Kapitel 32

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Mein Blick war geradeaus gerichtet und obwohl meine Augen offen waren, sah ich nichts.

Es war, als wäre ich für den Moment taub und blind und es war mir egal, was die anderen dachten.

Es war mir egal, ob sie mich für schwach hielten. Mir waren die stechenden Blicke meiner Mutter egal. Das einzige was zählte war Tom, Tom der mir nicht vertraute. Tom der mir nicht gleich gesagt hatte, dass er Layla nicht hatte küssen wollen.

Und dann mit einem Mal war alles wieder da. Die laute Musik, die Menschen die um mich herum schwirren. Die Farben, die Kerzen, alles. Und ich sah Lillian, die mich quer durch den Raum ansah, einen besorgen Ausdruck im Gesicht. Doch ich wollte nur eines.

Eine Praline und eine Erdbeere, denn es gab nichts, das mit der Mischung aus Schokolade und Erdbeeren nicht wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Oder zumindest verbessert.

Ich setzte gerade den ersten Schritt, doch weiter kam ich nicht, denn eine Hand schloss sich um meine.

Tom drehte mich vorsichtig zu sich um. Ich ließ es gesehen, machte mich nicht los, sah ihn nur an, sobald er vor mir war. Er ließ meine Hand nicht los. Im Gegenteil, er legte sogar noch den anderen Arm um mich, zog mich zu sich. So nah, dass ich praktisch an ihm lehnte.

Ich sollte das nicht zulassen, das war mir bewusst. Nicht, dass ich nur sauer auf ihn war, nein, wir waren hier in einem Saal voll mit Leuten, die uns alle beobachteten.

Aber ich wollte es. Ich wollte es so sehr. Seit Freitag hatte ich mich danach gesehnt, wollte seine Arme um mich, wollte mich von ihm trösten lassen, obwohl er der Grund war, weshalb ich weinte. Ich wollte es, denn niemand löste in mir die Gefühle aus, die er in mir auslöste. Bei niemandem fühlte ich mich so sicher, so geborgen, so akzeptiert und geliebt und die Gefühle waren noch da, würden wahrscheinlich nie verschwinden. Und als ich es jetzt zu ließ, mich zu ihm ziehen ließ, mich gegen ihn lehnte, es akzeptierte und in seine Augen sah, war es als würde alles verschwinden.

Es gab keinen Ball mehr, keine tanzenden, gaffenden oder tuschelnden Menschen um uns. Keine Musik mehr, keine Schritte, nur ihn. Seine Arm um mich, seine Augen, die mich an sahen, seine Lippen die die Worte formten und seine Stimme, die etwas in mir zum schmelzen brachte.

"Bitte, versteh doch, es ist schwer für mich, mich auf dich einzulassen." Er sah mich flehend an.

"Wieso?" Wisperte ich.

"Weil du mich so vollkommen aus der Bahn wirfst. Wenn ich mit dir zusammen bin, dann... ich bin dir einfach komplett ausgeliefert. Du hast so eine Macht über mich, das macht mir Angst. Und es ist neu, es ist ungewohnt, es ist beängstigend." Er lehnte seine Stirn an meine, schloss für einen Moment die Augen, dann sah er mich wieder an. "Aber ich will es. Ich will dich. Und-" er brach ab, sein Blick strich über mein Gesicht und dann beugte er sich vor, ganz langsam, suchte in meinen Augen nach dem Einverständnis und ich gab es ihm, ohne jede Frage.

Dann legten sich seine Lippen auf meine. Sanft, fast scheu, küsste er mich.

Nach einem schier endlos langem Moment löste er seine zarten Lippen wieder von meinen. Ich ließ meine Augen noch kurz geschlossen, spürte den Schwingungen in mir nach, dem Kribbeln, dass all die Zweifel aus meinem Bauch und meinem Kopf verdrängte. Erst als sich seine Hand sacht an meine Wange legte, sah ich auf, direkt in seine Augen.

Das mit uns war gerade einmal zwei Wochen jung. Zwei Wochen und doch kam mir dieser braune Anblick, dieses Glitzern, dieses Funkeln so unglaublich vertraut vor, dass es mich beinah schon erschreckte.
Meine Finger schlossen sich um sein Handgelenk, während wir uns weiterhin einfach nur ansahen.

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt