An der Küste

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Es war schwer zu sagen wie die nächsten Wochen verliefen, oder waren es Monate?
Gläubige hätten eingeworfen, das es daran lag, dass wir sie nicht hatten begraben können.
Wir hatten keine Zeit gehabt.
Nicht lange nachdem wir sie aufgefunden hatten, kamen die Nachbarn angelaufen, sie waren neugierig woher die Schreie kamen, Katherine sprach ein paar Worte mit ihnen, dann brachten sie Stroh und Rum.
Sie stopften das Haus aus, wie eine Vogelscheuche, die es auf den Feldern zahlreich gab, sie vertrieben die Vögel, das sie nicht die Saat auspickten, wenn sie neu gestreut war.
Hier nutzen sie das getrocknete Gras, weil es so leicht entzündbar war, sie brachten dazu ihre Öllampen und warfen sie durch die Fenster der Hütte.
Ein nobles Opfer für uns, so schien es.
Ich fragte mich ob sie es aich getan hätten, hätte Katherine nicht mit ihnen davor gesprochen.
Es war lange her, seitdem wir mit den Menschen auf einer Ebene kommunizierten.
Es dauerte nicht lange bis alles in Flammen stand.
Den Rum den sie zusammen mit dem Stroh gebracht hatten, tranken wir.
Ich weiß noch, das wir dort standen, und mir nichts anderes durch den Kopf ging, als der Wunsch mich in das glühend heiße Meer zu stürzen.
Es schien mir die Lösung meiner Probleme zu sein.
Doch dann fiel mir immer wieder das Versprechen ein, das ich ihr gegeben hatte.
Ich sollte sie nicht verlassen, und ich hätte sie doch mitgenommen.
Ich sah die einzelnen Flammen, wie sie zum Himmel aufschlugen und ich sah sie, ihr Gesicht, vom Feuer erleuchtet.
Ich dachte mir, ihr würde gerade ähnliches durch den Kopf gehen, denn sie griff nach meiner Hand.
"Auf sie."
Sprach sie, mit der anderen Hand hielt sie die Flasche Heimatrum.
Als sie sie mir übergab, war sie schon einiges leichter geworden.
Ich sprach nicht, nichts auf sie und gegen Gott.
Ich wusste wer uns das angetan hatte und es schien mir sein Gesicht bildete sich aus dem Rauch und den Flammen.
Er sah uns, selbst aus der Ferne.
Ich wusste, das er nicht kommen würde um uns zu holen, er wollte warten, so lange bis wir zu ihm kamen, ihn anflehten das er uns erlöste, von dieser Qual.
Er war wahrhaftig ein zeitloses Monster.
Er wollte die Angst, die Furcht der Schwachen und die Rache, die Vergeltung der Mächtigen.
Er selbst wollte Richter, über alles und jeden, Vollzug der Strafe und die Gnade persönlich sein.
Doch auch sein Rauch verzog und wurde zunehmend mit kühler Nachtluft zerteilt.
Das Feuer brannte nieder, der Morgen kam, wir waren fort.
Wir zogen uns an das Meer zurück, dort oben an der Küste lag zu deiser Zeit zwar kein Schnee, aber die Kälte war beinahe unerträglich. Sie passte sich so sehr gut derer in unseren Herzen an.
Wir besaßen die verlassene Hütte eines Fischers und seiner Frau.
Wir hatten kein Blutwerk getan, sie war schon vor unserer Ankunft verlassen.
Es war Zufall das wir sie entdeckten, der Sommer war vorrüber und die meisten Menschen zogen sich dann von der Küste zurück.
Früher war mir das verständlich, jetzt nicht mehr.
Das Holz knarrte in stürmischen Nächten, wenn das Wasser einen seiner grausamen Kämpfe gegen uns und sich selbst austrug.
Es war innerlich beruhigend zu spüren, das die Natur unser seelisches Ungleichgewicht teilte.
Je länger wir in Zweisamkeit verbrachten, desto mehr sehnte ich mich an einen anderen Ort.
Ich konnte weder die staubigen, gebrauchten Netze an der Decke mehr sehen, noch den Fisch und das Salz riechen.
Ich erinnerte mich wie Bekannte unserer Familie früher erzählt hatten, das sie kranke Kinder an die Küste schickten, um sie zu kurieren. Oft sprach man von Lungenbeschwerden, Husten und Halsschmerzen, aber auch von Fieber, Pocken und Thyphus.
Sie sagten uns nie wie sie dort die vielen Kinder heilen konnten, wenn sie es hier nicht tun konnten.
Ich dachte immer an ein prunkvolles, weißes Gebäude, mit vielen Türmen, geformt wie eine Kirche, davor ein großes Tor als Eingang.
Dort nahmen sie dann die kranken Kinder auf und später kehrten sie kerngesund durch das Tor zurück.
Wir hörten damals selten von Kinder die zurück kamen.
Jetzt fiel mir die Geschichte nur wieder ein, als ich zur Abwechslung hinunter ins Dorf auf den Markt ging, um ein paar Sachen zu besorgen und dabei gezwungenermaßen den Gesprächen aller Leute im Umkreis von mindestens dreißig Ellen machte.
Ich erfuhr jedoch nichts über eine Heilstätte oder der gleichen, alles was es gab war ein kleines Haus am Rande der Stadt, dort hinein steckten die die Kranken und schlossen wohl gründlich ab.
Sie fütterten sie mit Hirse und Wasser und warteten ab wie sich ihr Zustand verhielt.
Keine Kräuter, die hier wuchsen, nicht einmal die scharfe Luft konnten helfen.
So schottete man sie ab, um zu verhindern das die Krankheit sich ausbreitete, das Risiko sich anzustecken war an der Küste wohl geringer, wer weiß.
Außerdem war es billiger alle Kranken in einem Haus zu halten als sie einzeln in Familien im ganzen Lande verteilt, das dachten sich wohl nicht nur deren Angehörige sondern auch die hohen Herrscher.
Ich ging nur einmal vorbei, denn es hatte mich neugierig gemacht, außerdem brauchte ich keine Angst zu haben mich zu infizieren wenn ich zu nah heran kam.
Wunden die meiner Haut hinzugefügt wurden, heilten in Sekunden, man konnte dabei zusehen, ich tat es manchmal bloß aus Faszination.
Schließlich, wenn ich ewig außerhalb unverletzt blieb, warum sollte es nicht auch innen gelten?
Es war sonderbar so über die Welt zu wandeln, ich konnte mich nie daran gewöhnen, da bewunderte ich meine Schwester, ihr schien es Gott gegeben zu sein, es hätte mich nicht gewundert wenn sie seit ihrer Geburt nie anders gewesen war, niemals sterblich, niemals menschlich.
Dieser Gedanke klingt hart, aber er schien es für mich nicht zu sein.
Sie begann immer mehr zu einem perfekten Bild zu werden, das eingerahmt über dem Kaminsims in einer feinen Stube hing, während das meine noch nicht ganz getrocknet war.
Doch sie war wirklich bewundernswert, mein Ebenbild und Gegenstück zugleich.
Das Haus war mehr noch eine Hütte, vom Wind schief, und brüchig, die Fenster waren mit Brettern vernagelt.
Es umgab kein Garten, nur auffällig in Reihe und Glied erhoben sich niedere dünn mit Gras bewachsende Hügel rings um das Stück Land. In jeden waren einzelne kleine unförmige hölzerne Kreuze gesteckt, in deren waren Namen geritzt, nur die Anfangsbuchstaben und dann den vollen Nachnahmen.
Eine Grablandschaft, hier gehörte das Land dem Volk, den Toten noch mehr.
Als ich über die Schwelle der alten Fischerhütte trat, war es bereits stockfinster draußen geworden.
Ich eilte mich neues Holz auf die Feuerstelle zu legen (man konnte es nicht wirklich einen Ofen nennen).
Der Atem wandelte sich in Nebel, meine Schwester war nicht da.
Ich kauerte mich nieder und beobachtete wie der Schatten meiner Selbst durch die kleinen lichten Flammen die ich entzündet hatte, unruhig über die Wände geisterte.
Sie ging manchmal Abends fort, auch ohne es mir zu sagen, aber etwas war dieses Mal anders.
Eine dunkle Vorahnung, ähnlich wie die von damals, nur schien sie alltäglicher, bekannter ohne das man sie oft oder gar jeden Tag verspürte.
Die Tür knarrte leise als sie geöffnet wurde, und ein paar Füße über die Schwelle tritt.
Ich hob den Blick und meine Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen.
Eine kleine Gestalt stand im Türrahmen und sah mich an.
Ich griff nach einem Wachstab zündete ihn an, ohne meinem Blick zu lösen, und erhob mich langsam, ihn vor mich haltend, die Dunkelheit ein wenig mehr zu erhellen.
Es half, ich erkannte zwei runde, dunkle Augen, die wurden von Schein der Kerze erleuchtet, sie sahen mit einer Mischung von Neugier und Angst zu mir auf, ich war mir sicher da war noch etwas anderes, doch ehe ich hätte tiefer blicken können, schob sich eine zweite Person hinter die erste und in den Lichtkreis, sie schloss die Tür.
"Darf ich vorstellen, meine Tochter."

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt