Ich musste mich beherrschen, nicht loszurennen. Wir kamen nach Bruchtal! Nach Bruchtal! Nach fucking Bruchtal! Der wohl schönste und gleichzeitig kitschigste Ort aller Zeiten. Und okay, ich freute mich ehrlich gesagt ziemlich aufs Abendessen. Das ganze grüne Essen... mir lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen. Auch wenn ich mich mit meiner Liebe zu Gemüse bei den Zwergen wohl ziemlich unbeliebt machen würde... aber egal. Essen ging vor!
Als wir endlich das Ende des Ganges erreicht hatten, blieb mir vor Staunen der Mund offen stehen und eine Gänsehaut breitete sich aus. Das war mit Abstand das schönste, was ich je gesehen hatte. Noch tausendmal schöner als der Anblick des Vertretungsplan, der ankündigte, dass Doppelstunde Latein ausfallen würde. Und das wollte was heißen. Und natürlich sah alles noch tausendmal schöner aus als in den Filmen.
„Wow", hauchte Anna und ließ fasziniert ihren Blick über das Tal schweifen. In der Ferne stürzten sich Wasserfälle in die Tiefe, alles war in ein goldenes Licht getaucht und augenblicklich fühlte ich mich irgendwie glücklich. Kurz gelang es mir, alle Sorgen (der drohende Tod meiner Lieblingszwerge, mein dezentes Heimweh und die Frage, was man machte, wenn man in Mittelerde seine Tage hatte) vergessen und einfach die schöne Aussicht genießen. So hatte ich mir seit meinem Dasein als Fangirl immer den Himmel vorgestellt.
Aber natürlich, natürlich musste die schlechte Laune in Person aka Thorin Eichenschild die Stimmung wieder zerstören. Er begann Gandalf anzugiften, dass er es von Anfang an geplant hatte, sie hier herzuführen, blablabla, dass ihm die Elben niemals helfen würden, weil sie sie schon damals im Stich gelassen hatten... Irgendwann platzte Yara wohl der Kragen, denn sie rief genervt:
„Ich weiß, du bist n König und ich sollte dich wohl mit Respekt behandeln, aber sorry, hast du es nicht langsam? Kannst du vielleicht einmal auf deine Feindschaft mit den Elben scheißen und dich freuen, hier zu sein? Bei uns in Deutschland erzählt man stets von der großen Gastfreundschaft von Herrn Elrond, das Essen hier soll vorzüglich schmecken und okay, ich bin echt hungrig und Kili sieht auch so aus, als würde er vor Hunger bald ins Koma fallen."
Sie war wohl die erste Person, die jemals in Bruchtal das Wort "scheißen" verwendet hatte... Ehe ich sie darauf aufmerksam machen konnte, fiel mein Blick auf Kili. Der ärmste.
Vor Schreck, nun ein Mittel geworden zu sein, um seinen übellaunigen Onkel rumzubringen, lief der Jungspund schneeweiß an, was ihn noch einmal überzeugender machte für seine (unfreiwillige) Rolle als armer, ausgehungerter Welpe.
„Du siehst wirklich nicht besonders gesund aus", stellte Thorin nun mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme fest und seufzte, „Nun gut. Der Wunsch deiner Mutter war es, dass ich gut auf dich und deinen Bruder aufpassen werde. Also gut, lasst uns das Tal des Schreckens betreten!"
Ich atmete erleichtert auf. Er war doch nicht so gefühlskalt, wie er es versuchte darzustellen. Vielleicht hatte er auch einfach selbst einen Bärenhunger und nutzte nun seinen Neffen, Zutritt zur Speisekammer Elronds zu bekommen. Oder er hatte einfach Schiss vor dem Zorn seiner Schwester, wer weiß. Mir war es relativ egal, Hauptsache Essen.
Ich hüpfte nun doch wie ein kleines Kind den Weg entlang und blickte mich fasziniert nach allen Seiten um. Die Zwerge tauschten immer wieder misstrauische Blicke, sie wirkten ziemlich verloren auf mich. So ähnlich wie ich mich auf einer Feier fühlte (wenn ich denn mal eingeladen wurde) und niemanden kannte...
Als wir vor einer imposanten Treppe stehen blieben, kam ein Elb auf uns zu. Natürlich war er atemberaubend schön, und ich sah ihn beeindruckt an. Warum sahen hier in Mittelerde alle Männer mit langen Haaren so gut aus?
„Mithrandir", sagte er im typischen Elben-Style und ging auf den Zauberer zu.
„Lindir", begrüßte ihn dieser ebenso freundlich, „ich muss mit Herrn Elrond sprechen." „Herr Elrond ist nicht hier", erwiderte der Elb entschuldigend. „Nicht hier", wiederholte Gandalf, „wo ist er?"
In diesem Moment ertönte ein Horn hinter uns, und es war klar, was nun geschehen würde. Lautes Hufgetrappel ertönte, mehrere Elbenkrieger kamen auf Pferden auf uns zu, allen voran Elrond. Warum kam er mir in den Herr Der Ringe Filmen nur so viel spießiger vor? Hier, auf dem Pferd, in der eleganten Rüstung wirkte er fast schon sexy auf mich... aber okay, der Typ war vom Alter her höchstens was für meine Mutter, deshalb verdrängte ich die Gedanken an seine Schönheit schnell wieder.
Die paranoiden Zwerge fühlten sich natürlich bedroht und griffen unter wilden Aufschreien nach ihren Waffen, um dann einen Kreis zu bilden. Uns drängten sie in die Mitte, allerdings waren wir drei einen Kopf größer als sie und konnten die Elben gut erkennen, die sich von dem kleinen Zwergenaufstand nicht einschüchtern ließen, sondern uns bedrohlich umkreisten.
„Jetzt chillt doch mal, die machen schon nichts", murmelte ich Fili und Kili zu, die unruhig auf und ab hüpften. Mein Gott, von Barbaren umzingelt...
„Wie kannst du so sicher sein?", fauchte Fili, „Das sind immerhin Elben, da kann man nie wissen." Auch die anderen Zwerge schienen mir langsam aber sicher in Panik auszubrechen und stolperten mit gezückten Waffen im Kreis herum. „Diese Idioten", jammerte Yara, „Bombur ist mir gerade auf den Fuß getreten!" „Du arme", meinte ich mitleidvoll und wich schnell Noris Ellbogen aus, der beinahe meinen Magen erwischt hätte. Das war ja die reinste Massenpanik hier...
Nun blieben die Elben endlich stehen und Elrond blickte uns undurchdringlich an.
Dann unterhielt er sich mit Gandalf auf elbisch, was ich nur teilweise verstand. Auf jeden Fall begrüßten sie sich auf die feine, aber etwas lahme Elbenart und laberten dann noch ein wenig darüber, was sie so in den letzten Tagen getrieben hatten.
Dann stieg Elrond von seinem Pferd und schenkte dem Zauberer eine schlichte Umarmung, was ihm einen düsteren Blick von Thorin einbrachte. Aber ich mochte Umarmungen im Elrond-Style. Nicht so überschwänglich, dafür umso ehrlicher.
Nun gingen die Zwerge ein paar Schritte auf Elrond zu, Anna, Yara und ich folgten gezwungenermaßen. Der Elb, der der absolute Diplomat war, begrüßte Thorin: „Willkommen, Thorin, Sohn von Train." Dieser reagierte mal wieder misstrauisch, woher er ihn denn kannte, da sie sich noch nie getroffen hatten.
„Ihr habt die Erscheinung Eures Großvaters", erklärte Elrond. Darauf starrte Thorin den Elb wütend an. Das erste mal seit unserer Ankunft konnte ich ihn ehrlich verstehen. Ich hörte ebenfalls ständig, dass ich aussah wie meine Oma und meine Mama. Das war an sich nicht unbedingt blöd, aber es war einfach ätzend, wenn mich jeder auf einer Familienfeier sofort aufgrund der Ähnlichkeit erkannte und ich nicht mal ansatzweise wusste, wer mich da gerade umarmte...
„Können die sich mal beeilen?", zischte Anna, „Ich hab verdammt noch mal Hunger und die labern hier bis zum sechsten Zeitalter! Es ist doch scheiß egal, ob Thorin aussieht wie sein Opa oder wie seine Oma..."
Elrond bedachte sie tatsächlich mit einem kleinen Lächeln (Glückwunsch von mir an dieser Stelle) und begann dann, uns alle auf elbisch anzusprechen. Das konnte nur die Essenseinladung sein! Aber natürlich verstanden die Zwerge in ihrer Elbenphobie mal wieder alles falsch.
„War das etwa eine Beleidigung?", donnerte Gloin, und sofort griffen die anderen wieder nach ihren Waffen und begannen, wütend herumzuschreien. Ich hielt mir mit einem genervten Aufschrei die Ohren zu. Das hielt ja kein Mensch aus...
„Nein, Meister Gloin", antwortete Gandalf, „das war eine Einladung zum Essen."
„Endlich!", hauchte ich und schob mich mit meinen Freundinnen an den Zwergen vorbei, „Vielen Dank, Herr Elrond. Bei uns werden Eure Kochkünste hochgelobt, müsst Ihr wissen!"
Während die Zwerge noch diskutierten, ob sie nun wirklich etwas bei den Elben essen konnten (vielleicht vermuteten sie einen heimtückischen Giftanschlag seitens der Spitzohren), stiegen wir bereits die Treppe hoch. Wie im Film würden sie der Einladung zustimmen, und ich wollte keine Sekunde mehr länger dumm rumstehen, sondern endlich mal wieder etwas essen!
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Im Pyjama durch Mittelerde
De TodoUm ihren bestandenen Schulabschluss zu feiern, zelten die drei Freundinnen Charlie, Anna und Yara in einem Schrebergarten am Rand ihrer Heimatstadt. Am nächsten Tag wachen die Mädchen jedoch nirgendwo anders auf als im Auenland. Ausgehungert und ung...