Ich oder Du

499 25 6
                                    

Noch nie war ich um mein Leben gerannt.
Noch nie hatte ich so gebetet.
Noch nie war ich gerannt um dem sicheren Tod zu entgehen.
Noch nie war mein Ende näher gewesen.
Die Erschöpfung drohte mich in die Knie zu zwingen, der Wald schien immer der selbe zu bleiben und die Zeit schien doppelt so schnell zu vergehen.
Schon sah man den Himmel rosa werden und die letzten Sterne verblassten im frühen Morgenrot.
Ich hielt die Hand meiner Schwester und sie hielt meine, wir hatten uns nicht getrennt. Sie lief ein wenig vor mir, ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Aber ich wusste auch so was sie fühlte. Man sagt das Sterben leicht ist und das Leben schwerer.
Niemals wollte ich wissen was wahres Leid bedeutet, doch ich sollte es sehr bald erfahren.
Nun, zu der Lichtung dort vorn und noch weiter.
Schritt für Schritt, über das Gehölz, die Wurzeln und den Klee. Das Blätterdach wurde lichter und hätten wir nicht den keuchenden Atem der anderen im Ohr, so würden wir jetzt wohl die Vögel ihren Morgengruß singen hören.
Noch ein paar Schritte noch einen Sprung, da stolperte ich und stürtzte in mein Verderben. Über einen Stein oder eine Unebenheit im Boden war ich gefallen, da meine Sinne geschwächt und mein Blick mit der Zeit verschwommen geworden war, könnte ich es nicht sagen.
Die Hand meiner Schwester verlor ich im Fall und griff ins Leere. Der Waldboden schien mir so bequem wie ein Federbett und jenes Blatt an jedem Baun über mir, schien einen Tempel zu bilden und mich geborgen ruhen lassen. Meine Genossin, so spürte ich war noch ein Stück weiter gelaufen, dann hatte auch sie gestoppt und sich zu mir umgewandt. Ich bat Gott das er sich meiner verlorenen Seele erbarme und mich zu ihm hinauf nahm.
Besser Sterbe ich durch quälende Erschöpfung als von Mörderhand. Doch hatte ich noch etwas das mir Mut gab, etwas das mich schützte auf eine Weise wie nur sie es tun kann.
Für die Liebe lohnt es sich zu kämpfen und für die Freiheit.
Ich sah sie nicht, doch wusste ich das sie jetzt betete.
Das sie betete das ich aufstehen, das ich weiterlaufen würde und ich wusste das weil mein Herz es wusste.
Ich stützte mich auf meine Hände und sah das sie samt meiner Arme zitterten.
Ich richtete mich auf und konnte mich gerade so auf den Knien halten. Da teilten sich meine Lippen und dann floß Blut auf den Waldboden. Geschockt beobachtete ich wie es sich verteilte und sich mein Nachthemd damit tränkte. Ich griff mir an den Hals und spürte zu meinem Entsetzen das ich nicht mehr sprechen konnte, da hob ich den Kopf und sah sie. Ich spuckte Blut und hob die Hände, strengte mich an, ein letztes Mal, ich konnte nicht rufen, meine Stimme war abgestorben aber ich wusste das es keine Hoffnung mehr für mich gab, wohl aber für sie.
Ich weinte und hoffte das sie es nicht sah, ich raufte mir die Haare ich wollte sie anschreien, das sie doch laufen sollte, das sie verdammt noch mal laufen sollte und das es mich zeriss sie dort zu sehen. Auch ihre Lippen waren rot von Blut, und auch sie zitterte, jedoch besaß sie einen ungeheuren Willen, für den ich sie schon immer beneidete. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. "Ich werde es nicht tun, bitte, bitte. Möge mich doch jemand umbringen auf der Stelle."
Das sagten ihre Augen als sie näher kam und mich an den Armen packte mich zu ihr hochzog. Obwohl diese Anstrengung ihr Ende hätte bedeuten könnte, tat sie es, für mich.
Ich schüttelte nur den Kopf und strich ihr das Blut von den Lippen. Zwei Schwestern hielten sich in den Armen und weinten. Und nach einer Weile reißt sich die eine von der anderen los und deutet mit letzter Kraft auf den kleinen Pfad der von der Lichtung ab wieder in den dichteren Wald führt.
"Du musst gehen."
Mein Blick sollte ihr alles sagen, was sie wissen musste.
Sie weinte, aber sie ging.
Und am Ende rannte sie.
Sie lief davon und ich brach erneut zusammen.
Nicht lange und die ersten Strahlen der Sonnen brachen durch das Blättterdach über mir. Jegliches Zeitgefühl war mir schon lange verloren gegangen. Da schlossen sich ein paar kühle Finger um meine Kehle und hoben mich in die Höhe.
Verzweifelt griff ich nach ihnen und versuchte zu verhindern das sie mich erwürgten. Ich hing wie ein Käfer in einem tödlichen Spinnenetz, aus dem es kein Entkommen gab.
"Dachtet ihr wirklich ihr würdet mir beide entwischen können?" Ich öffnete schwach die Augen.
Die Hand die mich am Hals gepackt hatte, gehörte zu Klaus.
Er schien sich an meinem Leid zu ergötzen und fuhr unbekümmert fort.
"Es war so einfach, ich musste nur zwischen euch wählen. So ließ ich es zu einem Wettlauf werden und du hast verloren. Ihr Wille zu überleben war wohl stärker als deiner, so stark das sie dich sogar im Stich gelassen hat. Nun Elisabeth, deine Reise geht hier zuende."
Er ließ meine Füße wieder den Boden berühren, aber seine Hand blieb an meinem Hals. Er konnte jeden einzelnen von meinen Herzschlägen spüren, das steigerte mein Gefühl ihm hilflos ausgeliefert zu sein. Da realisierte ich auf einmal das Blut, das sich immer noch auf dem Nachthemd und meinen Lippen befand. Verzweifelt sah ich mich um und stellte fest das er es längst bemerkt hatte. Sein Gesicht war starr und bleich geworden, mit Schrecken sah ich wie bläuliche Adern unter seinen Augen hervor traten, die sich schwarz gefärbt hatten, nur die Iris funkelte in einer gelb-goldenen Farbe. Jetzt strich er mit einem einzelnen Finger über meine Lippe und betrachte den Tropfen Blut der sich nun an ihm befand. Entsetzt erblickte ich das sich sein Gebiss in das eines wilden Tieres verwandelt hatte.
"Es schadet ja nicht, einmal zu kosten. Dir macht es doch bestimmt nichts aus."
Nun schrie ich, keuchte und kämpfte immer heftiger denn je gegen seinen Griff an.
Doch was nutzte es mir, nichts.
Es gab niemanden der mich retten konnte, aber zum Glück ist sie in Sicherheit.
Zum Glück bin ich es und nicht sie.
Das war das letzte an was ich dachte, bevor ich vor Angst mein Bewusstsein verlor.

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt