Eine Waldhütte im Osten

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"Nicht so schnell, Katerina! *Molya te!"
Wir ritten auf Smilla.
"Wo bleibt denn da der Spaß? *Idi moeto momiche!"
Sie hielt die Zügel sicher in der Hand und trieb die Stute an.
Ich schloss die Augen und hielt mich an ihr fest.
Die braunen Locken flogen im Wind und unsere Wangen waren vor Kälte rot. Ein paar Schneeflocken wurden wieder aufgewirbelt und hinterließen einen leichten weißen Nebel in der Luft.
Als Smilla, von Katerina angetrieben über einen Baumstumpf sprang, konnte ich mich nicht mehr halten.
Ich verlor mein Gleichgewicht, fiel vom Pferd und stürzte in den kalten Schnee.
"Elisabeth! Nein!"
Katerina war abgesprungen und sank neben mir in die Knie.
Unsere Gesichter waren weiß und unsere Locken nass.
"Elisa! *Malka sestra..."
Jetzt weinte sie.
"*Khaĭde! *Khaĭde! Wach auf! Bitte!"
"Wach auf, Elisabeth."
Ich schreckte hoch und stieß fast mit Katerina zusammen, als ich mich aufrichtete. Sie stand vor meinem Bett, doch ich erkannte nur ihre Silhouette. Es war dunkel, die Sonne war noch nicht aufgegangen und durch die verhangenen Fenster schien nur das Mondlicht. Verschlafen rieb ich mir die Augen.
"Was ist geschehen?"
Fragte ich in das Dunkel.
"Ich habe mit Trevor gesprochen, er wird uns helfen, Elisabeth. Er besitzt eine Waldhütte, sie liegt östlich von Avon und ist zu Fuß schnell erreichbar. Er wird uns Unterschlupf vor ihnen gewähren."
Sie flüsterte und doch verstand ich jedes einzelne Wort.
"Du hast..."
Ich brauchte einen Augenblick um mich zu sammeln.
"Du hast ihm gesagt das wir es wissen? Bist du wahnsinnig, woher willst du wissen ob wir ihm vertrauen können?"
Erwiderte ich leise und stand auf. Sie antwortete nicht, ergriff einen Feuerstein und entzündete eine Kerze.
Dann sah sie mich an.
"Das weiß ich nicht. Aber ihr, dieser-dieser Hexe..."
Sie hielt inne.
"Du sprichst von Ayana?"
Fragte ich und legte den Kopf schief.
"Ja, das tue ich. Verstehst du, ihr...ihr können wir auf keinen Fall vertrauen, sie hat ihren Verstand verloren. Ich weiß was du denkst, Schwester. Aber es gibt nur eine Möglichkeit. Denn ich werde unter keinen Umständen zulassen das wir uns trennen. Einverstanden? So bitte ich dich hier als deine Schwester mir zu vertrauen, nicht Trevor oder Ayana, mir, das muss doch reichen."
In diesem Moment blieb meine Welt für einen Augenblick stehen. Katerina hatte Recht, mochten unsere Entscheidungen oder Gefühle auch in unterschiedliche Richtungen gehen, solange wir noch die Macht besaßen zu entscheiden wo wir unseren Fuß als nächstes hinsetzen, durften sich unsere Wege niemals trennen. "Gut. Ich werde dir folgen."
Da nahm sie mich kurz und sanft in die Arme und als sie mich dann wieder los ließ drohte mein Herz zu zerspringen.
Eilig löschte Katerina die Kerze und fasste mich an der Hand.
Sie war kalt und zittrig. Wir trugen beide noch die Nachthemden die Klaus Vasallen uns gegeben hatten. Sie waren schneeweiß und aus feinem Linnen gefertigt.
So verließen wir meine Schlafstätte und so verließen wir auch das Haus. Hätte jemand mitten in der Nacht die zwei blassen Mädchen durch den stillen Park wandeln sehen, die eine ging voraus und hatte die andere bei der Hand gefasst, der würde sich wohl wundern was sie bei so später Stunde wohl taten.
Die beiden gleichten einander, bis auf die Augen.
Die der einen schimmerten in einem dunklen Braun das mit der Nacht verschmolz, und die der anderen strahlten in einem einzigartigen grün, das der Farbe einer Olivenfrucht ähnelte.
Nur wer genau hinsah konnte den Unterschied zwischen den beiden Schwestern erkennen.
Die Stille die in diesem Park herrschte war unheimlich und beunruhigend zu gleich, nur ab und an schrie eine Eule.
Ohne einen Blick zu wechseln beschleunigten wir unsere Schritte und zuletzt begannen wir zu rennen. Das große Eisentor hielt uns auf und wir schnappten nach Luft. Die Lage schien auswegslos, Katerina atmete schwer und sagte nur dumpf.
"Gott ist nicht auf unserer Seite."
Meine Hände schlossen sich um die kühlen Stangen und ich hob einen Fuß an. Ich schob ihn zwischen die Stäbe und drückte mich irgendwie nach oben. Ich hielt mich an den eisernen Stangen fest und kletterte immer höher.
"Was tust du? Du wirst dich verletzten."
Ich achtete nicht auf Katerinas Ruf und kam stumm voran.
Ganz oben angekommen schwang ich ein Bein über das Gatter und hielt kurz inne. Es war mein Glück das stockfinster war, so konnte ich den Boden nicht sehen, es war wie ein Sprung ins nichts. Mein Kopf wendete sich in die Richtung wo ich meine Schwester vermutete.
"Mach es mir nach, wenn du dich traust."
Keine Antwort. Ich schloss die Augen und sprang hinunter.
Ich landete auf den Füßen jedoch verlor ich kurz darauf das Gleichgewicht und fiel vorne. Eilig richtete ich mich wieder auf und hob die Hand damit Katerina sah das es mir gut ging.
Sie tat es mir nach, Schritt für Schritt, vielleicht hatte ich jetzt sogar mehr Angst um sie als um mich, als ich dort oben war.
Jede Bewegung von ihr war mir ein Herzschlag wert.
Sie sprang und ich stürtzte nach vorne. Katerina landete auf ihren Knien und ich half ihr auf. Unsere Nachthemden waren nun beide von feuchter Erde beschmutzt und doch hatten wir ein Hinderniss überwältigt. Es blieb uns keine Atempause sogleich nahmen wir uns bei der Hand und rannten los. Die Stille Straße hinunter an den vielen Kastanienbäumen entlang und Häusern der Reichen. Nach einer Ewigkeit wie es mir schien zog mich Katerina nach links in den Wald hinein. Uns reute es die sichere Allee zu verlassen und doch lag unser Ziel mitten im Wald.
"Wir müssen vor Morgengrauen die Hütte erreicht haben, dann werden sie gemerkt haben das wir fort sind. Solange wir laufen sind wir sicher."
Katerina hielt inne.
"Und noch eins...lass niemals meine Hand los."
Ich nickte, die Zeit drängte und es war noch ein weiter Weg.
Ein letzter voller Atemzug, ein letzter Blick und eine letzte Ruhe. Dann verschlossen wir unsere Hände miteinander und es schien uns wie ein geheimer Schwur zu sein.
"O schaudre nicht! Lass diesen Blick, Lass diesen Händedruck dir sagen, Was unaussprechlich ist."
Dann begannen wir zu laufen, über Wurzeln, über Steine, über die Gräser und Pflanzen des Waldes, liefen wir.
Auf Trevors Waldhütte im Süden zu.

*Molya te// Bitte
Idi moeto momiche// Komm mein Mädchen
Malka sestra// Kleine Schwester
Khaĭde// Komm schon

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt