Kapitel 63

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Hyena

Alles war bereits eingepackt. Gestern beschloss ich, nach reichlicher Überlegung, das Baumhaus zu verlassen, um mich ebenfalls meiner Zukunft zu stellen.

Es war keine einfache Entscheidung, da dies schließlich mein Zuhause war, das, in dem ich mich wohlfühlte, geborgen und behütet. Und dennoch zog es mich fort, hielt mich nichts mehr an diesem heimeligen Ort. Ich würde dem, was in diesem Buch geschrieben stand nachgehen und der Geschichte auf den Zahn fühlen. Es hatte mich einige Tage gekostet die anscheinend sehr alten Aufzeichnungen vollends durchzulesen. Was darin stand, stellte sich wahrhaftig als haarsträubend heraus. Einige Erlebnisse, von denen niemand gerne hört. Die man lieber so schnell wie nur möglich vergisst.

Angefangen hatte immer alles ganz harmlos und wohl keiner hätte damit gerechnet, dass es zu Katastrophen solchen Ausmaßes führen könnte. Das Schicksal der Menschen fesselte und bedrückte mich gleichzeitig.

Dies bildete den Grundstein für meine Entschlossenheit, meine Habseligkeiten zusammenzuraffen und fortzugehen. Ich wusste nicht was aus dem Gebäude, dem Baumhaus werden sollte, ohne mein Zutun, doch Nicola meinte, ich solle mir darüber keine Gedanken machen. Sie begründete es damit, dass Horace, der eigentlich die Aufsicht über dieses Haus hatte, ja auch gegangen war und ich ohne weitere Bedenken in die große weite Welt reisen könne. Einige ihrer Freundinnen, die ebenfalls hier in Mukoku lebten, würden ihr sicher helfen, was mich dann auch überzeugte, mit gutem Gewissen aufzubrechen.

Im Laufe meiner Reise würde ich Lernen und müsste Horace, wenn ich dann zurückkam nicht mehr als naives, pathetisches Mädchen gegenübertreten. Außerdem war es für mich nicht einfach zu Hause zu sitzen und meinen Alltag alleine zu leben, wenn sie alle fort waren. Nichts war mehr so wie vorher, seit dem Tag an dem sie plötzlich alle verschwunden waren. Nur noch der einzige Bewohner, also ich, erinnerte an ein gemütliches Beisammenleben, einer kunterbunt zusammengewürfelten Familie.

Dieses bedrückende Gefühl in meiner Brust wurde immer stärker. Noch nie verspürte ich mehr diesen Drang, aus mir selbst auszubrechen und das Vergangene hinter mir zu lassen. Es musste sich etwas ändern, es gab keine andere Möglichkeit.

Nun stand ich, mit meinem Rucksack auf dem Rücken und einer Tasche in der Hand vor der Eingangstür, bereit die heile Welt in diesen vier Wänden aufzugeben und vorwärtszublicken. Es war später Nachmittag, die Sonne schon am tiefsten Punkt, als ich meine Reise begann.

Die Richtung, welche ich anstrebte, war entgegengesetzt zu Effektor, zu der alten Konzerthalle. Ich hoffte dort etwas zu finden, was mir Dinge über die Vergangenheit verraten würde. Dort, an dem Ort, an welchen mich Horace bei unseren gemeinsamen Ausflügen führte und unsere romantische Zeit begann.

Am Rande der Stadt blickte ich noch einmal zurück und gab mir still das Versprechen, wiederzukommen. Ich würde sie alle wiedersehen, egal wann und in welcher Phase ihres Lebens, wir würden wieder aufeinander treffen, da war ich mir sicher. Mit einem Seufzen wandte ich den bekannten Gefilden den Rücken zu und wagte den ersten Schritt ins 'Ungewisse'.

Mein Ziel die Konzerthalle, schien mir auch geeignet für die kommende Nacht, um ein Dach über dem Kopf zu haben und vor der Kälte geschützt zu sein. Doch die Wegstrecke bis dorthin hatte ich etwas unterschätzt, so traf ich erst nach Mitternacht ein. Trotz passender Kleidung war mir schrecklich kalt geworden und meine zitternden Finger kramten in dem großen Rucksack nach einer Taschenlampe. Das riesige, verlassene Gebäude befand sich direkt vor mir, doch getraute ich mich, ohne ein wenig Licht nicht weiter.

Die Halle wirkte nachts noch verwaister als am Tag, darum kostete es mich einiges an Überwindung weiterzugehen. Mit dem Lichtkegel der Lampe erleuchtete ich den Eingang und ging langsam darauf zu. Meine Knie fühlten sich sehr weich an und obwohl ich gar nicht wusste weshalb, kroch mir eine Gänsehaut über den Rücken. Trotz der Angst in mir, näherte ich mich dem Gebäude immer mehr. Mein Atem ging flach und die Dunstwölckchen verkleinerten sich dadurch. Als ich die Glastür erreichte, stieß ich sie mit meinen Fingern vorsichtig auf.

I'm the UnderdogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt