9. Nachtisch, verstörende Träume und Ärger mit dem Chef

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Gegen Abend erreichten wir einen Felsvorsprung, der etwas geschützt dalag und deshalb ein gutes Quartier für die Nacht darstellte. Ich war wirklich froh, mein Hintern tat schon ziemlich weh. Und logischerweise hatte ich auch echt Hunger, womit ich zum Glück nicht die einzige war.

Bofur kochte eine Suppe. Eigentlich war ich kein großer Fan von Suppen, aber dieses Mal freute ich mich schon auf das Essen. Schade, dass es in Mittelerde keine Döner gab. Oder Pizza.

Aber wobei, Pizza würde ich eigentlich ganz gut hinbekommen. Einfach einen Hefeteig zubereiten (gab es Hefe in Mittelerde? Wenn nicht, würde ich den sicher auch ohne hinbekommen, wir hatten in einer Deutschstunde mal nach einem Rezept für Pizzateig ohne Hefe gesucht), darauf ein bisschen Tomatensoße, die sollte ich auch schaffen und jede Menge Käse – auch etwas, das es sicherlich in dieser Welt gab.

„Woran denkst du gerade?", fragte Yara und ich grinste: „Daran, dass ich in Mittelerde trotzdem noch Pizza backen kann! Wir brauchen ja nur einen Teig. Und Tomaten und Käse gibt es hier ja auch!"

Meine Freundinnen kicherten ebenfalls, und wir wollten gerade beginnen, nach einem Ersatz für Sushi zu suchen (ich konnte mir Hirse mit ein bisschen Gurke in der Mitte, anstelle von Algen von essbarer Baumrinde oder Salatblättern umgeben), als uns Ori zum Essen rief.

Die Suppe schmeckte logischerweise nicht so gut wie Pizza oder Sushi, war aber – dafür, dass sie von Leuten gekocht wurde, die gestern noch mit Gemüse um sich geworfen hatten – ganz gut.

Zum Nachtisch kramte ich eine Tafel Milka Noisette aus meinem Rucksack.

„Das ist Schokolade. Eine Spezialität aus Deutschland."

Die Zwerge blickten etwas skeptisch drein, aber Gandalf nahm sich gleich ein Stückchen und biss ab. 

„Herrlich", seufzte er, „das müsst ihr probieren, Männer!"

Als nächstes trauten sich Kili und Fili, denen es selbstverständlich fantastisch schmeckte.

„Das ist der Wahnsinn", rief Fili und schloss verträumt die Augen, „es schmilzt förmlich auf der Zunge!"

Nur noch Bombur, Bofur, Dori und Bifur trauten sich, ein Stück Schoki zu essen, die anderen ließen sich nicht überzeugen. Auch egal, dann blieb mehr für uns.

Nach dem Essen quetschten wir drei uns in unsere Schlafsäcke und kuschelten uns etwas abseits der Zwerge ein. Ich war so müde wie noch nie in meinem Leben und war überzeugt davon, jede Sekunde einzuschlafen und 100 Jahre durchzupennen.

„Gute Nacht Leute", murmelte ich und schloss die Augen.

Weil sie noch lange nicht an der Reihe waren, setzen sich Conni Klawitter und Jeanette in den Kiosk. Die Mädchen mochten sich nicht, doch nach dem zweiten Bier verstanden sie sich richtig gut und nach dem vierten waren sie sogar gute Freundinnen.

Dann wachte ich auf. Ich hatte gerade nicht ernsthaft von Conni, ja, der Kinderbuch-Conni, geträumt, die mit ihrer Feindin am Kiosk vier Bier trank? Was war bloß los mit meinem Hirn? So viel dazu, dass viel frische Luft dem Hirn guttat.

Anna und Yara schliefen logischerweise tief und fest und Gloin saugte bei jedem Schnarcher Motten ein und aus. Na lecker.

Der verstörende Conni-Traum hatte mein Schlafbedürfnis fürs erste erfüllt und ich setzte mich auf. Am Lagerfeuer saßen Kili und Fili, Bilbo fütterte gerade sein Pony. Warum nicht ein bisschen mit Fili und Kili chillen? Ich stand also auf und hockte mich zu den beiden.

„Hallo", grüßte ich sie, „ich setze mich mal ein bisschen zu euch, wenn es okay ist."

„Klar", grinste mich Fili an, „und danke noch mal für die Schokolade. Das hat mein Leben enorm bereichert."

Ich wollte ihm gerade eröffnen, dass ich noch ein paar andere Sorten im Gepäck hatte, als auf einmal ein angsteinflößendes Heulen in der Ferne erklang. Weil ich ziemlich schreckhaft war, zuckte ich prompt zusammen. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und ich rückte unwillkürlich ein Stück näher an Kili, was dessen Bruder mit einem Heben seiner Augenbraue quittierte. Na toll...

„Was war das?", flüsterte Bilbo besorgt.

„Orks", lautete Kilis nüchterne Antwort.

„Orks?", fragte der Hobbit besorgt.

„Halsschlitzer. Dutzende sind da draußen. In den Leeren Landen wimmelt es von ihnen.", erklärte Fili und sein Bruder fuhr fort: „Sie schlagen kurz vor Morgengrauen zu, wenn alles schläft. Schnell und leise. Niemand schreit. Nur sehr viel Blut."

Bilbo sah sich erschrocken um, worauf Kili und Fili zu lachen begonnen.

„Ihr seid so scheiße", rief ich, „ich bin voll erschrocken! Über so etwas macht man doch keine Witze!" (Natürlich war ich das nicht, ich kannte den Film und damit ihren mehr oder weniger lustigen Scherz. Ich wusste logischerweise auch, dass Thorin gar nicht amüsiert darüber war. Und ich wollte eben vermeiden, dass er dachte, ich würde den makaberen Humor seiner Neffen teilen...)

Dieser knurrte just in dem Moment: „Haltet ihr das für lustig? Haltet ihr einen Orkangriff bei Nacht für einen Scherz?"

Seine Neffen zuckten zusammen und senkten geknickt den Blick.

„Wir haben uns nichts dabei gedacht", murmelte Kili ein wenig kleinlaut, sein Bruder nickte zustimmend.

„Nein, habt ihr nicht. Ihr wisst nichts von der Welt.", stieß der Zwergenkönig hervor, stand auf und ging ein Stück von uns weg. Der ärmste war sicher traumatisiert von der ganzen Scheiße, die er im Leben gesehen hatte und deshalb immer so... speziell drauf. Eigentlich tat er mir echt leid.

„Nimm's ihm nicht übel, mein Junge", meinte Balin aufmunternd, „Thorin hat mehr Grund als die meisten, Orks zu hassen. Nachdem der Drache den Einsamen Berg an sich gerissen hatte, forderte König Thrór das uralte Zwergenreich Moria zurück, doch unser Feind war bereits dort."

Dann begann Balin zu erzählen. Von dem, was damals passiert war. Ich überlegte kurz, ob ich Anna und Yara für diesen epischen Moment wecken sollte, entschied mich aber dagegen. Die beiden hassen es wie die Pest, nachts geweckt zu werden, außerdem wollte ich nichts von Balins Erzählung verpassen. Wie immer hatte ich Gänsehaut, und die verstärkte sich noch einmal, als er am Ende mit Stolz in der Stimme verkündete: „Damals sagte ich mir, diesem Einen will ich folgen. Diesen Einen kann ich König nennen."

In diesem Moment drehte sich Thorin um, wir blickten ihn alle ehrfurchtsvoll an. Ja, man traf nicht jeden Tag einen echten Helden.

„Und der bleiche Ork? Was ist aus ihm geworden?", durchbrach Bilbo irgendwann die Stille.

„Er kroch in das Loch zurück, aus dem er gekommen war. Dieser Abschaum ist vor Langem an seinen Wunden verreckt", meinte Thorin mit düsterer Stimme und ging an uns vorbei.

Ich bemerkte den skeptischen Blick, den Gandalf und Bilbo tauschten. Und leider wusste ich, dass ihre Skepsis nicht unbegründet war. 


Im Pyjama durch MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt