Kapitel 1

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"Layla, hier!"

Ich winkte, damit sie auf mich aufmerksam wurde. Sie trug eine unglaublich schöne, türkise Ballrobe und mal wieder beneidete ich sie für ihren Geschmack. Mit ein paar Schritten trat sie zu unserer Gruppe und umarmte uns nach einander. Daphne, Victoria, Lillian und dann mich.

"Das nächste mal, darfst du mich auch einkleiden. Du siehst echt fantastisch aus!" Ich zwinkerte ihr zu.

"Danke", sagte sie leise, strich den Stoff glatt und sah dann verträumt in die Runde. "Ich hoffe, ich falle ihm dieses mal auf" Ihre Stimmlage konnte man kaum mehr als Stimme bezeichnen, es war mehr ein Seufzen. Die anderen stimmten zu und ich hielt mich gekonnt im Hintergrund.

Mein Blich schweifte über die Menge, über all die prächtig gekleideten Leute, all die herausgeputzten Mädels, alle ungefähr in meinem Alter.

Der Saal war unglaublich schön, die Fassade, die Vorhänge und die Akustik war phänomenal. Ich freute mich schon auf den Moment, wenn das Orchester, auf der Bühne, die Saiten anstimmen und die Tanzfläche eröffnet werden würde. Über das Essen konnte man sich auch nicht beschweren. Aber es war auch die Königsfamilie, ich hatte kaum etwas anderes erwartet.

"Und er lächelt immer so nett"

"Ja, und als Kind war er immer so lieb zu allen. Nicht nur zu den Erwachsenen, sondern auch zu uns."

Ich unterdrückte ein Stöhnen. Das Einzige, das mich daran erfreute, das nun die Zeit gekommen war, auf die viele Mädchen sich ihr Leben lang gefreut hatten –  ich auch, wie ich zugeben musste, aber nur ganz kurz –  war, dass der König und die Königin nun fast jede Woche einen Ball gaben. Und dank den guten Beziehungen meiner Eltern war ich fast jede Woche mit von der Partie.

Ich liebte Bälle, die Vorbereitungen, das Stylen und Ankleiden, das Essen, die Gespräche, das Geplänkel, der Klatsch, das Tanzen und richtig gut wurde es, wenn wir es schafften uns weg zu schleichen und nicht mehr die prüfenden Blicke unserer Eltern im Nacken spürten.

In den letzten Wochen musste ich mich jedoch vermehrt allein wegschleichen, denn keines der anderen Mädchen wollte ihre Chance verstreichen lassen.

"Uhhh, es ist soweit" quietschte Victoria und wir bildeten aus unserem Kreis eine Reihe.
Das Orchester stimmte eine majestätische Melodie an und nach ein paar Sekunden betrat der König, mit seiner Königin an der Seite ein Podium. Mir war klar, was jetzt kam.

Ich senkte meinen Blick, platzierte meinen Ellenbogen auf meiner Hüfte und inspirierte meine Hände.
'Ich sollte wirklich mal wieder zur Maniküre', versuchte ich das Seufzen der anderen in meinem Kopf zu übertönen.

Ja, mein Verhalten war respektlos, absolut, und eigentlich stand ich auch dazu, aber jetzt ich spürte meine Mutter im Rücken, die beobachtete, wie ich meine Finger betrachtete und ehrlich gesagt - ich konnte mir eine weitere Predigt wirklich sparen.

Also hob ich den Kopf und sah zum Podest. Der Prinz war gerade neben seinen Eltern zum Stehen gekommen und sah nun in die Runde. Sein Blick streifte unsere Gruppe, verharrte aber nirgends.
Eine Strähne viel ihm in die Stirn und mit einer geübten Bewegung strich er sie nach hinten.

"Und nun unser Prinz, Thomas von Holland"

Ein allgemeines, zumeist weibliches Seufzen ging durch den Raum, wurde jedoch vom leisen Applaus übertönt. Ich verdrehte die Augen, als Victoria neben mir schon wieder quietschte, klatschte natürlich dennoch höflich. Auch wenn ich es gern versteckte, der Königsfamilie gebührte mein allergrößter Respekt. Naja, zumindest der Königin und dem König. Der Prinz... Nun, aufgrund des offensichtlichen und komplett überdrehten Interesses vieler junger Damen und Herren in diesem Saal - wobei sich nach meinen Informationen die Herren eher weniger Hoffnung machen sollten - war er mir einfach unsympathisch geworden. Ich wusste nicht einmal warum; ich kannte ihn nicht. Dennoch störte es mich, dass Daphne lauter klatschte als unbedingt notwendig und Layla vor lauter Bewunderung es gar nicht schaffte, ihre Hände zu einem hörbaren Beifall zusammenzuschlagen.

Die Einzige, die sich im Zaum halten konnte, war Lillian, die mich jetzt entschuldigend anlächelte. Ich zuckte nur mit den Schultern und wandte meinen Blick dann wieder nach vorn.

Nur, um exakt seinen Blick abzufangen. Die Hände hatte er vor sich verschränkt, den Rücken durchgedrückt und er sah mich mehr aus den Augenwinkeln an, als dass er sich zu mir drehte. Er wirkte so unglaublich.... arrogant, dass sich mir der Magen umdrehte. Ich weiß, im Nachhinein betrachtet war meine Reaktion eindeutig respektlos und hätte mir wahrscheinlich zum ersten Mal Schläge von meiner Mutter eingebracht, aber das war mir in dem Moment nicht bewusst.

Ich hielt inne beim Klatschen, zog meine Augenbrauen nach oben und machte mit meinen Händen eine fragende Bewegung. Nicht unbedingt die Reaktion, die man als Prinz von seinen Untertanen erwartet. Thomas jedoch lächelte nur leicht süffisant und wandte den Blick ab. ,Oh man, wenn das so weiter ging, konnte der Abend länger dauern, als erwartet.'

"Wie es die Tradition verlangt, wird heute Abend der Ball durch meinen Sohn", der König streckte den Arm aus und legte seine Hand auf Thomas Schulter, wie ein stolzer Vater es eben tat, "eröffnet. Und wie es die Tradition so will, wird er sich seine Partnerin für diesen Tanz aus der hier heute anwesenden Menge aussuchen. Also meine Damen, bilden sie einen Kreis, stellen Sie sich nach vorn und wer weiß, was dann passiert."

Ich mochte den König. Er hatte eine so angenehme Art, nicht streng aber definitiv autoritär. Er konnte über sich selbst lachen und wusste dennoch wo die Grenze war. Wenn Thomas auch nur ein halb so guter König wurde, dann konnten wir uns alle freuen.

"Ich weiß es, Vater", sagte dieser in diesem Moment mit lauter, klarer Stimme und erntete dafür eine Menge Lacher und Kichern. Ich unterdrückte ein Stöhnen, verdrehte die Augen und wandte mich ab.
Eine allgemeine Bewegung kam in die Menge, während sich alle Eltern, Großeltern, schon verlobte oder verheirateten Leute an den Rand begaben und ein ganzes Heer an Mädchen die Mitte ansteuerte.

"Sitzen meine Haare noch?"

"Hab ich Lippenstift auf den Zähnen"

"Sieht man, wie nervös ich bin?"

"Gibt es noch etwas von diesem Sekt?"

So gingen die Fragen durch unsere Reihe und ganz hilfsbereit prüfte ich alles noch mal. Haare saßen, Lippenstift auch. Daphnes Wangen waren etwas rot, aber das sah ganz niedlich aus. Ich nahm eines der Sektgläser von einem der Serviertische und jede von uns genehmigte sich noch ein Schlückchen. Dann griff ich nach den zwei Händen, die mir am nächsten waren und zog sie an den Rand.

Mir war es vielleicht egal, ja. Mich störte auch das ständige Geseufze und diese Idealisierung seiner ganzen Person, aber ich wollte, dass meine Freundinnen glücklich waren und wenn er das war, was sie wollten, dann würde ich ihnen dabei helfen.

Endlich war in der Mitte eine Art Kreis entstanden, an dessen Rand sich Mädchen drängten. Hunderte von Kleidern, in allen Farbnuancen und hier und da auch ein Ellenbogen, der sich etwas Platz verschaffte. Ich schob meine Mädels der Reihe nach an den Rand, forderte sie auf zu lächeln und wollte mich schon hinter sie stellen, doch meine Mutter hatte andere Vorstellungen.

Sie legte eine Hand auf meinen Rücken und bevor ich auch nur irgendetwas tun konnte, hatte sie mich an den Rand geschoben und zischte: "Kopf hoch, lächeln. Das ist deine Chance!" Protest war zwecklos, das wusste ich genau.

Mit einem mal stimmte das Orchester einen kurzen Dreiklang an, brachte damit alle zur Ruhe und vom Podest, bis zu dem Kreis wurde eine Gasse gebildet.

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt