Heimathölle

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"Wie lange müssen wir in dieser stinkenden Schüssel noch herum kutschieren?"
Murmelte Katherine, während wir abwesend auf die verschieden farbigen und förmigen Baumstämme starrten, die auf unserer Augenhöhe, an uns vorüber zogen.
Ich sah zur Seite, auf dem Sitzpolster neben mir lag die Karte.
"Ungefähr noch drei Meilen bis zur Grenze, ab dort sind wir zu Fuß schneller in unserer Heimat."
Antwortete ich ihr, danach schaute ich nachdenklich wieder aus dem Fenster.
Seit fast 11 Jahren waren wir nicht mehr Zuhause gewesen, demnach schien es kein Wunder das wir eine Karte für den Weg brauchten, dennoch waren wir noch nie von der Westseite her angereist.
Auf der Ostseite lagen unsere Nachbarn, deren Höfe und Dörfer, dort trieben wir uns umher, als wir Kinder waren, dort arbeiten unser Vater und Großvater, nie verließen wir diesen Teil des Landes.
Denn er war unser Zuhause und hatte alles was wir uns ersehnen konnten, bis wir älter wurden und mit der Reife kam die Neugier, vor allem bei Katerina.
Jetzt erschien es mir sehr seltsam durch die Wälder zu fahren und zu wissen das irgendwo in der Ferne, sich dieser Ort befand der mir so am Herzen lag.
"Ist es nicht reizend, dieses von Krieg überzogene Land.
Ich kann das heiße Blut der Opfer bereits auf meiner Zunge schmecken."
Ließ sich Katherine vernehmen und sah mich an.
Es war einer dieser neuen Blicke die sie nun besaß und mir zu warf wie einen ausländischen Gruß.
Über die Zeit die wir getrennt waren, waren wir beide gezwungen gewesen irgendwie mit unserem Hungergefühl fertig zu werden. Eigentlich war es mehr eine Art Gier, denn Hunger kann man schließlich stillen.
Jedenfalls hatten wir beide sonderbare Angewohnheiten bekommen, die verrieten das unsere Gelüste nach Blut stärker wurden. Vor allem da wir uns bevor wir die Reise antraten ausgiebig und unbedacht ernährt hatten, so wie es uns gerade gefiel.
Jetzt aber waren wir gezwungen auf eine Menge frisches Blut zu verzichten, wir tarnten es in Wasser- oder Reiseflaschen, tranken es dann nur verdünnt um nicht aufzufallen und durch die Zeit die verstrich wurde es warm und dickflüssig. Auf dem Meer wurde unser Gepäck zu Anfang an streng kontrolliert, also beschlossen wir uns erst nicht mehr von Menschen zu ernähren bis wir das Land erreichten, sonst hätten wir es nicht geschafft. Ich seuftzte, in vielen lauen Nächten sehnte ich mich nach der zarten Ader der Edith und träumte von dem süßen Nektar der in ihr floß.
"Ich weiß was du meinst, aber wir müssen uns zusammen nehmen."
Murmelte ich abwesend, und befeuchtete meine Lippen mit der Zunge, diese Trockenheit konnte keine gewaltlos erworbene Flüssigkeit stillen.
Katherine stöhnte träge und lehnte ihren Kopf schwer gegen die Innenwand der Kutsche, sie sah mich mit großen Augen an.
"Wir haben seit drei Tagen keinen einzigen wirklich frischen Tropfen Menschenblut schmecken können...-"
Alamiert hob ich auf einmal die Hand, sie verstummte augenblicklich, in der Ferne vernahm ich dumpfes Hufgetrappel auf plattem Waldboden, das in unsere Richtung kam.
Katherine sah mich verwirrt an, das Sehnen nach frischem Abluft schien ihre Sinne zu täuben, ihre Lippen teilten sich.
"Halt den Mund."
Riet ich ihr und legte zeigend meinen gehobenen Zeigefinger vor meine Lippen.
Ich spürte meinen eigenen Herzschlag laut und kräftig in den Ohren. Es mussten mindestens drei sein, schoß es mir durch den Kopf.
"Was hast-"
Begann Katherine erneut, das galoppieren der Pferde hallte doppelt stark nach wie die Trommeln die zum Marsch der todgeweihten Krieger geschlagen werden.
"Schweig."
Sagte ich nun und versuchte so ungerührt wie möglich zu klingen, dabei übte ich mich die Fassung zu behalten.
Ich sah zur Seite und lehnte meinen Körper gegen die dünnen Sitzpolter der Bank und hörte auf die Geräusche die die Pferde verursachten.
Sie verhielten bei unserer Kutsche, und unser Gefährt hielt.
Als wir hörten wie sie mit dem Kutsche umsprangen, war uns die Situation mehr als klar.
Wir verließen die Kutsche und stürzten uns auf sie Reisenden, sie waren Vampire, keine sehr starken wie sich herausstellte, doch anscheinend stark genug um unseren Kutscher zu köpfen und unseren Pferden die Hufgelenke zu zertrümmern.
Wir zerlegten die Kutsche im Gefecht und durchbohrten sie je mit dem Ende einer Deichsel.
"Was wollten die hier?"
Fragte Katherine, ehe ich die Frage zuende gedacht hatte.
Wir sahen uns an.
"Klaus."
En zweistimmiger Chor, der nicht sehr fröhlich klang.
Wir befreiten in Einklang die Pferde von ihrem Leid.
Ein Jammer das Tierblut so unersättlich war, ich hätte sie ungern hier so verschwendet zurück gelassen.
"Sie wissen das wir hier sind."
Stellte Katherine fest.
"Wir sollten umkehren."
War ihre nächste Aussage.
Wir waren stumm zu Fuß den Weg weiter gegangen, jetzt blieb sie stehen.
"Elisabeth?"
Sagte sie mir hinter her, sie musste ja nicht schreien, ich hörte sie gut aus dieser Entfernung, selbst wenn sie flüsterte.
"Aber Mama!"
War meine sture Antwort.
"Weißt du denn nicht was das bedeutet?"
Fragte sie, es regte mich auf, das sie mit mir sprach als wäre ich unwissender als sie und auf irgendeine Weise naiver, selbst wenn es stimmte, es gab mir kein gutes Gefühl.
"Ich kann nicht umkehren, wir sind doch so weit gekommen."
Erklärte ich ihr, und ging verbissen weiter.
"Es ist eine Falle."
Sagte Katherine, doch sie folgte mir.
"Und wenn schon. Und wenn noch hunderte von denen kommen. Ich muss sie einfach sehen."
Die Worte brannten mir auf der Zunge, wie der Blutdurst in meinem Hals.
"Du bist so unglaublich naiv!"
Rief sie, diesmal laut.
Da war es, dachte ich nur.
"Kannst du dir denn nicht denken das-"
Ich wartete nucht auf sie, ich rannte davon, die unnatürliche Geschwindigkeit machte es mir leicht, doch ihr auch.
"Elisabeth!"
In weniger als einer Minute, war sie neben mir.
"Du wolltest sie doch sehen! Noch einmal bevor-"
Ich brach ab, denn es reichte ihr schon, sie sagte nichts mehr, bis wir Zuhause ankamen.
Ich erstarrte bereits im Türrahmen, alles schien bis dorthin wie immer, der Hof, die Ställe, das Pflaster, die Zäune, selbst die Blätter an den Bäumen, schienen gleich, doch als ich als erste das Haus betrat, fiel mir etwas auf, kein Unsterblicher konnte über die Schwelle treten ohne vom Besitzer oder Eigentümer des Hauses wortwörtlich eingelassen zu werden, geschah dies nicht hielt uns Dämonen eine unnatürliche Macht zurück und wir konnten tun was wir wollten, wir würden das Haus nicht betreten können. Jedoch glitt ich mühelos hinein, ohne das etwas mich aufhielt.
In diesem Augenblick wünschte ich mir, ich wäre nie über die Schwelle getreten. Mein Herz drohte mir zu zerspringen, als ich den Geruch vernahm, wie ein Schwall an bittersüßer Verdammnis.
Ich presste mir die Hand vor den Mund, als ich schwankend weiter ging.
"Papa..."
Er war mit einem Schwert durchbohrt und dessen Spitze war mit ihm daran in die Wand gerammt.
Er war gekreuzigt, sein Herz einmalig, tötlich, durchlöchert.
"Bashta..."
Ich presste die Lippen auf einander und wartete bis sich meine Sicht wieder aufklärte und ich den Rest des Zimmers erkennen konnte.
"Nein, nein, nein."
Hörte ich wie ein Echo meiner Gedanken die Stimme meiner Schwester, ganz in der Nähe.
Zwei Tränen lösten sich und ich blickte um mich, mit geweiteten Augen, als wäre ich eben der ewigen Blindheit geheilt worden.
Sie lag auf dem Bett, sie trug ihr weißes Leinenhemd, sie trug es immer zur Nacht, ihre Nachthaube war ein wenig verrutscht sodass man einige ihrer dunklen Haare hervorquellen sah, Blut tränkte ihr Hemd, färbte ihre Brust, die uns einst genährt hatte, es lief über ihren gesamten Körper, der uns gebar, über ihre Hände, die uns erzogen, uns für uns schufteten, Tag und Nacht, ich fiel auf die Knie.
"Mama...Mama- MAMA!"
Meine eigenen Schreie schienen von den Wänden zu kommen, sie umpfingen mich, innen und außen, wie das Wasser einen Ertrinkenden.
"Mumiya-a...!"
Flüsterte ich, bereits heiser, mein Körler zitterten, ich sackte über ihr zusammen, meine Hand strich üner ihr lebloses Gesicht, ihre kalte Haut.
Ich hörte meine Schwester weinen, dennoch sah ich sie nicht.
Später dann, erfuhr ich, das sie ihre mit den Zähnen Haut aufriss und versuchte mit ihrem Blut Mutter zu heilen, doch es gelang ihr nicht.
Ich wusste nicht wie viel Zeit verstrich, ich wusste nur das ich mich vergeblich nach dem Ende sehnte, dem Ende meines Leids, während ich weinte, betete ich, während ich betete, fluchte ich, während ich all dies tat, atmete ich nicht wie sonst.
Irgendwann war das Wasser versiegt, kein Tropfen Flüssigkeit war in meinem Körper mehr vorhanden, so schien es mir.
Meine Augen und Haut waren trocken, wie die der Leichen.
"Das ist deine Schuld..."
Das war das erste was ich wieder vernahm, als meine Sinne sich gesammelt hatten.
"Was..."
Kam es aus meinem Mund, wie das krächzten eines außer Gefecht gesetzten Raubvogels.
Sie saß neben mir, wie der Geist meiner selbst.
"Was hast du ihm gesagt..."
Sie sah mich nicht an, wir lehnten mit dem Rücken gegen dem Rand des Bettes, der Leichenbahre unserer Mutter.
"Was hast du ihm gesagt?"
Ich hatte sie bereits beim ersten Mal verstanden, nur meuterte meine Zunge gegen den Willen ihres Gebieters.
"Was hast du ihm gesagt?!"
Sie schrie, ohne mich anzusehen.
Sie schrie mich zwar nicht an, aber es schien mir ihr trat vor Herzeleid Blut auf die Lippen.
Sie rafte sich auf, als ich kein Wort hervor brachte und riss mich mit sich, auf die Beine.
"Hast du ihm gesagt wo wir herkommen, wo wir wohnen, wie sie heißen?!"
Etwas in mir zog sich in unguter Vorausahnung zusammen, doch es schmerzte mir nicht, es drückte mir auch nicht das Herz zusammen, das es nichts gab was mir noch schmerze konnte, schlug auch nichts in der ewig toten Hülle in meiner Brust.
"Er wusste wir würden zurück kommen!"
Jetzt schlug sie mich.
Da trat auch mir Blut auf die Lippen.
So glichen wir uns nun wieder, bis auf die Augen.
"Po dyavolite s teb!"
[Zur Hölle mit dir]
Greinte sie, ich hob eine Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, es war immer die selbe, seit sie klein war.
"Wenn dann fahren wir gemeinsam zur Hölle..."
Brachte ich hervor.
Hätte das Blut unsere Lippen nicht rot gefärbt, wären sie gewiss schneeweiß gewesen.
"Ich habe nichts gesagt..."
Sie sah mich nur an.
"Ich habe nichts gesagt."
Wiederholte ich.
Wie man sieht wechselten wir unsere Bahn wie miteinander tanzende Schmetterlinge.
"Ich schwöre..."
Murmelte ich, ein Tropfen des Blutes von meiner Lippe fiel auf ihr Kleid.
"Wir... sehen uns... in der Hölle..."
Gab sie stockend von sich, ihr Blick war wie aus Glas, sie glich mehr einem ungleichen Spiegelbild als meiner Schwester. Vermutlich war das schon immer unser Problem gewesen.
"Nein, wir sind bereits in der Hölle sieh dich um!"
Schrie ich, mit letzter Kraft, jetzt hielt ich sie an den Schultern, das sie mir nicht entglitt.
Es löste sich wie durch ein Wunder ihre Starre, wie meine zuvor durch ihre Hand, war es bei ihr ein Rätsel ob ich dies bewirkte.
"Du- Ich habs, ich habs getan...es ist meine Schuld, ich wollte nicht das es meine ist...ich vergib mir...warum hab ich es getan, ich weiß es nicht, ich habe ihnen vertraut...ich...ich habe ihm vertraut...warum hab ich das...
Ne iskam tazi bolka ...
pomogni mi ... pomogni mi ..."
[Ich will diesen Schmerz nicht ... hilf mir ... hilf mir ...]
Ich hätte nicht geglaubt das sie jemals unvorsichtig gewesen war, sie schien immer sorglos, doch das war sie nie gewesen.
Vor mir stand sie, so zerbrechlich, wie eine Prozellanpuppe.
Hätte ich sie damals beschreiben müssen, hätte ihr Gesicht, ihre makellose, weiße Haut, jede Menge feine, dünne Risse gehabt.
Man hätte sie nur noch einmal fallen lassen müssen und sie wär zerbrauchen.
Bei zweiten Mal, hätte man Ewigkeiten gebraucht die Teile zu finden und sie zusammen zu kleben.
Das alles wusste ich damals nicht, ich erriet es, weil es mir genauso ging, also sagte ich, was ich gewollt hätte, das sie an meiner Stelle zu mir gesagt hätte.
"Ich...ich vergebe dir
ti si vsichko, koeto imam..."
[Du bist alles, was ich habe]
Es war mir nah, das sie log um mich zu schützen, das sie auf sich alles nahm, was sie an meinem Schmerz bürgen konnte.
Sie legte die Arme um mich, sie wollte weder zerbrechen noch ertrinken.
"Ne me ostavyaĭ ...?"
[Verlass mich nicht]
Ich legte meine Arme um sie, ich wollte nicht allein sein.
"Nyama nachin..."
[Niemals]

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt