Fünfundzwanzigstes Kapitel

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Freedom is the oxygen of the soul

-Moshe Dayan

Alessio

Ich keuchte erschrocken auf. Der kalte Schweiß rann mir wie in Bächen von der heißen Stirn und ich hatte meine Augen weit aufgerissen obwohl es stockdunkel war. Ein Blick auf die leuchtende Anzeige der Uhr verriet mir, dass es noch mitten in der Nacht war, doch mein Herz schlug wild, als hätte ich gerade einen Dauerlauf hinter mir gehabt. Immernoch zitterte mein ganzer Körper und es war niemand da, der mir helfen konnte. Für einen Moment fühlte ich mich so verdammt alleine.

Verschwommene Gedankenfetzten huschten mir durch den Kopf, von Skyler, der die Arme um mich geschlungen hatte, fest, zu fest und ich wollte mich losreißen, doch ich konnte nicht und von Roy, der uns zusah, grinsend und immer näher kam, seine lange Hand nach mir ausstreckte und dann hörte plötzlich alles auf. Die Bilder verschwanden vor meinem inneren Auge und ich blickte erneut in die pure Dunkelheit, die mich umgab. Ich hatte einen Albtraum gehabt.

Neben mir spürte ich warm meinen Jungen an meiner Schulter liegend und lauschte für einen Moment seinen ruhigen Atemzügen. Mein Herzschlag beruhigte sich langsam wieder und vorsichtig tastete ich nach Skylers Hand um sie zu halten. Und für einen kurzen Augenblick dachte ich, hatte ich die Kontrolle wieder gewonnen, über die Situation hier und über mich. Dachte, dass es nur ein Traum gewesen war, der nicht viel aussagte, dachte, dass ich mich geirrt haben musste und Skyler immernoch mein Junge war, den ich halten konnte, solange ich wollte, für immer. Doch als seine schmale Hand meine umfasste, sie festhielt und mich nicht wieder losließ überkam es mich plötzlich wieder. Dieses Gefühl. Und es war noch schlimmer als in dem Traum. Panisch riss ich meine Hand weg und stieg aus dem Bett. Ich fühlte mich so gefangen, so eingeengt und für den Moment hielt ich es nicht mehr aus.

Schnell hob ich meine Kleider vom Boden auf, sofern ich sie richtig ertasten konnte, versicherte mich, dass Skyler noch schlief und eilte dann die Treppe nach unten zur Türe. So gut ich es bei der Dunkelheit konnte, zog ich mir die Shorts und den Hoodie an, nahm meine Schlüssel und hetzte hinaus. Sobald mich die kalte Nachtluft umgab entspannte ich mich wieder ein bisschen, atmete tief durch und lief dann mit langsamen, gezielten Schritten zu meinem Auto.

Ich fuhr direkt los, mein Ziel vor Augen, denn ich wollte zu dem einzigen Platz, der mir jetzt als richtig erschien. Irgendwann, ich wusste nicht einmal genau wann ich es bemerkte, vernahm ich die Klänge eines altbekannten Liedes. Ich hatte vergessen Skylers CD herauszunehmen und es erklangen gerade die letzten, bebenden Töne seines Lieblingsliedes. Ich fühlte mich schlecht, als ich auf Stopp drückte, wohlwissend, bei diesem Lied wohl nie mehr auf Play zu drücken.

Und dann war es wieder still um mich herum, doch hier draußen, auf der kleinen Straße, umgeben von nichts als Natur, keinen Häusern, Menschen oder Lichtern außer dem Mond und den Sternen, hier fühlte sich diese Stille gut an. Und je weiter ich mich entfernte, von meinem Haus, dem Jungen, desto freier fühlte ich mich, auch wenn es so nicht sein sollte.

Und ich wurde mir immer sicherer, dass es obwohl es für viele so falsch klingen mochte, das Richtige für mich war, mich zu entfernen.

Ich war noch nie ein Mensch, der sich gut binden konnte. Ich brauchte den Wandel, die Freiheit und die Ungewissheit des Augenblickes. Ich wollte die Macht, jede Sekunde meines verdammten Lebens selber bestimmen zu können und er hatte sie mir geraubt.

Ich war angekommen. Schnell stieg ich aus dem Wagen aus und begann die paar Schritte bis zu meinem Platz zu laufen. Der Wind war lau und erfrischend, fuhr mir durch die dunklen Locken und klärte meine Gedanken.

Seufzend ließ ich mich in das kühle Gras fallen, legte mich flach auf den Rücken und blickte in die unendlichen Weiten des Himmels. Noch Gestern war ich hier mit ihm gewesen, mit meinem Jungen und hatte ihm erzählt, wie sehr ich ihn brauchte, ihn liebte und schon heute sah ich alles anders. Ich liebte ihn, mehr als ich jemals einen Mann geliebt hatte, mein ganzer Körper sehnte sich mit jeder verdammten Faser nach ihm und ich wusste, dass er mich auch wollte, selten so gefühlt haben musste, doch genau das war es, dass mir Angst bereitete.

Das alles hatte ich nie gewollt und mit meinen Sessions, meinen Subs hatte ich alle Grenzen und Fäden in meiner sicheren Hand gehabt, doch Skyler hatte das alles durcheinander gebracht.

Ich wollte mich an ihm festhalten, ihn nie wieder loslassen und ich wollte ihm gehören. Und das durfte ich nicht, das war falsch.

Diese neue Verletzlichkeit, die ich plötzlich mit ihm, wegen ihm in mir spürte, das war nicht ich, nicht das Ich, dass ich sein wollte.

Und deswegen musste ich dem ganzen ein Ende setzten.

Langsam, fast wie in Trance griff ich nach meinem Handy, Skylers Kontakt wurde mir sofort angezeigt und ich begann ihm eine Nachricht aufzunehmen. Und je länger ich sprach, desto bewusster wurde mir, was ich hier tat, dass ich ihn damit brechen würde, sein Herz und trotzdem machte ich weiter. Ich musste diese Kapitel aus meinem Leben löschen und dort weitermachen, wo ich vor Skyler aufgehört hatte. In Freiheit.

Gesendet. Sofort erschienen zwei graue Haken, bald würden sie blau sein. Ich legte mein Handy beiseite und blickte erneut in den Himmel. Es war heller geworden mittlerweile und hatte begonnen zu dämmern. Erste Sonnenstrahlen fanden ihren Weg auf meine Haut und als ich mir vorsichtig Über die Augen wischte, bemerkte ich, dass ich angefangen hatte zu weinen.

Und ich wusste nicht ob es vor Freude auf die Zukunft oder vor Trauer wegen der vergangenen Zeit war

"Gingerboy, ich liebe dich."

-Ende-

Ginger boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt