem Moment vollkommen vergessen. Nein, ich hatte mich nicht in Chris verliebt und das würde ganz sicher auch nicht passieren, aber er hatte dieses besondere Etwas, dass mich in Verlegenheit brachte.
"Talia.", erwiderte ich nur knapp und ergriff seine Hand. Seine Haut war weich und warm. Ein schönes Gefühl.
Ich schauderte und zog meine Finger rasch wieder zurück.
"Hab schon viel von dir gehört.", meinte er und grinste Jake wissend zu.
"Aha. Ich hoffe doch mal nur positives.", lachte ich unsicher und trat Jake auf den Fuß.
Grinsend sah dieser mich an und ich sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen.
Warnend erwiderte ich seinen Blick. Egal was er sagen wollte, es war besser für ihn, er tat es nicht.
"Ja. Eigentlich schon.", lachte Chris und zwinkerte mir zu.
Ich muss hier weg, schoss mir durch den Kopf und ich barg kurz das Gesicht in den Händen.
"Ich finde es gut, dass das alte Haus endlich wieder Bewohner hat. Es ist viel zu schön um einfach so zu zerfallen.", seufzte Chris dann und blickte wehmütig zu dem Gebäude, dass ich eben verlassen hatte.
"Dann wird es dich sicher freuen zu hören, dass ich schon seit einigen Monaten viel daran gemacht habe und es fast schon wieder in seinem alten Stolz aufblüht." Jake sah ebenfalls zu dem Haus und in seinen Augen sah ich, dass er mehr über das Gebäude wusste, als wir alle zusammen.
"Wirklich?", fragte Chris und sein Blick löste sich von den alten Mauern.
Jake nickte. "Es gehört mir schon eine Zeit lang. Aber dadurch, dass mir zwischenzeitlich das Geld und die Zeit fehlte, konnte ich nichts daran machen."
Überrascht sahen wir beide ihn an.
"Ach, das ist blöd so über den Zaun hinweg zu erklären. Komm doch heute Abend zu uns rüber. Wir wollten eh Grillen. Du bist herzlich eingeladen, dir das Haus von innen anzusehen.", lud Jake Chris ein. Ich wusste von dem Plan mit dem Grillen bis eben zwar nichts, aber ich sah darin die Chance einen zweiten Eindruck bei unserem attraktiven Nachbarn zu hinterlassen. Einen besseren, wohl bemerkt.

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt