Kapitel 26

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Toms Kopf schoss in die Höhe und sein Blick richtete sich auf mich, wie ich hustend am Türrahmen lehnte und zu den beiden hinüber starrte. Sie standen noch etwas den Gang hinunter, weshalb ich seinen Gesichtsausdruck nicht ganz deuten konnte. Layla bemerkte seinen Blick und sah sich ebenfalls um. Ich sah gerade noch, wie sie sich die Hand vor den Mund legte, als die Tür neben mir wieder aufgerissen wurde. Harrison trat heraus, sah mich und legte mir sofort eine Hand auf die Schulter.

„Miss Ashley, warten Sie-“ Dann fiel auch sein Blick auf die andern beiden.

Tom war zu uns hinübergekommen, Layla ihm hinterher. Jetzt konnte ich in seine Augen sehen. Sie funkelten. Sein stechender Blick lag auf Harrisons Hand, die noch immer auf meiner Schulter lag. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was er fühlte. Mir ging es schließlich nicht anders.

Das Erste, das ich fühlte war Unglauben, gefolgt von Verwirrung, Wut, Verdruss und dann wieder Wut und Schmerz, so viel Schmerz.

Wie konnte er nur? Und dann auch noch Layla! Und wie hatte ich so dumm sein können?

Wie hatte ich denken können, ich wäre die Eine, die Besondere, die er wollte? Wie hatte ich denken können, dass er nur mich wollte? Schließlich war er der Prinz, er konnte alle haben.

Aber für einen Moment, war die Illusion, dass er nur mir gehörte schön gewesen, verlockend, zerreißend, verschlingend. Doch jetzt landete ich auf dem harten Boden der Tatsachen.

Der Typ, von dem ich gestern Abend noch behaupten konnte, er wäre mein Freund, hatte gerade eine meiner Freundinnen geküsst, hatte sich von ihr berühren lassen. Kein einfaches Berühren, nein ein Zärtliches, ein Warmes. Ein Liebevolles.

Mir drehte sich fast der Magen um. Und jetzt kam er auch noch mit diesem stechenden Blick auf uns zu, die Augen auf Harrisons Hand auf meine Schulter. Ich brauchte keine Worte von ihm, um zu wissen, was in ihm vorging. Ich fühlte es auch. Und ich hätte Layla auch gern so an gefunkelt. Denn sie hatte sich etwas genommen, was mir gehörte und damit kam mein kleines, dummes, naives Herz absolut nicht klar. Oder viel mehr mit dem Fakt, dass Tom es zugelassen hatte. Zugelassen? Oder doch eher -

Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, zu schmerzvoll die Konsequenzen.

Was mich fast noch mehr aufregte, war sein Verhalten. Wie er mit seinem Blick die Hand auf meiner Schulter praktisch verbrannte. Dass er es sich überhaupt erlaubte, Besitzansprüche zu erheben.

"Nimm die Ha-" Weiter kam er nicht. Ich unterbrach sein Knurren, als hätte ich es gar nicht gehört.

"Harrison, ich denke es ist besser, wenn wir einfach vergessen, was eben passiert ist, nicht?" Ich drehte mich zu ihm, sah ihn eindringlich an. Seine Hand fiel von meiner Schulter und ich war mehr als dankbar dafür.

Ohne hinzusehen wusste ich, dass Toms Blick von ihm zu mir sprang und wieder zurück.

"Dem wäre ich sehr dankbar, Miss." Harrisons Stimme war leise, reuevoll. Er sah mich aufrichtig an, neigte schließlich den Kopf zu einer Stummen Entschuldigung. Eine Tatsache, mit der ich mich später noch einmal auseinandersetzen würde, aber jetzt hatte ich nur ein Ziel.

Ich richtete mich auf, sah aber niemanden direkt an, als ich sprach. "Mich hat soeben die Nachricht erreicht, dass zu Hause etwas nicht in Ordnung sei. Die Angelegenheit verlangt leider, dass ich mich jetzt wohl verabschieden muss."

Ich spürte ihre Blicke auf mir, spürte, dass sie alle etwas sagen wollten, aber niemand ergriff das Wort. Schließlich setzte ich den ersten Schritt nach vorn und machte mich auf den Weg den Gang hinunter und sobald ich um die Ecke bog, rannte ich.

Die Tränen von eben waren wieder in meinen Augen, mein Sichtfeld verschwamm. Immer und immer wieder sah ich Layla und ihn vor meinem inneren Auge, sah wie ihre Lippen sich lösten, ihre Hand an seinem Gesicht...

Das Make-Up war mir egal, als die Tränen überliefen und meine Wangen hinunterrannen.

Ich war schon fast da, hatte es schon fast geschafft, als ich ihn hinter mir hörte.

"Ash!" Seine Stimme war kräftig, bittend, verzweifelt, doch es war mir egal. Nichts würde mich dazu bringen stehen zu bleiben, bis – ich hatte das Eingangsportal schon fast erreicht – sich seine Hand um mein Handgelenk schloss.

"Ash, bitte warte!" Sein eindringlicher Blick traf auf meinen. Kurz erwog ich stehen zu bleiben und mit ihm zu reden, doch dann sah ich ihn wieder, sah ihn mit Layla. Und dann brannte auch meine letzte Sicherung durch und ich riss mich los.

"Wehe du wagst es, mich noch einmal so zu nennen!" Dann lief ich die Treppen hinunter; meine Hände in mein Kleid gekrallt, um es hoch zu heben; meine Schritte schnell und unsicher auf den Stufen.

Verflucht seien diese doofen Schuhe. Doch dann hatte ich es geschafft, die Stufen langen hinter mir und ich stürzte weiter, bis ich bei unserem Wagen ankam.
Ich riss die Tür auf, doch bevor ich mich ins Auto gleiten ließ, drehte ich mich noch einmal um.

Da stand er, oben auf der Treppe, hinter ihm das Schloss, das bald einmal seines sein würde, und sah aus, wie der König, der er einmal werden würde.

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt