Kapitel 2

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Ich konnte nahezu spüren, wie alle um mich herum den Atem anhielten, während Prinz Thomas gemächlichen Schrittes vom Podest trat. Ob man sich wohl seltsam vorkam, wenn man durch eine Horde junger, aufgehübschter Mädchen hindurch schritt, um sich eine von ihnen auszusuchen? Sie später vielleicht sogar zu heiraten? Prinz Thomas Liebe wurde hier mehr oder weniger zum Kauf angeboten - wer am meisten auffiel, der gewann.

Es war fast schon so, wie an einer der schäbigen Losbuden auf dem Jahrmarkt, den ich ein einziges Mal mit meinem Kindermädchen besucht hatte. Nur dass es hier, anstelle von leeren Bierdosen und Los Nieten auf sandigem Boden und einem salzig-süßen Fettgeruch in der Luft, Bedienstete gab, die über das blankpolierte Parkett - ja, der Saal war tatsächlich mit Parkett ausgelegt, mir taten die Leute, die nachher putzen mussten, jetzt schon leid - huschten und unter kristallinen Kronleuchtern dem wohl gekleideten Adel kleine exquisite Häppchen auf dem Silbertablett anboten. Und dass es hier auch nicht um einen schlecht genähten Synthetik-Stoff-Hasen ging, sondern um die Hand eines Prinzen.

Der jetzt genau in unsere Richtung blickte. ,Oh nein', schoss es mir durch den Kopf. So unauffällig wie möglich versuchte ich, ihn nicht anzusehen, Desinteresse zu zeigen. ,Oh hoffentlich sprach er nicht mich an!' Dann musste ich nicht nur das Seufzen meiner Freunde ertragen, sondern auch noch die hasserfüllten Blicke aller anderen Anwesenden. Plus deren Eltern! Danke, aber da tröstete ich lieber den ganzen Abend lang eine am Boden zerstörte Daphne!

Es kam wie es bei meinem Talent, buchstäblich im Glück zu schwimmen, kommen musste: Prinz Thomas lief die Reihen der Mädchen ab, lächelte jedem zu und kam dann schließlich direkt vor mir zum Stehen. Oh nein, dachte ich wieder, diesmal aber resigniert. Er sah mich an, sein Lächeln wurde etwas spöttisch.

Ohne darüber nachzudenken, was ich ihm indirekt damit mitteilte, zuckte ich mit den Augen in Laylas Richtung. Sie stand genau neben mir, ihre Hände strichen nervös über ihr Kleid. Ich wusste wie sehr sie einmal von ihm zum Tanzen aufgefordert werden wollte und wie sehr sie sich jedes verdammte Mal dafür anstrengte. Sie hatte es verdient, fand ich.

Wieder zuckten meine Augen und diesmal auch ganz leicht mein Kopf mit. Ich sah Prinz Thomas direkt in die Augen und hoffte inständig, dass er verstand.
Tatsächlich: Sein Blick glitt kurz zu Layla, dann wieder zu mir. Sicher?, fragten seine Augen und ich nickte leicht zur Bestätigung, lächelte ihn - zum ersten Mal an diesem Abend - an.

Einen Moment hielt er den Blickkontakt noch aufrecht, dann lächelte er Layla verführerisch an. "Ein wunderschönes Kleid tragen Sie da. Sehr exotisch, diese Farbe!" Sie versteifte und starrte auf die Hand, die er ihr entgegenhielt. "Würden Sie mir die Ehre erweisen, Miss Layla?"

Wow, sogar mit Namen. Der Typ hatte sich vorbereitet. Zitternd legte Layla ihre Hand in seine und hauchte ein leises: "Sehr gerne, sogar!" Ein letztes Mal strich sie über den türkisen Stoff ihres Kleides, dann führte Prinz Thomas sie auch schon unter dem allgemeinen Geflüster und Gemurmel zur Mitte des Saals, während mir ein Stein vom Herzen fiel.

Ich brauchte nicht in die Runde zu gucken, um zu wissen, wie die Gesichter der anderen Mädchen aussahen. Enttäuschung, Wut, Trauer, Hoffnung auf ein nächstes mal und Neid. Viel Neid. Er war schon fast mit Händen greifbar. Doch nichts davon erschien in meinem Gesicht. Ich erlaubte mir das Grinsen nicht, aber ich war durch und durch zufrieden mit mir.

Der Prinz und Layla, die schon jetzt aussah, wie eine Prinzessin, erreichten die Mitte des Raumes und mit einem Mal war der Raum erfüllt von Musik. Hauchzart, sanft und trotzdem rhythmisch erfüllte sie den Raum. Wie auf Kommando fingen die beiden in der Mitte der Fläche an zu tanzen. Kein auffälliger, komplizierter Tanz, sondern ein einfacher Walzer. Sie schwebten über das Parkett wie auf Wolken und ich glaubte, Layla noch nie so glücklich gesehen zu haben. Sie sah bezaubernd aus, mit dem leichten Lächeln im Gesicht, dem wogenden Kleid und ich sah, dass sie auch sprach. Einmal kicherte sie kokett und er grinste. Schien, als würden sie Spaß haben.

Ich war wohl nicht die einzige, die das so sah, denn ein paar der Mädels drehten sich wütend weg oder erdolchten die beiden mit Blicken. Ich war wahrscheinlich die Einzige, die sich wirklich aufrichtig freute. Auch wenn Daphne und Victoria ein mildes Lächeln zur Schau trugen, sah ich doch die Enttäuschung in ihren Augen.

Um sie etwas auf zu muntern, trat ich zwischen die beiden, legte ihnen jeweils den Arm um die Taille und stupste sie an. "Der Abend ist noch lang, Ladies!" murmelte ich mit tiefer Stimme und sofort blitzte Belustigung in ihren Augen auf.

Die Musik änderte sich und nun gesellten sich auch der König und die Königin auf die Tanzfläche, bis nach kurzer Zeit die Stimme eines Redners die Musik kurzfristig übertönte.

"Fühlen Sie sich willkommen, die Tanzfläche mit der königlichen Familie zu teilen!"

Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus. Zum einen, weil Layla gerade praktisch ein Teil der königlichen Familie genannt wurde und ich wetten könnte, dass sie gerade am liebsten Luftsprünge machen würde. Ein Blick zu ihr bestätigte meine Gedanken, ich hatte sie wahrscheinlich noch nie breiter grinsen sehen. Zum anderen, weil jetzt mein liebster Teil des Abends begann.

Das Drehen, die Schritte, das Bewegen zur Musik, kaum etwas erfüllte mich mehr. Die fliegenden Wechsel in einem Lied, von Partner zu Partner, eine kurze Unterhaltung, ein gemeinsames Lachen und weiter zum nächsten.

Es dauerte nicht lang, da waren Daphne und Victoria schon von zwei gutaussehenden jungen Herren auf die Tanzfläche geführt worden. Ich drehte mich zu Lillian, die zum ersten Mal an diesem Abend etwas unsicher dastand. Ich folgte ihrem Blick und musste lächeln.

"Lil, Starren allein bringt nichts. Du musst schon rüber gehen und sie ansprechen."

Lillian drehte sich zu mir. "Bist du irre? Meine Eltern sind hier! Es war schon ein Schock für die beiden, dass ich kein Kleid angezogen habe, da kann ich jetzt nicht auch noch mit einem Mädchen tanzen!" Nervös strich sie über den Stoff ihres maßgeschneiderten Jacketts. Sie trug einen marineblauen Hosenanzug mit einem weißen Hemd und weißen Highheels, in denen ich mir wahrscheinlich die Füße gebrochen hätte. Sie sah umwerfend aus, mit ihren kinnlangen Haaren, die im Licht der vielen Kerzen über uns - was eine Verschwendung, man könnte auch einfach Glühbirnen einschrauben - schon nahezu golden glänzten.

"Du sollst doch nur mit ihr reden! Das wird ja wohl nicht verboten sein!"

"Wenn ich in dieser Zeit eigentlich unserem Kronprinzen schöne Augen machen sollte, schon."

"Und wenn ich sie ablenke?", schlug ich, ganz dir hilfsbereite Freundin, vor. "Also deine Eltern meine ich."

"Vergiss es, Ash! Du schnappst dir jetzt irgendeinen Typen, dem du den Kopf verdrehst und rockst mit ihm die Tanzfläche!"

Ich lachte. "Klar! Wir rocken ab zu Mozart und Co.!"

"Die besten Hits des 18. Jahrhunderts", grinste auch Lillian, wurde dann aber wieder ernst. "Ne ernsthaft. Lass das mal meine Sorge sein. Ich krieg das schon hin!"

Ich wollte noch etwas erwidern, als ich einen Finger spürte, der mir sanft auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um und blickte in das freundlich lächelnde Gesicht eines hochgewachsenen Mannes in einem schwarzen Anzug und blutroter Fliege.

"Guten Abend die Damen", sagte er und nickte mir und Lillian zu, dann heftete sein Blick sich wieder auf mich. "Miss Ashley, wie ich annehme?"

"Sehr wohl", erwiderte ich und deutete einen Knicks an. "Und Sie sind?"

"Lord Thomas. Sehr erfreut!" Er griff nach meiner Hand und hauchte einen Kuss auf meine Fingerknöchel.

"Thomas?"

Er grinste. "Der andere Thomas."

"Zweitname?"

"William. Familienname Hiddleston."

"Soso, Lord Thomas William Hiddleston also." Ich grinste.

"Ganz genau." Er sah zwischen mir und Lillian hin und her. "Darf ich Sie, Miss Ashley, um diesen Tanz bitten, oder komme ich gerade ungelegen?"

Fragend drehte ich mich zu meiner Freundin um. Diese hob abwehrend die Hände. "Um mich braucht ihr euch nicht zu kümmern! Und jetzt geht mir aus den Augen und amüsiert euch!"

Ich grinste. "Ganz wie sie wünschen, Mylady!", sagte Lord Thomas und hielt mir seinen Arm hin. "Sollen wir?"

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt