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"Ich kann das nicht."

"Und ob du das kannst! Was hast du schon zu verlieren?" Inos strenge Stimme ließ mich gequält aufstöhnen. Es war der 25.Dezember und wir waren heute alle bei Itachi zum Essen und Geschenke-Verteilen eingeladen. Seit dem Kuss mit Sasuke war eine Woche vergangen - eine Woche Funkstille, die mich (und Ino) in den Wahnsinn getrieben hatten. Selbst jetzt überzog mich eine Gäsehaut, wenn ich an die Situation zurückdachte. "Wie soll ich mich verhalten?" fragte ich, obwohl die Antwort eigentlich schon klar war. "Ganz normal." sagte Ino und betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, bevor wir losgehen würden. "Ich verhalte mich nie ganz normal in seiner Nähe." murrte ich, schlüpfte jedoch folgsam in meine Schuhe und anschließend in meinen Mantel.

"Vielleicht hatte das alles auch nichts zu bedeuten." fügte ich hinzu und dachte kurz über seinen Abschied an diesem Abend nach:

Sasukes Lippen lösten sich langsam von meinem Mund, sodass ich blinzelnd die Augen öffnete. Sein Blick ruhte auf mir, während die Zeit abermals stehenblieb. Mein Herz schlug in einem unnormalen Rhythmus, als er seine Hände langsam von mir löste und schwer schluckte. Warum sagte er nur nichts? Bereute er es schon? War es so schrecklich gewesen? "Gute Nacht, Sakura." flüsterte er, bevor er ruckartig kehrt machte und wortlos ins Taxi stieg. Der Fahrer gab sofort Gas und wirbelte einen Schwall Schnee in meine Richtung - ich konnte dem Wagen nur perplex hinterherstarren.

Seitdem hatte er sich nicht gemeldet oder gar blicken lassen. Vielleicht bereute er den Kuss und will ihn ungeschehen machen - ansonsten hätte er sich ja blicken lassen, oder? "Vielleicht hatte es aber was zu bedeuten." erwiderte Ino und zog ihre Jacke an. Wir hatten uns bei mir in der Wohnung getroffen, um anschließend schneller bei Itachi zu sein. Sai war schon vor Ort; wir wollten noch ein paar ungestörte Minuten unter Freundinnen haben, um über ebenjenen Kuss zu sprechen. Auch wenn ich wetten könnte, dass es bereits alle aus dem Freundeskreis wussten - solche Dinge verbreiteten sich rasend schnell.

Direkt nach dem Kuss war ich total euphorisch und verliebt durch die Wohnung gehüpft, hatte Ino angerufen und bestimmt eine Stunde mit ihr telefoniert. Doch die darauffolgende Woche Funkstille verpasste mir schnell einen Dämpfer. Entweder bereute er die ganze Sache so sehr, dass er Abstand zu mir suchte, oder weiß selbst noch nicht genau, was dieser Kuss auf sich hatte. Die letztere Möglichkeit gefiel mir deutlich mehr, auch wenn da nur wieder bestätigt wurde, dass er noch keine richtigen Gefühle für mich hegte. Oder sich dessen bewusst ist. "Wer weiß." murmelte ich nur, während Ino ebenfalls ihre Schuhe anzog und somit ausgehbereit war. Der Weg zu Itachi verlief langsamer als sonst, da wir spontan entschlossen, ihren quitschgelben Wagen stehen zu lassen. Meine Wenigkeit würde diesen Abend nicht ohne ein großes Glas Rotwein bestehen, Ino besetzte mit Freuden den Part der BFF und unterstützte mich tatkräftig dabei. Sai würde sich damit schon einverstanden geben, schließlich kannte er die Vorliebe seiner Freundin, manchmal tiefer ins Glas zu schauen. Mit jedem Schritt, welcher uns näher an das Haus und Büro von Itachi brachte, stieg meine Nervosität. Einerseits war ich aufgeregt und voller Vorfreude, Sasuke endlich wiederzusehen - selbst diese eine Woche Abstand hatte sich angefühlt wie ein ganzer Monat. Mir war zwar schon vorher bewusst geworden, dass sich meine Gefühle für ihn nicht verändert, wenn dann eher verstärkt hatten, doch bei jedem Aufeinandertreffen wurde es mir immer deutlicher vor Augen geführt. Gleichzeitig wuchs damit auch die Angst, dass er mich abermals zurückweisen würde. Dass er den Kuss als riesigen Fehler ansehen würde und fortan so tun würde, als wäre es nicht passiert. Was wäre, wenn er weiterhin eher auf eine Freundschaft pledieren würde? Wäre ich zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch dazu in der Lage? Seufzend lief ich still neben Ino her. Ich bezweifelte stark, dass mein Körper es aushalten würde, wenn sich Sasuke gegen mich entschied und stattdessen irgendwann mit einer anderen Frau auftauchen würde. Könnte ich jene jemals akzeptieren? Oder würde unsere Freundschaft dann endgültig zerbrechen?
"Hör auf, dir so einen Kopf zu machen. Ich kann deine Gedanken bis hierhin hören." unterbrach mich Ino, sodass ich sofort aufschreckte. Inzwischen waren wir angekommen und standen vor der imposanten Tür. Das Klingelschild, welches urteilsverkündend Uchiha ankündigte, ließ mich schwer schlucken. "Versuche dich zu entspannen und nicht gleich in Ohnmacht zu fallen, sobald der Eisprinz auftaucht." Ich schenkte ihr noch einen bösen Blick, schulterte meine Taschen (Geschenke waren um einiges schwerer, als gedacht) und betätigte die Klingel. Konzentration, Sakura. Ich atmete einmal tief ein und aus, als auch schon die Tür geöffnet wurde. Itachi hatte sich ebenfalls zurecht gemacht; seine Haare waren etwas gebändigt worden, er trug ein schwarzes, schlichtes Hemd und dazu anständige Hosen mit Trägern, die wohl wieder stylisch wurden. "Schön, dass ihr hier seid." begrüßte er uns. Lächelnd schlossen wir ihn in die Arme, bevor wir auch schon eintraten. "Vielen Dank für die Einladung." hörte ich Ino sagen, während mein Blick schon nervös hin und her huschte. Im Foyer war keine weitere Person zu sehen. "Die Renovierungen scheinen abgeschlossen zu sein." bemerkte ich, als er uns nach oben in das erste Stockwerk führte. Itachi nickte nur grinsend, was seinen Stolz auch widerspiegelte. "Ich wollte unbedingt, dass es zu Weihnachten fertig ist. Ein klein wenig mehr Trinkgeld und schon arbeiten manche Menschen viel effizienter als vorher." Ich stieg in sein Lachen mit ein, während er uns in einen großen Wohnbereich führte. In der Mitte war ein langer Tisch aufgestellt, welcher bereits mit Tellern, Gläsern und Besteck gedeckt war. Drumherum standen unsere restlichen Freunde. Sasuke. Mein Herz fing an zu pochen, als ich ihn am Fenster stehen sah. Wie sein älterer Bruder trug auch er ein schwarzes Hemd, welches sich angenehm über seinen Oberkörper spannte. Hosenträger benötigte er nicht, er sah auch so schon zum Anbeißen aus. "Da seid ihr ja endlich!" begrüßte uns Naruto, welcher mich überschwänglich in eine Umarmung zog. Hinata hatte ihn ebenfalls dazu verdonnert, sich etwas schicker zu kleiden. Jene schloss mich auch in eine Umarmung. "Alles in Ordnung?" flüsterte sie mir zu. Ich nickte schwach. Neben Ino war sie eine der ersten, der ich von dem Kuss erzählt hatte. Inzwischen war sie mir ebenfalls so ans Herz gewachsen, dass ich sie auch als eine meiner besten Freundinnen betrachtete. "Dann sind wir ja endlich vollzählig." bemerkte Sai, welcher Ino zuvor einen intensiven Kuss gegeben hatte. "Nicht ganz." erwiderte Itachi verheißungsvoll und öffnete die erste Weinflasche. Und los gehts. Sasuke hatte sich ebenfalls in die Runde gestellt, mich aber nicht wirklich begrüßt. Etwas enttäuscht darüber versuchte ich, ihn nicht direkt anzusehen. "Wer fehlt denn noch?"

"Lana." klärte uns Itachi grinsend auf. Kurz erinnerte ich mich zurück an den Weihnachtsmarkt - lange, braune Mähne, wunderschöne blaue Augen und ein Lächeln wie aus der Zahnpasta-Werbung. Ich wusste doch, dass sich da was anbandeln würde. "Sie müsste jeden Moment da sein. Ich habe das Essen für 18:00 Uhr bestellt, es müsste also bald geliefert werden." fügte Itachi hinzu, während er die Gläser mit Rotwein füllte. Ich versuchte nicht allzu nervös auszusehen, als ich das rettende Getränk in die Hände nahm und wir uns im Kreis aufstellten. Sasukes Blick streifte meinen kurz, sodass ich automatisch versteifte. Meine Augen richteten sich für eine Sekunde auf seine Lippen; jene, die ich vor einer Woche noch kurz hatte schmecken dürfen. Automatisch regte sich der Wunsch nach mehr. Wie sehr ich mir wünschte, dass wir uns auch wie die anderen Pärchen hier verhalten könnten. Dass er ebenfalls einen Arm um mich legte, mich küsste und verliebt ansah. Sasukes Blick sprach jedoch nichts dergleichen aus - seine dunklen Augen waren leer und wirkten so neutral wie sonst auch.

Erst jetzt bemerkte ich, dass wir uns anstarrten.

Peinlich berührt wandte ich den Blick ab und spürte die altbekannte Wärme auf meinen Wangen hochkommen. Warum musste ich auch so offensichtlich starren? "Auf einen schönen Abend." sagte Itachi und holte mich aus den Gedanken. "Und ein schönes Weihnachtsfest." fügte Naruto grinsend hinzu. Wir stießen mit unseren Weingläsern an, sodass das Klirren beinahe die Türklingel übertönte. "Das muss Lana sein." Itachi nahm einen Schluck,  bevor er sich auch schon auf dem Weg nach unten machte. Meinen trockenen Hals versuchte ich mit Rotwein zu befeuchten, sodass das halbe Glas sogleich geleert wurde. "Reiß dich zusammen." flüsterte Ino mir zu, während sie ein weiteres Mal mit mir anstieß und ebenfalls einen riesigen Schluck nahm. Dafür sind beste Freundinnen da. Grinsend zwinkerte sie mir zu, bevor Sai ihrer Aufmerksamkeit bedurfte und mich somit stehen ließ. Nervös blickte ich auf - Sasuke stand noch immer wie angewurzelt gegenüber, wirkte jedoch nachdenklicher als sonst. "Was hast du die Woche eigentlich getrieben? Du hast dich seit der Weihnachtsfeier gar nicht mehr gemeldet." zog Naruto ihn in ein Gespräch, sodass ich automatisch aufhorchte. Anscheinend war ich nicht die einzige, die Sasuke nicht zu Gesicht bekommen hatte. Seine dunklen Augen schweiften kurz zu mir herüber, bevor er antwortete. "Ich war beschäftigt."
"So beschäftigt, dass du nicht mal zur Feier kommen konntest?" Überrascht zog Sasuke seine Augenbrauen in die Höhe - offensichtlich hatte er angenommen, dass ich Naruto erzählt hatte, dass er später noch nachgekommen war. Somit wurde mir bewusst, dass nicht alle aus dem Freundeskreis von dem Kuss erfahren hatten - Hinata hatte dieses Mal dicht gehalten. Interessiert betrachtete ich den Dunkelhaarigen. Würde er zugeben, dass er vergangene Woche nach mir gesehen hatte? Dass er extra zum Krankenhaus gefahren war, um mich dort aufzufinden? "Ich war dort. Nur ihr wart schon alle verschwunden." sagte er gemächlich und richtete seinen Blick wieder auf mich. Ein heftiger Flashback des Kusses holte mich ein, sodass ich einen weiteren Schluck Rotwein nahm. Anscheinend wollte er so tun, als hätten wir uns an dem Abend nicht getroffen. Schmerzlich wurde mir seine Abfuhr bewusst. Offensichtlicher hätte er mir nicht mitteilen können, dass er den Kuss bereute. Wenn er nicht mal seinem besten Freund davon erzählen wollte, würde er es wohl geheim halten wollen. Geknickt biss ich mir auf die Unterlippe und versuchte, nicht direkt loszuheulen. Es tat weh. Sasuke runzelte die Stirn bei meinem Anblick, doch ich ignorierte ihn. Wenn er so tun wollte, als wäre nichts passiert, sollte ich mich auch so verhalten. Das schmerzhafte Ziehen in der Brust versuchte ich auszublenden, als Itachi endlich mit Lana zurückkehrte und allesamt abermals vorstellte. Mein Lächeln fühlte sich nicht echt an. Mein Herz fühlte sich schwer und taub an und meine Finger hielten das Weinglas verkrampfter fest, als nötig. Er mochte mich nicht. Er sah es als einen riesigen Fehler an. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, doch die Hoffnung auf diesen Abend war groß gewesen. So groß, dass ich mir tatsächlich vorgestellt hatte, wie er mir seine Liebe gestand. Wie konnte ich nur so albern sein. Als würde Sasuke jemals etwas anderes in mir sehen als eine alte Schulfreundin.

"Alles in Ordnung?" ertönte plötzlich seine tiefe Stimme neben mir. Er hatte sich unbemerkt neben mich gestellt und studierte mein Gesicht, welches regelmäßig zu entgleiten drohte. Ich seufzte. "Alles bestens."

Verräterisches HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt