Kohlenschwarz

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In diesem Moment bog ein zweiter dunkler Geländewagen mit quietschenden Reifen auf die Einfahrt. Das plötzliche Licht der Scheinwerfer blendete mich und ich richtete mich auf.
"Ich korrigiere: Es sind zwei SUVs.", sagte ich an Adrien gewandt und reichte ihm die Hand um ihm aufzuhelfen.
Jake tauchte neben uns auf und starrte gegen das helle Licht. "Hast du Verstärkung angefordert?", fragte er Adrien.
Doch dieser schüttelte nur unschuldig den Kopf. "Ich habe gar nichts gemacht. Das sind nicht meine Leute..."
Dann hörten wir das Schlagen zahlreicher Autotüren und Schritte. Stimmen zerrissen die Stille der Nacht.
Adrien und Jake wechselten einen vielsagenden Blick.
Ich sah ein paar dunkle Schatten, die wild am Tor randalierten und wüste Flüche drangen an mein Ohr.
Mein Blick wanderte über den Zaun in der Hoffnung unsere beiden Wachmänner irgendwo zu entdecken, aber stattdessen bemerkte ich etwas ganz anderes. Oder besser: Jemand anderen.
Gelbe Augen stachen aus der Dunkelheit hervor und ich konnte sein widerliches Grinsen beinahe hören.
Alles um mich herum geschah wie in Zeitlupe.
Ich sah wie Adrien wild irgendwelche Kommandos brüllte und aus allen Ecken des Geländes Leute auftauchten. Ich hörte wie er auf mich einredete.
Doch nichts davon drang bis in meinen Verstand vor.
Erst als Jake meine Hand nahm und mich wegzerrte, begriff ich was hier gerade passierte. Wir wurden angegriffen!
"Was? Warum? Was ist mit Adrien?", fragte ich und sah mich panisch um.
"Er weiß was er tut. Lass ihn.", versicherte er mir und zog mich erbarmungslos weiter. Immer näher an das Haus.
"Aber...", wollte ich erwidern, allerdings schnitt Jake mir vorher das Wort ab.
"Nein. Er ist alt genug. Er gibt den Befehl. Ich führe ihn aus. So läuft das nunmal. Und jetzt komm.", erklärte er und ich sah an dem harten Ausdruck in seinen Augen, dass er mich - wenn es sein musste - auch mit Gewalt hier fort schaffen würde.
Hinter uns wurde es immer lauter, das hieß wohl, dass Nassims Männer das Tor geöffnet hatten.
"Oder willst du Nassim näher kennenlernen?", fragte Jake zusätzlich und das war der Moment in dem ich die Beine in die Hand nahm und vor Jake her zum Haus rannte.
Die Haustüre war bereits in Sicht, als etwas Dunkles vom Himmel fiel und mich zu Fall brachte.
Ich schrie laut und versuchte ein paar scharfer Krallen aus meinem Rücken zu lösen, die sich schmerzhaft hineingebohrt hatten.
Wild schlug ich um mich und schaffte es schließlich mich auf den Rücken zu drehen, was sich als Fehler herausstellte, da ich dem fremden Schattenwesen nun meine Kehle entblößte und sie ihm praktisch anbot.
Eine rot glühende Iris brannte sich in meinen Blick und ich schluckte schnell meine Panik hinunter, als ich erkannte, dass dieser Mann einer dieser vampirähnlichen Anhänger Nassims war. Adriens Männer hatten in ihrer verwandelten Form, nämlich schwarze Augen. Komplett schwarz. Selbst die Stellen um die Iris herum.
Das Wesen grinste und entblößte zwei ausgesprochen langen und augenscheinlich scharfe Eckzähne.
Nachdem ich meinen Schock überwunden hatte, begann ich mich noch heftiger zu wehren als zuvor und schlug mit aller Kraft auf das Ding über mir ein.
"Runter von mir!", brüllte ich und schrie nach Jake.
Plötzlich gab es ein ekelhaftes Geräusch und der Vampir riss entsetzt die Augen auf.
Ein spitzer Gegenstand ragte aus seiner Brust und eine schwarze Flüssigkeit spritze aus seiner Brust.
Angewiderte wendete ich den Kopf ab.
Der leblose Körper fiel auf mich drauf, als Jake den Gegenstand schnell wieder herauszog.
Ich hielt den Atmen an, als etwas nasses sich auf meinem Oberteil ausbreitete. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
"Jake?", fragte ich mit dünner Stimme. Sein Gesicht tauchte über mir auf. Auf seiner Stirn waren ein paar Kratzer. Oder zumindest die letzten Zeichen davon. Es war mir neu, dass Schattenschwingen wie er über Selbstheilungsfähigkeiten verfügten, aber offensichtlich war es so.
"Kö... Könntest du bitte..." Der Satz Könntest du bitte die Leiche von mir entfernen, wollte mir nicht über die Lippen. Ich holte tief Luft um mich nicht übergeben zu müssen und versuchte es erneut.
"Kannst du mir vielleicht helfen?", bat ich schließlich zittrig.
Er nickte und schüttelte zuvor noch den spitzen Gegenstand, den ich inzwischen als Dolch identifizieren konnte, ab um das schwarze Blut des Monsters zu beseitigen.
Danach trat er den erstarrten Körper des Toten, so dass dieser zur Seite rollte und ich aufstehen konnte.
Er hielt mir die Hand entgegen.
Meine Knie bebten, als ich mich an seiner Hand hochzog.
"Tut mir leid.", sagte er nur und ließ seinen Blick an mir hinabgleiten.
"Was?", fuhr ich ihn an.
"Du hast da was.", meinte er und deutete auf meine Brust.
Mein hellblaues Top war von schwarzem Blut getränkt. Und irgendwie roch es leicht unangenehm. Angeekelt verzog ich das Gesicht.
"Ach das. Irgendjemand hat gerade einen Vampir getötet, der über mir saß.", winkte ich ab und versuchte meine eigene Angst mit Humor zu überspielen. "Blut spritzt halt."
Er grinste, wusste aber ziemlich genau, wie es mir eigentlich ging.
Hinter uns schwoll der Lärm eines Kampfes immer mehr an.
"Wir müssen hier weg. Sofort!", wiederholte er nachdrücklich.
Ich nickte zustimmend und folgte wieder meinem eigentlichen Ziel: Schutz im Haus zu suchen.
Jake und ich erreichten die Haustüre und knallten sie hinter uns zu.
"Was machst du?", schrie ich entsetzt, als ich sah, dass er die Türe verriegelte und eine kleine Kommode davor schob.
"Ich verschaffe uns Zeit!", antwortete er und sah sich gehetzt um.
"Und was ist mit den Anderen? Was ist mit Adrien?", wollte ich wissen.
"Der kommt schon klar! Und die anderen sind ersetzbar.", erklärte er nur achselzuckend.
"Bitte was?", brüllte ich und starrte ihn ungläubig an. Das konnte unmöglich sein Ernst sein.
"Du weißt ganz genau was ich meine.", schnaubte er und griff nach meinem Arm.
Ich konnte nicht glauben, dass er das gerade wirklich so gemeint hatte! Das da draußen waren seine Freunde. Nicht nur seine. Auch ich verstand mich mit vielen davon inzwischen ziemlich gut. Und er wollte sie einfach so im Stich lassen? Das war grausam... Mehr als das! Das war unmenschlich!
"Ich glaube nicht, dass dich das kalt lässt.", behauptete ich und stemmte meine Füße in den Boden. Jake sollte aufhören mich hinter sich herzuziehen wie ein kleines stures Schoßhündchen.
"Was ich denke ist nicht von Bedeutung. Verstehst du das denn nicht? Das alles hier passiert nur wegen dir! Es geht um dich! Um deine Sicherheit!", knurrte er und machte damit allzu deutlich, dass er meinen plötzlichen Sinneswandel nicht akzeptierte.
Aber seine Worte hinterließen ein ganz anderes Gefühl in mir: Schuld.
Dachte er wirklich, ich hätte mir das alles ausgesucht? Dachte er, es wäre mir egal, dass dort draußen gerade Leute vielleicht sogar meinetwegen starben?
"Oh glaub mir eins: Ich habe mir das nicht ausgesucht!", lachte ich bitter.
Jake sah mich entschuldigend an. "Es tut mir leid. Ich hab das nicht so gemeint."
"Ist schon okay. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich keine Wahl mehr habe.", sagte ich ohne mir die Mühe zu machen, den Schmerz in meiner Stimme zu verbergen.
"Talia.", versuchte er es erneut. "Es tut mir leid. Das kam jetzt vielleicht irgendwie falsch rüber."
In diesem Moment knallte etwas mit ungeheurer Wucht gegen die Tür. Erschreckt stieß ich einen schrillen Schrei aus und sprang Jake mehr oder weniger auf den Arm.
"Okay!", lenkte ich ein. "Lass uns hier verschwinden."
Jake lächelte und gemeinsam schlichen wir uns quer durch das komplette Erdgeschoss. Es war so dunkel, dass ich nicht einmal meine eigenen Füße sehen konnte, aber ich vertraute auf Jakes geschärfte Sinne, die mich sicher führten. Daran zu denken, das Licht einzuschalten durfte ich nicht. Die Helligkeit würde nur Insekten anziehen, behauptete Jake und was er damit meinte war klar. Mal ganz abgesehen davon, dass der Strom eh ausgefallen oder abgestellt worden war.
Ich wusste zwar nicht wohin Jake mich gerade entführte, aber ich hoffte, dass es uns nicht allzu weit weg brachte. Wenn Adrien etwas zustieß und ich ihm nicht helfen konnte, würde ich mir das nicht verzeihen können.
"Warte!", forderte Jake mich auf einmal auf, als wir vor Adriens Arbeitszimmer standen. Die Tür am anderen Ende des Flures führte in den Keller und war somit unser Ziel, wie Jake mir vor wenigen Sekunden erst erklärt hatte.
Doch um dahin zu kommen, mussten wir durch den Flur und Problem hierbei war, dass die eine Seite nicht aus Wand bestand sondern aus Glas.
Normalerweise würde ich dem Architekten dafür die Füße küssen, aber in unserer aktuellen Lage verfluchte ich den Schöpfer des Hauses und seine Neigung zu Glas.
"Was ist?", flüsterte ich leise zurück und lauschte ebenfalls. Aber meine Sinne bemerkten nichts verräterisches. Mal ganz abgesehen von meinem Herzklopfen und dem Blut das in meinen Ohren rauschte.
"Irgendetwas stimmt nicht.", meinte Jake und hielt mich zurück als ich einen weitern Schritt nach vorne machen wollte.
"Bist du sicher?", hakte ich vorsichtshalber mit gesenkter Stimme zurück.
"Natürlich bin ich mir sicher, sonst würde ich dich ja nicht davon abhalten, in deinen Tod zu rennen.", fauchte er leise und ich verdrehte die Augen. Ich glaube er nahm Adriens Befehl ein wenig zu ernst. Um meine Sicherheit besorgt zu sein, war das eine. Aber wenn daraus eine regelrechte Paranoia entstand, war das etwas anderes.
"Was soll denn da schon bitte sein?", fragte ich zusätzlich und sah ihn skeptisch an. So weit das bei dieser Dunkelheit überhaupt ging.
Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür zum Arbeitszimmer mit einem leisen Knarzen.
Ich hielt den Atem an und ließ zu, dass Jake mich hinter sich schob. Doch wir hatten einen Vorteil: Die Tür ging nach außen auf und die Scharniere waren auf unserer Seite angebracht, was so viel hieß wie: Wir waren hervorragend versteckt.
Schritte hallten viel zu laut auf dem leeren Flur und ich schloss die Augen, als die Person anhielt.
Jake warf mir einen stummen Blick zu, der mir sagte, ich solle mich ja nicht bewegen!
Allerdings hatte ich eh nicht vor mich unnötig zu bewegen, dass durfte er mir gerne glauben!
Der Flur war totenstill.
Jakes Atmen streifte gleichmäßig mein Ohr.
Ich schloss die Augen.
Wir wussten beide, dass die Unbekannte Person noch hier war.
Wenige Meter vor uns.
Nur durch die offene Tür getrennt.
Ich hatte Angst. Mein Puls schoss in die Höhe.
Und plötzlich waren sie wieder da.
Die Schritte.
Dieses Mal kamen sie in unsere Richtung.
Jake schob mich ein Stück zurück, zückte lautlos seinen Dolch und baute sich vor mir auf.
Dann wurde die Tür plötzlich in die Angeln geworfen.
Der laute, plötzliche Knall ließ mich erschreckt aufkeuchen.
Ein dunkler Schatten stand uns gegenüber.
Er knurrte.
Seine Augen waren so schwarz wie Kohle.

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt