10 Jahre

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Dort war sie. Mit wallenden Locken die über ihre Schultern flossen, ihren dunklen Augen mit den hochgezogenen Brauen darüber. Ich konnte es vor erst nicht glauben.
Doch dort stand sie, meine Schwester. Eben so schön und eben so jung, wie als wir uns das letzte Mal gesehen hatten.
Ich konnte mich nicht bewegen, ich sah sie nur an.
Und meine Sicht wurde verschwommen. Sie kam auf mich zu, nahm vorsichtig mein Gesicht zwischen ihre Hände und sah mir tief in die Augen. "Da ist sie wieder...deine Menschlichkeit...ich hätte dich beinahe nicht Wiedererkannt...du hast dich verändert...kleine Schwester....endlich hab ich dich wieder..." Flüsterte sie und wir lehnten unsere Stirn sanft gegeneinander. Ich fuhr mit dem Finger über ihre Wange und strich durch ihre Haare. Eine Weile standen wir so und genossen unsere erneute Verbundenheit.
"Wie hast du mich gefunden?"
Ich zitterte ein wenig als ich mich von ihr löste und fühlte wie mich ihre Wärme wieder verließ.
"Ich habe nie aufgehört dich zu suchen..."
Sagte sie ernst und musterte mich bedacht.
Eine Weile blieb es still in der dunklen Gasse.
Dann hob sie ihre Hand und ich legte meine sanft dagegen.
Die selbe Wärme und die gleiche Reinheit.
Ein Spiegel aus sich perfekt ergänzender Schönheit.
"Wir sind gleich..."
Flüsterte ich, als ich die einzige Möglichkeit zur Kenntnis nahm, wie es sein konnte das sie hier so vollkommen bei mir stand.
"Wir haben den selben Weg eingeschlagen..."
Ergänzte sie und ich sah etwas in ihren Augen aufblitzen, das mich an das Glimmen des ersten Sterns am Nachthimmel erinnerte.
"Katerina..."
Brachte ich nur über Lippen.
Ich hatte mich noch nie so schwach gefühlt.
"Elisabeth, wir haben ein neues Leben. Ohne Leid, ohne Schmerz."
Fuhr Katerina bewegt fort und das Glimmen in ihren Augen nahm zu.
"Gott, wird uns niemals verzeihen."
Sprach ich kalt und mein Gesicht fühlte sich an als hätte sich eine Schicht von Eis auf meiner Haut gebildet.
Sie reckte ihr Kinn und ihre Lider zuckten ein wenig, als sie mit glasigen Augen sagte:
"Vergiss Gott."
Sie spuckte den Namen aus, wie etwas unappetitliches.
Dann griff sie nach meinen Schultern und in ihren Augen loderte jetzt ein Feuer.
"Wir sind ihm ebenbürtig geworden."
Für einen Moment schien es als hätte unser Leben einen neuen Wendepunkt erreicht.
Ich sah wie ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
"Ich will dich nicht verlieren...nicht schon wieder...Ich hab nur dich-"
Sie stoppte abprut und der Frabton ihres Gesichtes änderte sich schlagartig und sie mied meinen Blick.
Ehe ich etwas tun konnte, sie trösten oder etwas zu ihr sagen, hatte sie sich wieder gefangen. Das war eine Eigenschaft die ich an ihr immer bewundert hatte. Sie rückte ihr Kleid zurecht und wischte sich über die Augen. Dann lächelte ihr typisches Lächeln, was mir die Jahre über immer nur in meinen Träumen begegnet war und streckte mir ihre Hand entgegen.
"Komm mit mir, Schwester."

Ich betrat eine hübsche Stube. Sie enthielt ein Himmelbett, dessen weißer Vorhang mich an die dünne Schneedecke im Winter auf dem Dach unseres Hauses in Bulgarien erinnerte, einen zierlichen Holztisch an dem zwei Stühle Platz fanden, ein großes Fenster das auf die schweigsame Landschaft draußen zeigte und einen Kachelofen der wohl als Wärmequelle und zum Kochen diente. Katerina entzündete einige Kerzen und verteilte sie gleichmäßig im Zimmer, ich schloss derweil die Tür und zog meinen Mantel aus. Sie machte jetzt Feuer im Ofen und setzte einen Teekessel auf, ich zog derweil eine Gardine vor das einzige Fenster in diesem Raum, dann ging ich ihr zu Hand, bis jeder von uns eine Schale heißen Tee vor sich hatte. Die Sorte war mir unbekannt, nicht einmal der Geruch kam mir bekannt vor. Wir hatten uns an dem Tisch niedergelassen. Schweigend beobachtete ich wie sich über dem Wasser Dampf bildete, es waren verschiedene Figuren die ihre Geschichte erzählten, jedoch nur für einige Sekunden, dann zerteilten sie sich und wurden eins mit der kühlen Luft die uns umfing.
"Wie kamst du davon?"
Fragte ich plötzlich und hob den Kopf.
Katerina runzelte die Stirn und sah mich fragend an.
Ich wollte es ihr nicht erklären, ich wollte das sie selbst darauf kam, eine Art Trotz hatte sich in mir festgenagt, ich wartete. Schließlich räusperte sie sich und begann:
"Ich lief davon, so schnell ich konnte. Ich kam nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, an die Hütte. Ich klopfte. Eine junge Frau öffnete mir. Rose. Wohl eine Freundin von Trevor. Sie hieß es nicht gut das er mir half. Sie hatte Angst, der Verrat an ihm würde ihnen teuer zu stehen kommen. Sie wollte mich ihm wieder ausliefern. Doch ich kam davon."
Sie machte eine Pause und nahm einen Schluck von ihrem Tee, sie zuckte ein wenig zusammen. Er war wohl noch zu heiß.
"Wie hast du es getan?"
Fragte ich vorsichtig und tunkte einen Finger in das kochende Wasser vor mir. Dann zog ich ihn wieder heraus und ließ die heiße Flüssigkeit meine Lippen benetzen.
Katerina verschränkte die Arme und sagte:
"Ein kräftiger Strick und den Mut los zulassen. Ich nährte mich am Blut der Dienerin und entkam."
Ich leckte mir über die Lippen, während ich ihr lauschte.
"Ich habe nach dir gesucht, jede Nacht. Ich zog von Ort zu Ort. Ich habe dich nie aufgegeben."
Sie sagte das wie zu sich selbst und starrte auf die dunkle Tischplatte.
"Woher wusstest du was du tun musst um dich zu verwandeln?" Überging ich ihre letzte Aussage und lehnte mich etwas nach vorne.
"Diese Nacht, als du mir von unserem Schicksal erzählt hattest, ging ich als du eingeschlafen warst, zu Trevor und stellte ihn zur Rede. Er sagte mir alles was ich wissen wollte und vielleicht noch mehr."
Erklärte sie in düsterem Ton.
"Aber wieso sollte er-"
Ich brach ab und musterte sie neugierig.
"Ich bitte dich."
Sagte sie und verfiel wieder in ihre leicht spöttische Haltung.
Als ich nichts erwiderte, stutze sie.
"Du bist so-"
Fing sie an.
Doch ich fuhr ihr dazwischen.
"Sag es nicht."
Sie lachte und der losgelöste Klang ihrer Stimme ließ mich für einen Moment alles Vergessen.
Ich lächelte und hörte ihr zu.
Dann wurde es wieder still.
"Wir können nicht hier bleiben, oder?"
Sprach ich und strich über den Samt meines Kleides.
"Nein."
Erklang ihre leise Stimme aus der Ferne.
"Er wird uns bis in die Hölle verfolgen."
Ich hob den Kopf und beobachtete wie ihre zarten Lippen diese Worte formten. Wieder herrschte Stille.
Diemals brach Katerina sie.
"Warst du...Zuhause? Hast du sie vielleicht gesehen, mit ihnen gesprochen?"
Sie bemühte sich so beiläufig wie möglich zu klingen, doch ich vernahm ihren schmerzhaften Unterton. Ich schüttelte mehrmals langsam den Kopf und hob die Schale Tee an meinen Mund.
Er war kalt geworden.
"Sie sind jetzt bestimmt alt und grau..."
Sagte ich und stellte den Tee wieder hin, nachdem ich getrunken hatte. Katerina warf den Kopf in den Nacken.
"Mamas Lächeln wird immer noch das selbe sein wie damals."
Ich sah meine Schwester überrascht an, es geschah selten das sie so frei über jemanden sprach.
"Das Alter konnte ihrem Gemüt und ihrer Erscheinung nie etwas anhaben."
Fuhr sie fort und sah mich an.
"Sie war immer..."
Katerina hielt inne und suchte nach einem Wort.
"Vollkommen."
Beendete ich sanft ihren Satz und sah sie an.
Sie nickte stumm und griff nach meiner Hand.
"Ich will nach Hause. Ich will sie sehen..."
Flüsterte sie und ich schloss für einen Moment die Augen.
Ich konnte unseren gleichmäßigen kalten Herzschlag vernehmen. Ich konnte ihn jetzt hören, wann immer ich wollte.
"Ich will sie nur noch einmal sehen...Bevor..."
Flüsterte Katerina und drückte meine Hand.
Ich sah ihr in die Augen.
Grün trifft Braun.
"Bevor wir aufs neue davon laufen."

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt