Kapitel 10 oder die Sache mit dem Nasenbluten

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Der Donnerstag verstrich viel zu schnell. Ich konnte buchstäblich zusehen, wie mir die Zeit wie Sand durch die Finger rann und ehe ich es mich versah, war es bereits Freitagmittag und das Trainingsspiel rückte unausweichlich näher.

Aktuell versteckte ich mich hinter einer verriegelten Tür auf der Jungstoilette und versuchte, zwischen der Aussicht die Sicherheit der Kabine verlassen zu müssen und dem Uringeruch nicht den Verstand zu verlieren.

Kageyama hatte, wie zu erwarten gewesen war, nicht begeistert auf meinen Bericht vom Training am Mittwoch reagiert und der Ausdruck des Entsetzens, als ich von dem Spiel heute erzählt hatte, hatte sich unwiederbringlich in meine Netzhaut gebrannt. Das hatte mir nicht eben Mut gemacht.

Es hatte eher den Eindruck hinterlassen, als würde er sich meinem Unternehmen, ein Grab für mich auszuheben, tatsächlich anschließen und ein Doppelgrab daraus machen wollen. Als er dann auch noch verkündet hatte, er wolle sich das Spiel von der Tribüne aus ansehen, hatte mich fast der Schlag getroffen.

Er wollte tatsächlich bei seiner eigenen Hinrichtung in der ersten Reihe sitzen.

Ich hatte versucht ihm klarzumachen, dass er das mit Sicherheit nicht mitansehen wollte, aber er hatte darauf bestanden.

Die Vorstellung von seinem brennenden Blick, der mich während des Spiels verfolgen und gegebenenfalls durchbohren würde, jagte mir einen Schauder über den Rücken. Das würde ein gefundenes Fressen für Tsukishima und die Gegner werden, von denen ich inzwischen auch den Namen wusste: Aoba Johsai, besser bekannt als Seijoh.

Wie die meisten anderen aus der Umgebung hatte auch ich mein Glück an ihrer Aufnahmeprüfung versucht, aber ich war wenig überrascht gewesen, als die Absage per Post gekommen war. Ich hatte sowieso nur auf Geheiß meiner Eltern daran teilgenommen. Sie hatten wohl selbst gewusst, dass meine Aufnahme an der Seijoh ein Griff nach den Sternen war, denn ihre Enttäuschung hatte sich ebenfalls in Grenzen gehalten.

Hiroe hatte damals mit süßem Lispeln gesagt: „Sule der Kräh'n klingt eh viel söner."

Danach hatten wir nie wieder darüber geredet.

Ich fragte mich, wie viel länger ich mich wohl noch auf der Toilette verstecken konnte, bevor Kageyama mich finden würde, als die Tür aufflog. Obwohl mich hier nicht verbotenerweise aufhielt, stockte mir prompt der Atem und ich hielt unter dem Spalt zwischen Tür und Boden nach meinen Schuhen Ausschau.

Von Kageyama erwartete ich nichts Geringeres, als mich notfalls mit Gewalt in die Sporthalle zu schleppen.

„Ich weiß, Kageyama ist normalerweise niemand, um den man sich Sorgen machen sollte, aber irgendwas stimmt in letzter Zeit nicht mit ihm."

Sofort spitze ich die Ohren und verhielt mich mucksmäuschenstill. Der Wasserhahn wurde aufgedreht und ich hörte, wie jemand seine Flasche auffüllte.

„Ja, er benimmt sich wirklich komisch. Er trinkt nicht mal seine Milch."

Letzteres war Hinatas Stimme gewesen, die seltsam betrübt klang. Sofort bekam ich wieder Gewissensbisse, weil ich darauf bestanden hatte, niemandem von unserer Situation zu erzählen. Als die andere Stimme wieder sprach, glaubte ich darin Ennoshitas ruhigen Tonfall zu erkennen, aber ich war mir nicht sicher.

„Und er spielt, als hätte er noch nie einen Ball gesehen."

Ich wollte empört nach Luft schnappen, aber dann besann ich mich eines Besseren. Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen und dann war da noch der Umstand, dass die Stimme natürlich Recht hatte.

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt