4

586 34 2
                                    

"Sa...Sasuke."

Mein Kopf war wie leergefegt. Die Musik schien nur noch schwach im Hintergrund abzulaufen, während die Personen um mich herum sich in Zeitlupe bewegten. Mein Herzschlag setzte kurz aus, um danach umso heftiger zu agieren. Was machte er hier? Seit wann war er wieder hier? Die vergangenen Jahre hatten ihm eine erwachsene Struktur gegeben. Er war größer geworden und die Haare hatte er im gleichen Stil behalten, wenn auch etwas kürzer. Die muskulösen Arme steckten in einem normalen, schwarzen T-Shirt, welches zusätzlich eng anlag. Seine dunklen Augen hatten sich nicht verändert; es lag noch immer dieser kühle Glanz in ihnen, der mich schon damals komplett aus der Bahn geworfen hatte. Er schenkte mir einen kurzen, ausdruckslosen Blick, bevor Naruto die plötzlich angespannte Situation auflöste.

"Er ist wieder da!" lachte er und klopfte seinem alten besten Freund auf die Schulter. Dieser grunzte nur und ließ seinen Mundwinkel kurz zucken, als würde mehr von einem Lächeln nicht möglich sein. Mein Körper kam derweil wieder in der Realität an und die Umgebung schien auch wieder im normalen Tempo abzulaufen. Erst als ich Inos sanfte Berührung am Arm spürte, bemerkte ich mein Starren und schaute peinlich berührt weg. Eine leichte Röte machte sich auf meinen Wangen bemerkbar, was durch das schwache Licht hoffentlich kaum zu sehen war. Ich lächelte meiner besten Freundin schwach zu, die genau wusste, was nun in mir vorging. Oder auch nicht, da ich selbst nicht wusste, was ich nun denken oder tun sollte. Er ist wieder da. Er hat sein Versprechen gehalten.

Bevor die Drei sich ebenfalls an unseren Tisch setzen konnten, löste ich mich aus Inos Umklammerung und nahm mein inzwischen leeres Glas. "Ich hole mir was zu trinken." gab ich den anderen Bescheid, ohne Sasuke eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich hatte Angst, dass ich wieder zur Salzsäule erstarren würde.

Ich spürte wie Ino mir folgte und ließ es zu. Die Theke war noch immer überfüllt, als wir endlich ankamen und ich trotz der Masse wieder atmen konnte. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich unwillkürlich die Luft angehalten hatte. "Sakura, warte doch!" rief Ino und hielt mich abermals am Arm fest. Ihr Blick sprach Sorge aus, was ich momentan nicht gebrauchen konnte. Es hatte mir schon gereicht, als Naruto mir diesen entschuldigenden Blick geschenkt hatte. Zu dem Zeitpunkt war mir nur nicht klar gewesen, weshalb. Natürlich wusste er von meinen damaligen Gefühlen für Sasuke, ich konnte es auch schlecht verheimlichen. Dementsprechend nahm er jetzt auch an, dass ich bei seinem Anblick komplett durchdrehen würde - wie Recht er doch hatte.

"Es geht mir gut." sagte ich und hielt mein Glas fest umklammert, um ein erneutes Zittern zu verhindern. Warum reagierte mein Körper so heftig auf dieses Wiedersehen? Ich verspürte Wut auf mich selbst, dass ich mich so wenig unter Kontrolle hatte. Anscheinend schaffte er es selbst nach all den Jahren, mich so aus der Fassung zu bringen. "Das sehe ich." sagte Ino sarkastisch und hob skeptisch eine Augenbraue. Als wir eine Lücke an der Theke entdeckten, quetschten wir uns hastig vor und versuchten die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu kriegen. "Ich war nur überrascht von seinem Auftauchen, das ist alles." rechtfertigte ich mich, bevor ich gekünzelt grinsend endlich mein Getränk bestellen konnte. Auch wenn ich heute nicht so viel trinken wollte, hatte ich plötzlich eine andere Meinung dazu. Wie sollte ich diesen Abend sonst überstehen?

"Was ist mit unserer Mission?" fragte Ino, als wir unsere Cocktails erhielten und schnell bezahlten. "Was soll damit sein?" stellte ich die Gegenfrage, wodurch sie nur die Augen verdrehte. "Willst du es immer noch durchziehen? Riku kann auch nett sein."

In dem Sinne hatte sich nichts geändert, dass Sasuke zurück war. Schon damals war mir bewusst gewesen, dass er meine Gefühle nicht erwiderte. Früher war es mir egal gewesen, doch heute? Warum sollte ich einem Typen hinterher rennen, der es nicht für nötig hielt, sich zu melden? Gerade in der heutigen Zeit wäre es wohl kein Problem gewesen, wenigstens virtuell zu schreiben - doch selbst da herrschte Funkstille. Ich war immer noch verletzt, stellte ich fest. Verletzt, dass er einfach so ins Nichts verschwand und mich zurückließ. Ich wusste, dass er den Abstand benötigt hatte und konnte deswegen auch nicht sauer sein. Doch man hätte sich melden können und dies hatte er nicht getan.

"Ich ziehe es durch." beschloss ich und nahm einen Schluck aus meinem Glas. Ino grinste erfreut und führte uns zurück zum Tisch. Ich wappnete mich für den erneuten Anblick, als wir auch schon ankamen und uns hinsetzten. Die anderen hatten sich irgendwoher auch schon Getränke geholt, dementsprechend war jeder versorgt. Zu meinem Leidwesen saß ich direkt gegenüber von Sasuke und hatte so eine gute Sicht auf ihn. Er sah einfach perfekt aus, stellte ich frustriert fest. Wie konnte ein Mensch im Alter nur noch besser aussehen?

"Hey, da bist du ja wieder." lallte Riku und legte einen Arm um meine Rückenlehne. Ino schenkte mir einen bedeutungsschweren Blick, bevor ich mich wieder dem Betrunkenen zuwandte. Versuch es wenigstens, Sakura. Allerdings schien das mit jedem Getränk immer schwieriger zu werden. Naruto rettete mich zwischenzeitlich aus unangenehmen Situationen, doch Rikus Art und seine Fahne machten es nicht wirklich besser. Inzwischen hatte ich auch schon meinen sechsten Cocktail intus und bemerkte, wie meine Wangen vom Alkohol rot wurden. Der Abend wurde leider nicht besser, da auch immer mal wieder ein paar Mädels an unseren Tisch kamen und Sasuke schöne Augen machten.

Meine Laune sank in den Keller und ich konnte es einfach nicht verhindern. Ich war sauer auf mich selbst, dass ich mich noch immer so beeinflussen ließ. Wie konnte ich zulassen, dass ich so abhängig von jemanden wurde? Jemanden, den es offensichtlich kaum interessierte, wie es mir in der letzten Zeit erging? Zugegebenermaßen hatte Sasuke bisher auch keine Chance gehabt, ein Gespräch mit mir zu beginnen. Durch den Tisch saßen wir mit genügend Abstand zueinander, damit man sich kaum verständigen konnte. Lediglich mit Naruto hatte er ein paar Worte gewechselt, die ich jedoch leider nicht verstanden hatte. Zudem lenkte mich Riku regelmäßig ab, da er mich mit irgendetwas zutextete. Sai holte zwischenzeitlich eine Runde Shots, die wir alle gleichzeitig runterkippten. Es sollte die letzte Runde des Abends werden - ich hatte eh keine Lust mehr länger zu bleiben und den anderen schien es ähnlich zu gehen.

Gerade als ich aufstand, bemerkte ich plötzlich den Alkoholeinfluss. Genau diesen Kontrollverlust konnte ich eigentlich nicht leiden - die Beine wurden wacklig aufgrund des gefühlt schiefen Bodens, die Zunge fühlte sich belegt und schwer an und der Kopf drehte sich in allen Richtungen. Ino lag kichernd in Sais Armen, der nur belustigt den Kopf schüttelte. Ich schnappte mir meine Sachen, wobei ich mir beinahe den Kopf am Tisch anstieß und rempelte anschließend Naruto an, der nur nach meinem Arm griff. "Oh, Sakura. Doch zu sehr ins Glas geschaut, was?" lachte er und fasste mir um die Taille, um mich nach draußen zu führen. Hinata lief mit uns raus und Sasuke folgte uns stillschweigend.

Die kühle Nachtluft umfing uns, als wir nach draußen traten. Durch den heftigen Temperaturunterschied fing ich automatisch an zu frösteln, auch wenn der Alkohol meinen Körper in warme Watte tauchte. Naruto ließ mich los und stellte sich neben Hinata, welche ihn nur schüchtern ansah. "Das war ein schöner Abend." bemerkte Ino und hakte sich bei Sai ein. Mein bester Freund griff nach Hinatas Hand und schaute uns der Reihe nach an. Wir standen inzwischen in einem lockeren Kreis und die Müdigkeit war jedem anzusehen. Ich schielte zu Sasuke rüber, der seine Hände in den Hosentaschen vergraben hatte. Er bemerkte meinen Blick, sodass ich mich schnell wieder abwandte. Jetzt hatte er mich schon wieder beim Starren erwischt.

"So, ich bringe Hinata nach Hause." erklärte mein bester Freund und sah mich anschließend an. "Kommst du auch gut heim?"

"Ich bringe sie nach Hause." mischte sich Riku ein, der sich noch kaum auf den Beinen halten konnte. Er legte wie selbstverständlich seinen Arm um mich, den ich sofort abschüttelte. Auf diesen Idioten hatte ich jetzt am wenigsten Lust. "Ich komme schon klar. Hol du dir ein Taxi." sagte ich müde und zeigte auf eines der gelben Autos am Straßenrand. Torkelnd machte er sich ohne Umschweife auf den Weg - so viel zu Gentleman. "Sicher? Ich bringe Ino zu mir, das liegt in einer anderen Richtung." warf Sai besorgt ein, da Ino schon beinahe zu schlafen schien. Ich nickte nur und brachte ein schwaches Lächeln zustande, um meine Freunde zu beruhigen. Es war zwar süß von ihnen, doch ich war alt genug und kam die letzten Jahre schließlich auch alleine heim.

"Ich begleite dich." vernahm ich plötzlich die tiefe Stimme von Sasuke. Überrascht sah ich zu ihm auf - es waren die ersten Worte, die wir heute miteinander wechselten. Doch so stur wie ich war, ließ ich es unkommentiert und verabschiedete mich von den Anderen. Ohne weitere Worte zu verschwenden lief ich alleine los - Naruto schenkte mir zum Abschied noch einen besorgten Blick.

Ich hörte wie Sasuke mir folgte, doch drehte mich nicht mehr um. Wenn er es schaffte, mich jahrelang zu ignorieren, konnte ich es jetzt auch tun.

Verräterisches HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt