Kapitel 5 oder die Sache mit dem Armdrücken

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Am nächsten Morgen wachte ich nicht in meinem eigenen Körper auf.

Beinahe hätte ich erwartet, alles wie gewohnt vorzufinden. Als wäre der Körpertausch nur ein Glitch des Universums gewesen, den es schnellstmöglich rückgängig machen würde. Aber als ich langsam zu mir kam, wusste ich, dass ich noch immer im falschen Körper steckte.

Aus reiner Gewohnheit horchte ich auf meinen Atem, der ruhig und regelmäßig ging. Danach streckte ich mich ausgiebig. Normalerweise hätte ich jetzt eine Dusche genommen, aber ich war noch nicht bereit, mich dieser Aufgabe zu stellen. Am Abend vielleicht. Oder wenn ich begann, unangenehm zu riechen. Auf die Toilette zu gehen war erstmal Herausforderung genug.

Kageyama musste bereits länger auf den Beinen sein, denn er hatte mir bereits ein Bild mit den von ihm gemessenen Peak-Flow-Werten geschickt. Alles im grünen Bereich.

Bevor ich mich mit Hinata und Yachi (ich wusste inzwischen, dass sie in unsere Parallelklasse ging und den Jungs beim Lernen half) traf, war ich noch mit Kageyama verabredet. Er wollte mir die Grundlagen von Volleyball erklären, aber ich fürchtete, dass er noch keine Vorstellung davon hatte, wie wenig ich über den Sport wusste.

Meine Sportlehrer wollten mich bloß nicht überanstrengen und eine Asthmaattacke riskieren, deshalb ließen sie mich absichtlich oft am Rand stehen. Egal wie oft ich ihnen erklärte, dass ich durchaus dazu in der Lage war, mehr als zwei Schritte zu gehen, ohne direkt umzukippen, es stieß auf taube Ohren. Ich hasste das. Aber ich hasste es auch nicht genug, um mich zu beschweren.

Als ich in das einzige Paar Schuhe schlüpfte, das mir bei den eisigen Temperaturen als angemessen erschien, streckte Miwa ihren Kopf aus der Küche: „Heute kein Frühstück?" Am Abend zuvor hatte ich mir ein Brot gemacht und mich dann in Kageyamas Zimmer verzogen.

Eigentlich gar keine schlechte Idee, ich würde die Energie brauchen. Ich zog mir die Schuhe wieder von den Füßen: „Jetzt wo du es sagst."

Ich war überrascht davon, wie schnell ein Mensch schlingen konnte und ich war noch überraschter davon, dass es sich bei diesem Menschen um mich handelte. Innerhalb weniger Minuten hatte ich meine Portion inklusive Nachschlag weggeputzt. Für Kageyamas Familie schien das kein ungewöhnlicher Anblick zu sein, niemand wirkte erstaunt, dass ich aß wie ein fleischgewordener Staubsauger. Ich musste wirklich verdammt hungrig gewesen sein.

„Danke für das Essen", rief ich aus dem Flur, als ich erneut in die Schuhe schlüpfte. Obwohl ich das Frühstück in Rekordzeit verschlungen hatte, war ich jetzt spät dran. Ich kam trotzdem zu früh am Treffpunkt an, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass ich Kageyamas Tempo einfach nicht gewohnt war.

Dieser Umstand schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn nach einer guten Viertelstunde stand ich noch immer allein in der Kälte und wartete. „Du bist wirklich nicht sehr gut in Form", hechelte er, als er endlich mein Fahrrad um die letzte Ecke schob. Ich hörte seinen Atem pfeifen, er ging zwar schnell, aber regelmäßig.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Kageyama im Stande war, mich auf den neusten Stand der Dinge zu bringen. Meine Schwestern waren gestern Abend wohl erschöpft in einen komaähnlichen Zustand verfallen, aus dem sie zur Erleichterung aller wohl noch nicht erwacht waren. Meine Eltern waren nach ihren Erledigungen gestern ebenfalls früh zu Bett gegangen und Kageyama hatte vor lauter Langeweile sogar ein bisschen Englisch gelernt.

„Du musst mir wirklich einen Ball von zuhause mitbringen, sonst werde ich wahnsinnig."

Ich willigte ein, unter der Bedingung, dass er ihn vor meinen Eltern verstecken würde, damit wir nicht in Erklärungsnot gerieten.

Zu meiner Unterhaltung mit seiner Schwester sagte er nur: „Miwa tut zwar immer so, als hätte sie den Durchblick, aber sie liegt mit ihren Theorien öfter daneben als sie ahnt. Es ist mir egal, was für Geschichten sie spinnt."

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt