Der Nebel wurde dichter und die Straßen dunkler.
Für einen Engländer war diese Art von Wetter nichts besonderes. Bereits am Morgen hatte es drei kurze Wolkenbrüche über Nottinghamshire gegeben. Bis zum späten Nachmittag hatte der Wind finstere Wolken vor die Sonne geschoben und Jim Harris Frau sah dies als Zeichen großen Unglücks an.
Sie hatte ihn angefleht heute Abend nicht mehr hinauszugehen, doch Jonathan Harris, Sohn von Richard Harris lies sich von Weibergeschwätz oder dem Wetter nicht aufhalten, seinen alltäglichen oder allnächtlichen Gang hinunter zum Wirtshaus zu machen. Aus dieser Entfernung konnte er manchmal schon das Tavernenschild sehen, mit dem ausgeblichenen Schriftzug:
Zum Weißen Hirsch, darauf.
Aber heute Nacht mochte er die Augen noch so sehr zusammenkneifen, er konnte nichts erkennen.
Der weiße Hirsch, war das Wappentier König Richards II. und viele Gastwirte wählten damals diesen Namen, um ihre Verbundenheit mit der Krone zu zeigen.
Der alte Wirt dieser Schenke hatte sie vor Jahren von seinem Onkel übernommen, und dieser hatte sie irgendwann einmal bei einem Handel ergattert. Der alte König aus dessen Hand das Wirtshaus ihren Namen hatte, war 1399 abgesetzt worden und nun herrschten in England anderen Monarchen.
Es war ein Wunder das sich dieses Markenzeichen eines weißen Hirsches so lange gehalten hatte, überlegte Harris als er die Gaststube betrat und seinen Hut abnahm, dabei ertönte das ihm wohlbekannte Klingen der Türglocke.
Der alte Wirt hob den Kopf er hatte gerade mit einem runzligen alten Lappen die Theke abgewischt, als ein alter Bekannter herein kam.
"Jim! Hätte nich' gedacht das du dich bei diesem Wetter rauswagst, Junge."
Sprach der Alte obwohl Jim Harris schon auf die vierzig zu ging. "Hat Marry dich nich' gewarnt vor Geister und Monstern die hier Umwesen treiben?"
Er lachte rau auf und entblösste dabei eine Zahnlücke in der oberen Reihe. Jim Harris stimmte in das Gelächter mit ein und setzte sich auf einen Hocker an der Theke.
Dann winkte er verächtlich ab und bestellte bei dem Alten das übliche. Ein Glas Branntwein. Der Wirt brummte und schob ihm nach einer Weile den Becher zu. Harris nahm einen kräftigen Schluck, stellte den Becher wieder ab und sah sich in der Schenke um. Sie war bis auf einen Mann der in einer Ecke auf einem Stuhl schlief leer. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt und vor sich einen fast leeren Humpen Bier stehen.
"Is nich' viel los hier Jimmy, wie immer. Bis auf die Schnarchnase und das Mädel da drüben. Sind heut' meine einzigen Gäste. So werd' ich nich' übern Winter kommen. Wenn nächste Woche keiner kommt, mach ich Schluss für dieses Jahr. Ich könnte mit Fred Angeln fahren, so werd' ich wenigstens satt. Was meinst du?" Doch Jimmy hörte schon nicht mehr auf das was der Alte von sich gab. Bei der Erwähnung des Mädchens hatte er aufgehorcht. Tatsächlich saß auf der Linken Seite an einem zweier Tisch ein weiterer Gast. Die Beschreibung des Wirtes, von wegen ein Mädel saß dort, schien Harris auf einmal sehr gering schätzig. Sie wirkte nicht wie alle anderen Mädchen oder Frauen die er in seinem Leben getroffen hatte. Sie war hochgewachsen und schlank und mit ihren schwarzen Handschuhen und dem hochgesteckten Haar wirkte sie eher wie eine Lady von hohem Rang.
Jedoch war ihre Haltung weder hochmütig noch abweisend.
Er konnte es nicht beschreiben. Ihre Haut war makellos, ihre Haar dunkel, ihr Kleid war von einem finsteren Blau, an den Enden tierten es weiße Spitzen und über ihrem Stuhl hing ein langer schwarzer Mantel. Der Alte hatte aufgehört zu reden und beobachte Jim aus den Augenwinkel.
"Kennst du sie?"
Wollte dieser wissen.
"Nein, sie ist zum ersten Mal hier. Seltsames Frauenzimmer findest du nicht?"
Der Wirt sprach jetzt leiser und beugte sich ein wenig näher zu Jim.
"Wieso?"
Fragte Harris ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen.
"Naja, eine wie sie, in einem Dorf wie unserem? Sie hat etwas zu verbergen, das rieche ich. Hast du etwa ein Auge auf sie geworfen, Junge?"
Brummte der Alte und begann damit die Gläser zu wischen. Harris antwortete nicht.
"Wenn das Marry erfährt..."
Meinte der Wirt grimmig, doch Jim unterbrach ihn.
"Sprich jetzt nicht von Marry. Hol uns lieber noch ein wenig Wein aus dem Keller." Er nahm einen weiteren großen Schluck aus seinem Becher bis dieser leer war und ging zu der Frau herüber. Zuerst blieb er wie angewurzelt stehen und wusste nicht was er zu ihr sagen sollte. Da hob sie den Kopf und lächelte ihm aufmunternd zu.
"Warum nennen sie mir nicht ihren Namen und setzten sich zu mir, mein Herr."
Er nickte schneller als er denken konnte und ließ sich auf den Stuhl gegenüber nieder.
Jetzt konnte er sie aus der Nähe betrachten.
Sie war keines wegs im Alter einer stattlichen Dame, allein ein Kind war sie auch nicht mehr. Es schien ihm als hätte sich etwas von beidem in ihrem Antlitz verfangen.
Sie besaß nicht den Hauch einer Falte oder Unreinheit in ihrem Gesicht, ihre Lippen waren leicht gerötet, gerade zu erstaunlich. Als hätten sie für den Bruchteil einer Sekunde das Feuer geküsst. Eine dunkle Locke fiel ihr in die Stirn und ihre Augen funkelten, so als würde sie etwas wissen was keiner sonst tat.
Himmel ein Engel! Oh Götter! Dachte Harris und dachte er dürfe seine Augen nicht mehr zu ihr erheben, er würde erblinden von ihrem Schein. Gleichzeitig kam ein wildes Tier in ihm zum Vorschein, das gefährlich knurrte und bedrohlich die Tatzen hob. "Ich bin Jim, manchmal Jimmy....ähm nein, also, eigentlich Jim Harris. Oder auch nur Jim. Wie du willst."
Es war als wäre sein Wortschatz damit aufgebraucht, er saß nur stumm da und starrte auf den Holztisch vor ihm.
Nach einer Weile stand sein Gegenüber auf und zog ihren Mantel über.
"Es hat mich sehr gefreut sie kennen zu lernen, Jim. Ich hoffe wir werden uns bald wieder sehen, begleiten sie mich noch hinaus?" Mit einem Schlag war Jim Harris wieder wach.
Er hatte wertvolle Zeit vergeudet, Zeit in der er mit ihr Reden, sie beeindrucken oder somst was hätte anstellen können, damit sie blieb, bei ihm. Jetzt stand sie da, eine vollkommende Schönheit und reichte ihm die Hand. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Er ergriff ihre Hand vielleicht ein wenig zu hektisch und winkte dem Wirt nur kurz zu.
"Wir sehen uns Morgen! Grüß Fred von mir wenn du ihn siehst."
"Jim!"
Rief der Wirt ihm nach. Doch die beiden waren schon durch die Tür hinaus gegangen, ehe Jim ihn hätte hören können.
Draußen atmete er die frische Nachtluft und fühlte doch nicht so gut und sicher. Ihm machte die Dunkelheit keine Angst, aber genau jetzt musste er an die Warnung seiner Frau denken.
Genau jetzt musst er an Marry denken. Sie wartete bestimmt auf ihn oder war sie diesmal doch schon zu Bett gegangen.
Eigentlich wartete sie immer, weil sie sich sorgte, solange er nicht bei ihr war. Ach, was sollen die Rührseligkeiten.
Er sah hinauf zum Himmel, der Mond schien heute nicht.
Das einzige Licht kam von einer Öllaterne, dieses begann aber bereits unruhig zu flackern. Er würde wohl den Weg nach Hause im Dunkeln finden müssen. Das schloss sich ein zierlicher Arm um den seinen und zog ihn entschlossen in eine Richtung.
Er sah sie an, im Dunkeln war sie fast noch schöner.
Als sie in eine stille Gasse kamen, hielt er inne.
"Was hast du vor?"
Sie lachte kurz auf, es klang für ihn auf einmal ein wenig unheimlich und kühl. Wortlos drehte sie sich zum ihm um und begann ihren Mantel aufzuknöpfen. Dann ließ sie ihn achtlos zu Boden fallen und kam auf ihn zu.
Er dachte nicht mehr an seine Frau, seine Marry.
Kein Mann der Welt sagte Jim sich, Kein Mann der Welt ob verheiratet, verlobt oder ledig, hätte die Kraft gehabt diesem Angebot zu wiederstehen. Als er sich seinem Hemd entledigt hatte und sie nun endlich berühren wollte, zersprang seine Freude in tausend Scherben. Und Scherben bringen Unglück.
Seine letzte Gnade war, das es schnell ging und er nicht viel sah. Gleich nachdem sie ihn gepackt und ihn so heftig gegen die Steinwand hinter ihm gestoßen hatte, schwanden ihm schon die Sinne. Er wäre hingestürtzt hätte sie ihn nicht mit einer Hand an den Haar festgehalten. Keine Sekunde später rammten sich kräftige kleine Messer in die linke Stelle seiner Schulter und danach spürte er sie an seinem Hals. Das letzte was er vernahm war ein zufriedenes Stöhnen. Das letzte was er roch war ihr süßer Geruch. Und das letzte an was er dachte war seine Marry.
Die bestimmt vor dem Schlafzimmerfenster stand, hinaus in die Dunkelheit blickte und hoffte das ihr Jim bald wieder zu ihr zurückkehrte...
Nach einer Weile wurde das Blut das sie trank bitterer und sie fühlte sich gesättet. Sie griff ihn am Hals und strich genüsslich über seinen Oberkörper und sein Gesicht, bevor sie ihn frei gab und er auf dem zusammensackte.
Tod.
Sie betrachte eine Weile die Leiche und leckte ihre Finger sauber, dann hob sie ihren Mantel wieder auf und schlüpfte hinein. Während sie ihn erneut zuknöpfte vernahm sie einen Windhauch und hielt inne.
"Schade...so gut aussehend. Warum hast du mir nichts übrig gelassen?"
Ertönte eine ihr wohl bekannte Stimme.
Sie fuhr herum.
"Hallo Schwester."
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{Petrova}
FanfictionDie Petrovas sind seid ihrer Geburt verflucht. Bei beiden Mädchen fließt Doppelgänger-Blut durch die Adern. Wie wird ihr Dasein gefristet, Gefangen oder Frei? In Ewig- oder Sterblichkeit?