Prolog

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„Findest du nicht, dass du etwas zu alt für sowas bist? Normalerweise spielen doch eher Mädchen in der Mittelstufe Hexe, oder irre ich mich?"

„Du hättest ja nicht mitkommen müssen", erwiderte er zuckersüß.

Helles Mondlicht flutete den Vorplatz, lief an der Fassade des Temples hinab und sammelte sich in einem leeren Brunnen, der über den Winter ausgepumpt worden war. Unter anderen Umständen hätte er womöglich ehrfürchtig innegehalten und ein Foto gemacht, nur um später festzustellen, dass die Qualität seiner Handykamera einfach nicht für Nachtaufnahmen gemacht war. In dieser Nacht hatte er jedoch ein anderes Ziel vor Augen. Nicht, dass er die Ästhetik plötzlich weniger zu schätzen wusste, er würde das Foto später machen, aber es war bereits kurz vor Mitternacht und er musste vorher unbedingt die letzten Vorkehrungen treffen.

„Ich bin nur hier, damit du dich nicht in Schwierigkeiten bringst, Idiot."

„Du kannst ruhig zugeben, dass du ein bisschen neugierig bist, ob es funktioniert."

„Natürlich funktioniert es nicht, du hast diesen Quatsch von einer Seite, die ‚www.hexenleichtgemacht.com' heißt."

„In den Kommentaren stand, dass es funktioniert."

Dafür bekam er einen Schlag gegen den Hinterkopf.

„Glaubst du alles, was im Internet steht?"

„Au!" Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck rieb er sich über die pochende Stelle, an der ihn die flache Hand getroffen hatte. „Wenn du mich weiter so schlägst, verliere ich noch meine restlichen Gehirnzellen."

„Wo nichts ist, kann man auch nichts verlieren. Und jetzt mach hinne, ich will ins Bett."

Anstatt eine Antwort zu geben, machte er sich wieder an die Arbeit. Er wusste selbst, dass das ganze Unterfangen ziemlich zweifelhaft war, schließlich hatte er die meisten Zutaten im Internet bestellen können und er war sich nicht sicher, ob das Internet eine zuverlässige Quelle für Hexenbedarf war. Jedenfalls war er bereit, dem Ganzen eine Chance zu geben.

„Was ist das überhaupt für Zeug?"

„Ich muss mich konzentrieren", erwiderte er, in der Hoffnung, nicht zugeben zu müssen, dass er bei einigen Sachen selbst keine Ahnung hatte. Seine Recherche hatte sich darauf beschränkt, ob die Zutaten giftig waren und wie man sie beschaffen konnte. Beides war leicht herauszufinden gewesen. Dass er sie jetzt in einer Tasse und nicht wie empfohlen in einem gusseisernen Topf zusammenrühren musste, lag nur an den Lieferschwierigkeiten eines Onlinehändlers, bei dem er bereits eine schlechte Rezension hinterlassen hatte.

Nacheinander gab er eine Flüssigkeit nach der anderen hinzu, warf Kräuter und Pülverchen hinein und wartete darauf, dass etwas passierte, irgendetwas, das ihm zeigte, dass hier Magie am Werk war. Nichts dergleichen geschah. Vielleicht hatte er etwas falsch gemacht. Die letzte fehlende Zutat wanderte in den improvisierten Topf und eine dunkle Wolke vor den Mond. Für einige Sekunden wurde das Licht aus der Welt gerissen.

Die Tasse stand unverändert vor ihm, als der Schleier vor dem Mond sich verflüchtigte. Probehalber rührte er die dunkle Paste mit einem Löffel um.

„Ich komm dich im Gefängnis besuchen, wenn man dich wegen Körperverletzung hinter Gitter bringt. Das kann doch wirklich nicht dein Ernst sein. Du hast da weiß der Teufel was zusammengepanscht, das kannst du doch niemanden essen lassen, Shittykawa!"

„Die zwei sind zäh", winkte er ab und verschloss die Tasse sicherheitshalber mit Frischhaltefolie.

„Können wir jetzt gehen?"

„Nachdem ich ein Foto gemacht habe."

Dafür bekam er einen Schlag gegen den Oberarm, der sicher einen blauen Fleck hinterlassen würde.

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt