Ein Gemälde des Schreckens

15 2 0
                                    

Ich ging öfter allein ins Dorf, Katherine blieb bei dem Kind, ich horchte mich um, ob nicht jemand eines vermisste.
Auch beschlich mich die Ahnung das es möglicherweise aus dem Haus stammte. Ein praktischer Ort um Dinge zu entführen, die einem nicht gehören, wo man sie aber nicht vermissen würde.
Es lag an mir, ich musste eingreifen.
Ich kehrte zurück.
Das Kind lag im Bett.
"Ihr geht es nicht gut. Sie hat Fieber."
Katherine saß beinah regungslos auf einem Stuhl neben dem Bett.
"Ich geh und hole ihr Medizin."
Sagte ich, und ich meinte es so wie ich es sagte.
Sie hob abhaltend die Hand.
"Nicht nötig, Schwester."
Sie erhob sich, geisterhaft.
"Ich gehe."
Sie ging.
Ich nahm ihren Platz auf dem Stuhl ein.
Es war mir bewusst das ein Topfen unsere Blutes jegliche Krankheit besiegen würde. Bis jetzt waren wir noch auf kein Hindernis gestoßen, das damit nicht hatte überwunden werden können.
Ich fragte mich warum Katherine sie nicht längst gerettet hatte.
Ich blickte herab, auf das kleine Gesichtchen, das Haselnussbraune Haar, die kindlichen Züge.
Natürlich, sie ließ mir die Wahl.
Eine Entscheidung.
War ich gegen unsere kleine, eigene Familie oder dafür?
Ich schmunzelte leicht kopfschüttelnd.
Gerissen selbst im Elend.
Ich wusste wie sehr sie es mitnehmen würde, würde sie ihr Kind nicht nur sinnbildlich ein zweites Mal verlieren.
Ich bin zwar ein Monster, aber bin ich grausam zu ihr?
Konnte man überhaupt grausam zu Monstern sein.
Sie war wie ich, sie war der einzige Anhaltspunkt, sie war alles was ich noch hatte.
Und ich durfte sie nicht verlieren.
Und mir wurde buchstäblich klar, das ich einen großen Teil von ihr bereits verloren hatten als sie damals von uns fort ging.
Es würde nie wieder so sein wie es war.
Und vielleicht hatte sie recht, möglicherweise war dieses Kind etwas Gutes für uns.
Eine Chance.
Obwohl mir nicht bewusst werden wollte warum gerade wir im Recht waren dieses Kind für uns zu gebrauchen.
Kinder, ausnahmslos alle Kinder sind von einer Unschuld und Schönheit umgeben die das Alter irgendwann bricht.
Meist geht die Unschuld vor der Schönheit, manchmal ist es auch andersherum.
Doch beides wird verblassen, früher oder später.
Dieses Kindergesicht... es schien mir als läge ich selbst dort im Bett oder Katerina.
Katherine
Was macht das für einen Unterschied?
Doch dieses Kind würde wachsen.
Eines Tages würde es sich wundern warum wir gleich blieben, ewiglich.
Nicht nur in unserer Eineigkeit.
In Jugend.
Dieses Kind würde nicht Kind bleiben.
Wenn es zu uns gehören sollte, musste es so werden wie wir.
Das war unumstößlich.
Vermutlich war die Krankheit nicht so schlimm.
Vielleicht war sie es damals nicht. Bestimmt wäre sie irgendwie anders heilbar gewesen.
Aber mir einzureden das das Kind ohne mein Zutun sterben würde machte mir die Sache leichter.
Ich sah zur Uhr.
Minute um Minute verstrich, es war mitanzusehen wie der starre Wellengang auf dem Meer. Unaufhaltsam. Sommer auf Winter. So vergehen die Jahre. Zich verwaschene Jahre.
Es schlug elf.
Nicht bei uns, die Kirchturmuhr in der Stadt vermutlich.
Man konnte sie hier nicht hören, das war ein Vorteil der lauten See.
Also gut.
_

Die Tür knarrte.
Ich saß auf dem Bett, wo das Kind gelegen hatte.
Katherine trat über die Schwelle.
An der Hand führte sie eine Leine und die Leine führte ein kleines Kalb.
Wo sie es her hatte fragte ich nie.
So wie ich sie nie fragte woher das Kind gekommen war.
Jenes saß nun in meinen Armen und hatte die Augen geschlossen.
Schweißtropfen rannen über die schweren Lider und die kleinen Hände waren zu Fäusten geworden.
Meine Finger spannten sich ohne Druck um die Kehle des Mädchens.
Das Kalb blökte.
"Ich bin zurück."
Sagte Katherine leise und schloss dabei die Tür.
"Ist das Abendessen?"
Fragte ich tonlos.
Katherine ließ wortlos die Leine los, das Kalb blökte wieder und trat von einem Bein auf das anderen. Im nächsten Moment quietschte es laut auf.
Dann war es still.
Katherine hatte es mit dem Fuß zu Boden gestoßen, und ihm mit dem Haken ihres Schuhes die Kehle zerdrückt, dass das Blut ronn.
Ich wandte den Blick ab, im gleichen Augenblick spürte ich was sich in dem Moment von mir gelöst hatte.
Das Kind.
Es saß nun auf den Knien nach vorne gebeugt, als sei es selbst ein Tier das sich bei der Tränke über den Fluss beugt um den kühlenden Sud mit der Zunge zu fassen zu bekommen, während sich kleine Wellen stormabwärts kräuseln.
Ich hatte noch nie zuvor einem Menschen mein Blut verabreicht und erst jetzt sah ich dessen Auswirkungen klar vor mir.
Ein Gemälde des Schreckens.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir nicht sicher gewesen.
Doch jetzt wo ich mein Werk vollendet sah, den kleinen gebeugten Kinderkörper, der die Gebärde eines fast vor Hunger vergehenden Wesen vollführte, gleich dem Bettler und dem lechzenden Raubtier, wusste ich es wirklich, und begriff was es bedeutete.
Die Natur hatte uns nicht gewollt.
Weil der Kreislauf der Natur ein Geben und Nehmen in sich hat.
Für jeden verruchten Fleischfresser der jagt und tötet um zu überleben, gibt es wieder einen stärkeren der denselbigen jagt und tötet, um selbst zu überleben.
Nur standen wir als Geschöpfe der Nacht und des Blutes weder am Anfang noch am Ende dieser Nahrungskettte.
Wir waren überall und nirgends.
Wir brachten alles jene Gleichgewicht durcheinander, das sich Mutter Natur über die Jahre mühsam zusammen gestellt hatte.
Wir selbst hatten kein Ende, keinen Tod, nur die ewige Jagd.
Und das erste Mal empfand ich dies wirklich als eine tatsächliche greifende Offenbarung unseres Unglücks.
Ich rief mir immer wieder in den Sinn das wir kein Ende hatten, vielleicht ja einen Anfang.
Ich fragte mich ob ich gerade so einen Anfang anstarrte.
Schmatzen.
Niemals in meinem ewigen Leben werde ich jenes Geräusch vergessen.
Es ist mir ein Rätsel warum gerade dieses Kind solch einen Einfluss auf mich hatte und wie ich über mein Dasein und das leider Schwester dadurch so sehr zum Nachdenken angeregt ward.
Vielleicht war es meine verbliebene Menschlichkeit, oder nur die Ähnlichkeit des Kindes mit mir, mit uns, als wir jünger waren, die mich dazu zwang mich selbst in jenem kleinen Mädchen zu sehen und was aus mir geworden war, was aus uns geworden war.
Manche Dinge sind so schrecklich, dass man wenn man sie begreift auf der Stelle sterben will.
Nur war Sterben nichts was uns in diesem Stadium des halben, sündigen Lebens noch gebührte.
Wir hatten uns bereits entschieden.
Nur das Kind...
Ich hatte für das Kind entschieden.
Ich hatte mich als mündig gesehen.
Katherine war ob dem froh.
Sie hatte nun ihr Kind wieder.
Ebenso schön und vollkommen wie sie selbst.
Und jung, ewig jung, als sei keine Zeit verstrichen, und als sei es immer bei ihr gewesen.
Und nun wird es auch für immer bei ihr sein.
Das war ein schönes Ende für ihr Märchen.
Oder war es das?
Ich fühlte mich dazu bestrebt ein weiteres Mal zu entscheiden.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 16 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt