Kapitel 1 oder die Sache mit den Karten

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Die Plätzchen brannten mir ein Loch in den Rucksack. Alle paar Sekunden musste ich mich vergewissern, dass sie nicht wirklich in Flammen stand, aber dadurch bekam ich nur Paranoia. Jeder würde wissen, was sich in meiner Tasche befand und für wen es bestimmt war. Es waren nur Kekse, versuchte ich mir einzureden. Kekse, die ich selbst gebacken und in süßes, weihnachtliches Geschenkpapier eingewickelt und mit einer dicken, goldenen Schleife versehen hatte.

Mir wurde ein bisschen schlecht.

Ich kniff die Augen zusammen und holte tief Luft, dann ließ ich die Luft mithilfe der Lippenbremse entweichen. Das half ein wenig. Ich würde ihm die Kekse geben, ihm frohe Weihnachten wünschen und dann den Rückzug antreten. Danach hätte ich die ganzen Weihnachtsferien, um mich davon zu erholen.

Ich klammerte mich an den Riemen meiner Schultasche, als würde nicht ich sie halten, sondern sie mich. Zu meiner eigenen Beruhigung hatte ich mir eine Gnadenfrist eingerichtet; ich würde ihm die Kekse nach Unterrichtsende überreichen, danach konnte ich direkt nach Hause rennen und mich unter der Bettdecke verkriechen.

Die letzte Stunde vor den Ferien verbrachten wir mit unserem Vertrauenslehrer, der uns mit geröteten Wangen erzählte, dass seine Frau kurz vor der Entbindung stand –um ehrlich zu sein, hatte ich das Gefühl, die Frau zu kennen, so oft sprach er über sie- und dass er nach den Ferien womöglich spontan fehlen würde.

Das bedeutete normalerweise, dass der Unterricht entfiel, zumindest aktuell, denn im Frühjahr hatte wohl ein Großteil der Lehrerschaft beschlossen, dass dies ein besonders furchtbares Jahr war und einige Lehrerinnen waren bereits kurz vor den anstehenden Weihnachtsferien in Mutterschutz gegangen. Wir Zweitklässler waren keine Priorität; wir hatten keine Abschlussprüfungen, auf die man uns vorbereiten musste, waren aber auch keine Neulinge mehr, auf die man besonders ein Auge warf.

Leider hatte Herr Mukaihara andere Pläne mit uns, die zu meiner Enttäuschung keinen Unterrichtsentfall beinhalteten, sondern eine Projektarbeit in Zweiergruppen, für die wir seine Aufsicht nicht brauchen würden. Über das Jahr verteilt waren wir schon mehrerer seiner berüchtigten Partnerarbeiten zum Opfer gefallen. An sich hatte ich nichts dagegen, mit anderen zusammenzuarbeiten, sofern ich mir aussuchen durfte mit wem, aber das war gegen Herr Mukaiharas Prinzip, dass man sich im echten Leben seine Mitarbeiter schließlich auch nicht aussuchen konnte.

Ich fragte mich manchmal, ob er sich damit vielleicht auf sich und seine Kollegen bezog, aber mein vorsichtiges Nachfragen („haben Sie diese Erfahrung auch persönlich gemacht?") stieß auf taube Ohren.

Herr Mukaihara teilte an jeden eine Spielkarte aus, jeweils zwei Leute hatten eine identische Karte bekommen und dann brach auch schon das Chaos los. Jeder versuchte schnellstmöglich seinen Partner zu finden, diejenigen, die ihn schon gefunden hatten, kicherten entweder oder, im Fall, dass sie sich nicht leiden konnten, versuchten unauffällig mit jemand anderem die Karte zu tauschen.

Ich sah mich wenig enthusiastisch nach der dem Herzbuben um, ich hoffte, sie in den Händen einer meiner Freundinnen zu entdecken, aber ich wurde enttäuscht. Kageyama saß schweigend auf seinem Platz und hatte den Herzbuben wie eine Flagge auf Halbmast gehisst; er hielt sie für jedermann sichtbar hoch und wartete wohl, dass sein Partner ihn finden würde, ohne sich selbst die Mühe machen zu müssen, nach ihm Ausschau zu halten.

Schnell schob ich meine Karte in den Bund meines Rockes und zog mein Oberteil darüber. Seufzend setzte ich mich auf meinen Platz zurück. Ich hatte noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber sein böser Blick machte jedem unmissverständlich klar, dass er auch kein Interesse daran hatte, mit irgendjemandem zu reden. Umso erstaunlicher fand ich es, dass er seine Pausen stets mit dem Sonnenschein schlechthin -Hinata Shoyo- aus der Parallelklasse verbrachte.

Herzbube ✔ [Kageyama Tobio, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt