Kapitel 3 oder die Sache mit dem tollen Troll

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Ich wusste nicht, wo Kageyama wohnte, aber das ließ sich leicht herausfinden. Ich musste nur vor die Tür gehen. Nachdem ich seinen Kleiderschrank nach warmen Klamotten durchwühlt hatte, schlüpfte ich hinein, ohne die Hose, mit der ich aufgewacht war, anzurühren.

Schlimm genug, dass ich in Kageyamas Körper steckte, da fehlte mir gerade noch, ihn jetzt auch noch nackt zu sehen.

Sobald ich wusste, wo ich war, wusste das Internet, wie ich nach Hause kam. Mit der Bahn würde ich eine ganze Stunde brauchen, mit dem Rad nur zwanzig Minuten. Normalerweise war das für mich keine Frage; wenn niemand dabei war, um im Notfall einen Krankenwagen rufen zu können, strengte ich mich so wenig an wie möglich. Ich rannte nicht einmal, wenn ich zu spät dran war.

Aber Kageyama hatte kein Asthma. Sein Fahrrad -ich nahm zumindest an, dass es eines war- lehnte am Gartenzaun. Ich zögerte. Vielleicht hatte ich das Asthma mit in diesen Körper genommen. Ich atmete tief ein, schüttelte meine Zweifel ab und griff nach dem Lenker.

Kageyamas Körper fühlte sich ein bisschen an, als hätte man sein Fahrrad mit einem Elektromotor aufgemotzt. Alles schien irgendwie leichter zu gehen und gegen meinen Willen genoss ich es, ohne ins Schwitzen zu geraten bergauf zu fahren. Ich brauchte keine zwanzig Minuten bis zu mir nach Hause. Hätte ich mich beeilt, hätte ich es vermutlich in zehn geschafft.

Mit vor Kälte geröteten Wangen bog ich in unsere Straße und erst jetzt wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie es von hier aus weitergehen sollte. Wenn ich klingeln würde, würden meine Eltern öffnen. Aber sie würden nicht wissen, dass sie ihrer Tochter öffneten, sie würden Kageyama sehen.

Ich beschloss den direkten Weg zu gehen und an mein eigenes Fenster zu klopfen. Dazu würde ich zwar um das halbe Haus schleichen müssen, aber es wäre einem Wunder gleichgekommen, wenn ausgerechnet heute jemand beschließen würde, aus dem Fenster zu sehen.

Dann wiederum dachte ich, dass meine Situation es erforderlich machen könnte, an Wunder zu glauben.

Geduckt schlich ich um das Gebäude, bis ich unter meinem eigenen Fenster stand. Ohne zu springen würde ich das Glas nicht erreichen, also nahm ich zwei Schritte Anlauf und drückte mich kräftig vom Boden ab. Ich war so überrascht, wie hoch ich plötzlich springen konnte, dass ich vergaß, gegen die Scheibe zu klopfen. Beim zweiten Versuch nahm ich weniger Anlauf, hob aber immer noch ein gutes Stück vom Boden ab. Meine Fingerknöchel streiften das Glas.

Beim dritten Versuch klappte es.

Erwartungsvoll machte ich einen Schritt zurück, um die Scheibe besser sehen zu können und wäre beinahe nach hinten umgekippt, als sich plötzlich ein Gesicht von Innen gegen das Glas drückte. Ich hörte meine eigene Stimme, die schimpfte wie ein Rohrspatz und dann verschwand das Gesicht meiner Schwester und das Fenster wurde aufgerissen.

Ich war nicht besonders vertraut mit meiner eigenen Mimik; ich sah mich nur im Spiegel und auf Fotos, aber ich war mir sicher, dass ich mich mit der Behauptung, ich hätte noch nie so böse dreingeschaut, nicht allzu weit aus dem Fenster lehnte.

„Sie heißen Hiroe und Mayumi", sagte ich anstatt einer Begrüßung und sofort erschienen die beiden kleinen Teufel im Fensterrahmen.

Sie streckten mir die Zunge raus, dann fragte Mayumi: „Wer ist das, Sayo?"

Mir wurde plötzlich klar, dass die beiden mich nicht erkannten, natürlich erkannten sie mich nicht. Ich hatte Kageyamas Gesicht und er meines. Erstmals kam mir der Gedanken, dass es eventuell gar nicht Kageyama war, der die Kontrolle über meinen Körper hatte und ein Rest der Übelkeit von vorhin kehrte auf einen Schlag zurück. Was sollte ich tun, falls es nicht Kageyama war?

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt