Kapitel 4 oder die Sache mit dem freien Atmen

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Ich fand Trost in der Tatsache, dass Kageyama Milch liebte und jetzt in meinem laktoseintoleranten Körper festsaß, das machte es ein bisschen erträglicher, dass meine Schwestern mich nicht mehr erkannten.

Nachdem ich das Gefühl gehabt hatte, Kageyama hätte die Grundlagen zum Umgang mit Asthma drauf, hatten wir uns gegenseitig so viel wie möglich über unsere Familien und Freunde erzählt, um uns wenigstens halbwegs im Leben des anderen zurechtfinden zu können. Er hatte mir das Versprechen abgenommen, dass ich an seiner Stelle zum Volleyballtraining gehen würde und ich hatte widerwillig zugestimmt.

Ich wusste, dass es den anderen auffallen würde; ich saß zwar am Steuer von Kageyamas Körper, aber das hieß noch lange nicht, dass ich sein Spielgeschick hatte. Andererseits war ich neugierig, wozu dieser Körper fähig war. Wie schnell konnte ich mich wohl bewegen, wie hoch konnte ich springen?

Auf dem Weg zurück zu Kageyamas Zuhause, das vorrübergehend wohl mein Zuhause sein würde, ließ ich mir Zeit. Ich machte sogar trotz der eisigen Temperaturen einen Umweg, weil es ein beflügelndes Gefühl war, völlig unangestrengt in die Pedale treten zu können. Ich fragte mich, ob dieses Gefühl süchtig machen konnte und wie lange Kageyama einen Entzug überstehen würde.

Als ich ankam, lehnte ich das Rad zurück gegen den Zaun, aber ich wollte noch nicht zurück ins Haus. Drinnen würde ich die elektrisierende Energie, die unter meiner Haut prickelte, nicht loswerden können. Ich ging ein Stück zu Fuß, bevor ich eine breite Wiese erreichte. An einigen Stellen türmten sich noch Reste des Schnees, der kurz vor Weihnachten gefallen war. Seitdem war der Himmel klar und die Luft eisig kalt geblieben. Ein einsamer Schneemann, der zu einem einzigen großen Klumpen zusammengefroren war, stand am Rand der Grünfläche und überwachte die Szene.

Ich beschleunigte meine Schritte, bis ich fast lief. Meine Füße hämmerten gegen den Asphalt, als ich immer schneller wurde. Mein Atem bildete kleine Wölkchen, die ich hinter mir in der Luft hängen ließ. Ich lachte ausgelassen, als ich in einen langsamer werdenden Trab verfiel und schließlich zum Stillstand kam. Meine Augen tränten von der kristallklaren, frostigen Luft und meine Brust hob und senkte sich schnell. Ich fühlte mich gut. In meinem eigenen Körper hätte ich jetzt darauf gelauscht, ob meine Atmung pfiff, oder holprig wurde und ich hätte nach diesem spontanen Sprint sicher meinen Inhalator gebraucht. Kageyamas Körper dagegen strotze nur so vor Kraft und das würde ich auskosten, solange es hielt.

Eigentlich hätte ich schlecht gelaunt sein müssen; ich steckte in einem fremden Körper und hatte keine Ahnung, wie ich in meinen eigenen zurückgelangen sollte, aber tatsächlich war ich beinahe zufrieden. Ich wollte nicht für immer in diesem Körper bleiben, aber solange ich nichts an der Situation ändern konnte, würde ich das Beste daraus machen.

Das Beste sah allerdings nicht vor, dass Kageyamas Körper eine Blase hatte, die unbedingt geleert werden wollte. Ich hoffte wirklich inständig, dass ich mit geschlossenen Augen pinkeln konnte.

Nachdem das Problem mit der Blase gelöst war, rief ich Kageyama unter meiner eigenen Nummer an. Ich hatte Glück, dass sein Smartphone sich mithilfe seines Fingerabdrucks entsperren ließ und ich in Besitz seiner Finger war.

„Hey Kageyama-kun", sagte ich, als er abhob.

„Deine Schwestern hätten beinahe den Teppich in Brand gesetzt", informierte er mich ohne mich zu begrüßen und klang dabei ziemlich gestresst.

„Du musst alles aus ihrer Reichweite schaffen, was potenziell gefährlich werden könnte. Scheren, spitze Gegenstände und definitiv Feuer."

„Ich sollte sie anketten", murrte er und das brachte mich zum Lachen.

„Hast du schon den Peak-Flow gemessen?", fragte ich nach einer kurzen Pause.

Das Rascheln im Hintergrund verriet mir, dass er gerade dabei war, alles was nicht niet- und nagelfest war aus dem Gefahrenbereich zu schaffen.

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt