Den Empfang mit meiner Mutter vorzubereiten, war gar nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Wenn ich sie als meine Lehrerin sah und nicht als meine Mutter.
Eine strenge, pedantische Lehrerin, der man es kaum je recht machen konnte. Dafür war es Gold wert, wenn ich dann man gelobt wurde, wenn.
Ich vertiefte mich in die Arbeit und wenn ich nicht mit Mutter zusammen war, dann lag ich, die letzten Sonnenstrahlen genießend, auf einem Sofa, in einem Raum und las Vaters Bücher.
Meine Fensterbank und die Sofas im Himmel-Salon kamen nicht mehr in Frage, aber glücklicher Weise, hatte ich genügend Ausweichmöglichkeiten.
In Bezug auf Prinz Thomas - ich hatte beschlossen ihn nur noch so zu nennen - war ich unentschlossen. Einerseits war ich unglaublich sauer und enttäuscht, wollte ihn nie wieder sehen, nie wieder seine Stimme hören und der Ball konnte mir erst recht gestohlen bleiben.
Andererseits vermisste ich ihn. Ich vermisst ihn schrecklich, seine Arme, sein Geruch, seine Stimme, seine Art zu reden und mich zu küssen, mir in die Augen zusehen und mir das Gefühl zugeben ich sei etwas ganz besonderes. Wie er durch mich hindurch, nein, in mich hinein sehen konnte. Und in diesem Fall, sehnte ich den Ball herbei, um ihn wieder sehen zu können, seine Stimme zu hören und vielleicht das Geschehene noch einmal zu besprechen.Diese beiden Seiten tobten in mir, führten Krieg und die Tage vergingen, ohne, dass eine Seite deutlich überwog oder gewann. Und dann wachte ich eines morgens auf, das Buch, das ich am Abend zuvor gelesen hatte, noch in der Hand und es war Freitag.
Dieses Gefühl in meinem Magen ließ mich den gesamten Tag nicht los. Dabei konnte ich noch nicht einmal sagen, was es für ein Gefühl war. Es war einfach da, die ganze Zeit, auf eine nervige Art stechend und nagend. Eine Vorahnung? Ich wusste es nicht.
"Ist alles in Ordnung, Miss Ashley?" Besorgt musterte Amy mich im Spiegel. Sie war gerade dabei, einen Teil meiner Haare zu einer kunstvollen Blume auf meinem Kopf zu flechten und hatte mitten in ihrer Bewegung innegehalten, als sie meinen grübelnden Blick bemerkt hatte. "Sie sehen nicht gut aus."
Ich lächelte zaghaft. "Ich habe nur einfach wirklich keine Lust auf diesen Abend."
Amy nickte verständnisvoll. "Versuchen Sie, das Beste daraus zu machen!"
"Danke. Das werde ich."
Als ich zwei Stunden später durch das Eingangsportal unseres Anwesens schritt, fühlte ich mich nicht unbedingt besser, aber durchaus vorbereitet. Sanft fuhr ich mit dem Finger über den weichen Stoff des A-Linienkleides, dass ich trug.
Amy hatte sich - mal wieder - selbst übertroffen, dabei nicht zu sehr aufgesetzt, aber dennoch ein Traum von einem Ballkleid gezaubert.
Am Saum schillerte der seidene Stoff in einem zarten Rosaton, verblasste dann allmählich, bis das Weiß sich sanft um meine Hüften schmiegte. Das eng anliegende Oberteil endete mit einem geraden Schnitt kurz oberhalb meiner Brust und ließ Platz für zarten, durchsichtigen Stoff, den lediglich einige hübsch gemusterte Blumen schmückten und sich weiterzog, bis hin zu den gerafften Ärmeln. Kurz: Es war ein perfektes, unschuldiges Kleid, nicht allzu auffallend, aber dennoch genug, um ein kurzer, unaufdringlicher Blickfang zu sein und meine Mutter zufrieden zustimmen.Mit dem Make-up hatten wir es auch nicht allzu übertrieben und meine Haare fielen mir locker um die Schultern. Lediglich die vorderen Strähnen hatte Amy zurückgebunden und mit weißen Blüten zu einem kleinen Kunstwerk auf meinem Kopf geflochten.
Während meine Mutter nur einen kritischen Blick für mich übrig hatte, pfiff mein Vater leise durch die Zähne, als er mich die Stufen hinunter schreiten sah.
"Du siehst wahrlich aus wie eine Prinzessin", sagte er, als ich bei ihm ankam und legte mir kurz eine Hand auf die Schulter. Ich lächelte und griff nach seiner Hand. Kurz verfestigte sich der Druck seiner Hand, dann ließ er von mir ab und stieg hinter meiner Mutter ins Auto.
Ich lief um den Wagen herum. Gilbert wartete bereits und öffnete mir die Tür. "Bezaubernd", raunte er mir noch zu und zwinkerte.
Ich grinste. "Danke. Sie aber auch!"
Er tippte sich kurz mit dem Finger gegen den Schirm seiner Chauffeursmütze, dann setzte ich mich neben meinen Vater und Gilbert schlug die Tür zu.Die Fahrt verlief wie immer, wenn meine Mutter anwesend war - schweigend. Auch das Radio blieb ausgeschaltet. Umso erleichterter war ich, als Gilbert endlich hielt und ich aussteigen konnte.
Beim Anblick des Schlosses zog sich mein Magen zusammen. Die Fenster leuchteten in der Dunkelheit. Es gab keinen Schmuck, aber das brauchte es auch nicht: Im Halbdunkeln mit all den Wachen und herausgeputzten Herrschaften wirkte es von ganz allein prunkvoller denn je.
Das Gefühl in meinem Magen meldete sich wieder. Ich wollte da nicht hoch. Nicht da rein. Nicht zu ihm.
Aber die Entscheidung, die eigentlich nie eine gewesen war, wurde mir abgenommen, als mir eine Hand auf den Rücken gelegt wurde."Worauf wartest du denn noch? Willst du hier draußen etwa Wurzeln schlagen?" Der schneidende Tonfall meiner Mutter ließ mir keine Wahl.
"Entschuldige Mutter", sagte ich so höflich wie möglich, hakte mich bei meinem Vater unter und folgte den beiden so die vielen Treppenstufen hinauf.
"Hey Ash!"
Ich löste meinen Arm aus dem meines Vaters und drehte mich um. Victoria und Daphne tauchten hinter mir auf.
Ich entschuldigte mich bei meinen Eltern, die weiter gingen, während ich auf die beiden wartete und dann verwickelten sie mich in ein unverfängliches, nettes Gespräch, bis wir im großen Ballsaal waren. Ich hatte fast vergessen, wie lustig Victoria war.
Ich hatte so viel gelacht und gekichert, dass ich gar keine Zeit hatte, daran zu denken, dass ich vor - nicht mal einer Woche - mit Tom diese Gänge entlang gegangen war.
Im Saal wartete Lillian schon auf uns, wieder in einem gerade zu umwerfenden Hosenanzug und mit glänzenden Haaren. Wir unterhielten und über unsere Woche, wobei ich den Empfang gekonnt unter den Tisch fielen ließ, Lillian jedoch bedeutungsschwangere Blicke zu warf.Seit Freitag Abend hatten wir nicht mehr geredet und auch wenn ich das von Prinz Thomas nicht erzählen wollte, mein Auftritt vor dem König und Präsidenten und mein Fortschritt mit Vater, wollte ich auf jeden Fall mit ihr teilen.
"Seht ihr Layla irgendwo?" Lil reckte den Kopf und sah sich suchend um. Die anderen taten es ihr gleich während ich nur in mein Glas blickte.
"Ja, da", rief Daphne aus "sie steht bei diesem Typen mit den dunkelblonden Haaren und den grünen Augen. Ach, sieht der gut aus, wie hieß er noch mal?"
"Stewart", murmelte ich.
"Hää?"
"Harrison Stewart", sagte ich lauter und sah wieder auf.
Die anderen fingen an, wild zu spekulieren, woher sich die beiden wohl kannten. Lediglich Lillian fiel auf, dass ich still blieb. Sie stupste mich an, in ihren Augen eine Frage.
"Später", formte ich mit den Lippen die Antwort. Sie nickte, wollte sich gerade wieder ins Gespräch einklinken, als das Orchester die Königsfamilie ankündigte.
Es lief genauso ab, wie jedes Mal. Erst König und Königin, dann der Prinz, die knappe Ansprache und dann der sich bildende Kreis. Nur, dass ich dieses Mal auch eine von denen war, die bei seinem Anblick dahin schmolzen.
Wie hatte ich vergessen können, wie gut er aussah? Die eine Seite in mir konnte gar nicht genug von ihm bekommen, verlange, dass ich ihn mit den Augen verschlang.
Die andere Hälfe wollte, dass ich mich umdrehte, oder zumindest den Kopf senkte. Doch bevor ich wirklich etwas tun konnte, war es auch schon vorbei und die Massenwanderung begann.
Wie alle anderen stellte ich mich in den Kreis. Hielt meinen Blick aber gesenkt. Ich spürte, dass er den Kreis entlang schritt, spürte es daran, dass die Mädchen neben mir sich gerader aufrichten, tief ein oder aus oder gar nicht mehr atmeten und mir fiel meine Mutter wieder ein, also hob ich meinen Kopf, starrte blicklos in die Ferne und dann, stand er plötzlich vor mir, wie aus dem Nichts.
Ich sah ihn an, sah in seine braunen Augen und zum ersten Mal seit einer Woche endete der Krieg in mir, denn eine Seite hatte gewonnen.
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Und die Nachtigall singt | Tom Holland ff
FanficAshley Maria Barthon ist eine der wenigen - wenn nicht sogar die Einzige - die sich ihr Leben als englische Adelstochter sicher anders vorgestellt hat als der Durchschnitt. Tee mit anderen Hofdamen im fein geschmückten Salon, königliche Bälle mit M...