Prolog

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Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen. Es war tatsächlich vorbei. Ich musste nie wieder in meinem Leben zur Schule gehen.

Ich hatte eben mein Abschlusszeugnis erhalten und die obligatorische Feier in der Aula hinter mich gebracht. Aber irgendwie wollte sich die lange ersehnte Erleichterung einfach nicht einstellen. Gut, ich hatte einen Durchschnitt von 1,2. Darauf konnte ich wohlstolz sein. Aber was brachte mir das beste Zeugnis, wenn ich keinen Plan hatte, was ich mit meiner Zukunft anfangen wollte?

Ich hatte mich zwar für eine Ausbildung zur Buchhändlerin beworben, aber ob das das richtige für mich war, konnte ich ehrlich gesagt nicht behaupten. Ich las zwar für mein Leben gerne und war immer auf der Suche nach neuen Büchern, aber ob ich das wirklich den Rest meines Lebens arbeiten wollte, wusste ich noch nicht.

„Mach dir keine Sorgen, Charlie", hatte mich meine beste Freundin Yara beruhigt, „wenn es nicht passt, kannst du die Ausbildung ja einfach abbrechen. Mit deinem Zeugnis kannst du sicher überall anfangen!" Dabei war sie sich selbst noch nicht sicher, ob ihre Wahl die richtige gewesen war. Erzieherin. Sie wollte tatsächlich ihr Leben bis zur Rente in einer Kindertagesstätte verbringen, sich um kleine Kinder kümmern. „Ich mag Kinder und probiere es einfach mal aus", hatte sie erklärt. „Einfach mal ausprobieren". Das war eigentlich so gar nicht meine Art. Ich hasste es, unüberlegt zu handeln und hatte am liebsten immer einen Plan, zumindest einen provisorischen. Einfach drauf los war noch nie meine Stärke gewesen.

„Charlie!", riss mich der Ruf meines Bruders Bömbur aus meinen düsteren Gedanken voller Selbstzweifel. Ja, mein kleiner Bruder hieß fast so wie der nicht ganz schlanke Zwerg aus den Hobbit-Filmen, er wurde nach seinem Großvater, der aus Schweden stammt, benannt und tat mir echt leid. Da hatte ich es mit meinem Namen ja noch besser. Wie meine Oma wurde ich Charlotta getauft, allerdings nannte mich fast jeder nur Charlie.

„Was ist?", rief ich und erhob mich unwillig von meiner Matratze. Keine Sekunde später stand Bömbur in meinem Zimmer und grinste mich durch seine hellblonden Locken, die ihm wild ins Gesicht hingen, an. „Yara und Anna sind da und wollen zu dir!"

Der Gedanke an meine beiden Freundinnen heiterte mich auf und ich lief so schnell wie möglich die Treppe hinunter. „Hey!", begrüßte ich die beiden, „was gibt's?"

Yara antwortete: „Wir wollten fragen, ob du heute Abend schon was vorhast. Wenn nicht, würden wir dich gerne einladen, bei uns im Garten zu zelten. Das haben wir an unserem letzten Schultag der ersten Klasse auch gemacht und wir dachten, es wäre cool, diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Bist du dabei?" „Natürlich!", rief ich aufgeregt, „Das ist voll die gute Idee, ich pack gleich meine Sachen! Gebt mir fünf Minuten!"

In meinem Zimmer riss ich erstmal den Schrank auf, um mich umzuziehen. Ich trug noch das  waldgrüne Abendkleid von der Abschlussfeier, was ja wohl eher ungeeignet zum Zelten war.

Deshalb schlüpfte ich in meine schwarzen Hotpants und ein grünes T-Shirt und stopfte zur Sicherheit meine Sweatshirtjacke und einen Schlafanzug in den Rucksack. Dann packte ich noch den leichten Schlafsack, den ich für die Abschlussfahrt gekauft hatte, und mein Lieblingskissen dazu.

Aus der Vorratskammer raubte ich ein paar Tafeln Schokolade, Gummibärchen, eine Tüte Chips und Knäckebrot, das würde mir mein Vater schon verzeihen. Zu guter Letzt schnappte ich mir noch mein Handy und das solarbetriebene Ladegerät, das ich mir für unseren letzten Campingurlaub gekauft hatte. und quetschte alles in meinen Rucksack. Unten schlüpfte ich in meine hellgrauen Chucks und verließ mit meinen beiden Freundinnen, nachdem ich mich von meinem Bruder und meinen Eltern verabschiedet hatte, unser altes Fachwerkhaus.

„Auf eine unerwartete Reise!", rief Anna lachend, als wir in den Bus stiegen, der uns in die Schrebergartensiedlung bringen sollte, wo ihre Familie ein kleines Grundstück besaß, das perfekt zum Zelten war. Wenn wir wüssten, wie recht sie mit dieser Aussage hatte...

„Ich liebe Marshmallows", meinte Yara und steckte noch eines auf ihren Stock, um es über dem kleinen Feuerkorb zu grillen. „Wer nicht", nuschelte ich mit vollem Mund und warf einen Blick in den Nachthimmel. „Sterne sind so schön", sagte Anna, und ich grinste: „Ich fand immer, es ist ein kaltes Licht! Weit entfernt und unnahbar"

Meine Freundin hatte meine Anspielung verstanden und erwiderte gespielt empört: „Es sind Erinnerungen! Rein und klar" Yara verdrehte die Augen: „Ihr immer mit eurem Kili-Tauriel-Zeug, Fili ist doch genauso süß und außerdem passt Legolas viel besser zu ihr!" „Fili ist auch cool, aber die beiden sind einfach so süß!", rief ich, „auch wenn ich Kili natürlich reintheoretisch auch nehmen würde..."

„Warum sind die Jungs aus Mittelerde nur so viel hübscher als die in Deutschland? Warum kann niemand so aussehen wie Kili, Fili oder Thorin? Leggy ist fast zu schön für die Welt und von Thranduil will ich gar nicht erst reden..."

Als es langsam kühler wurde, zogen wir uns ins Zelt zurück, wo wir eingekuschelt in unsere Schlafsäcke noch ewig über unsere Pläne für die Sommerferien quatschten und uns mal wieder darüber aufregten, dass Alfrid mehr Screentime als Fili bekommen hatte... Mit dem Gedanken an das sanfte Auenland und das tiefe Grün des Düsterwaldes schlief ich irgendwann ein...

Im Pyjama durch MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt