Hyena
Zehn Minuten später hatten Satoru und ich uns, zusammen mit einem Block, Stiften und ein paar Pölstern, auf die Couch zurückgezogen. In den letzten Tagen schaffte ich es sie ein wenig zu flicken, so dass sie nicht mehr ganz so zerschlissen und alt aussah, wie zuvor. Natürlich stand das Sofa jetzt nicht mehr auf der Bühne.
Wir schrieben einfach ein paar Notizen nieder, grübelten über Lyrics und Melodien. Während dieser Tätigkeit beschloss ich, unbedingt eines dieser Lieder selbst schreiben zu wollen. Ob um mich einzubringen, oder mich zu beweisen, ich weiß es nicht, doch war ich wirklich wild entschlossen dazu. Dafür gab es ein paar Punkte, welche ich beachten musste.
Zuerst war es wichtig auszuwählen in welchen Szenen wir überhaupt Dialog/ Monolog durch Gesang ersetzen konnten und dann musste dieser Text noch in Songlyrics gewandelt werden. Das ging natürlich nicht bei jeder Stelle, wir mussten uns ein paar heraussuchen. Dafür brauchten wir selbstverständlich das Skript, welches Satoru holte.
Er hatte es auf einer Schreibmaschine eingetippt, da es in unserer Welt keine wirklich funktionierenden Computer gab. Weil aber bei Schreibmaschinen, Fehler, nicht ausgebessert werden können, waren auf dem ganzen ersten Blatt immer wieder Kugelschreiber oder Bleistiftgekrizel unter den gedruckten Buchstaben.
Man konnte nur erahnen, wie viel Arbeit und Zeit ihn, dieses, über 34 Seiten lange, Schriftstück tatsächlich gekostet haben musste und mir lief im Gedanken daran, für jeden Schauspieler eine identische Kopie anzufertigen, ein kalter Schauer über den Rücken.
Zwischenzeitlich wanderten meine Gedanken aber auch wieder zurück zu Hero, Heishiro, oder wie er sich neuerdings nannte, Shiro und ich fragte mich wie er reagiert hatte, als Satoru ihm auftischte, er solle mit mir zusammen in einem Stück spielen, wo doch der Weißhaarige anscheinend nichts mit mir zu tun haben wollte. Der Schauspieler meinte, Heros Reaktion war nicht viel anders ausgefallen als meine...
Immer wieder musste ich mich daran hindern meine Gedanken zu Horace abschweifen zu lassen. Es schmerzte noch zu sehr in meiner Brust, dass er einfach gegangen war, ohne sich zu verabschieden. Ehrlich gesagt wollte ich mir auch gar nicht vorstellen, was ich tun würde, sollte er plötzlich wieder auftauchen...
Satoru schrieb mir unterdessen ein paar Dinge zusammen. Ich blickte ihm über die Schulter, um mich abzulenken. Er hatte anscheinend eine Szene gefunden, welche gut als Lied geeignet wäre. Er tippte darauf, so hinweisend, dass ich sie mir ansehen sollte.
Also begann ich zu lesen, was er notierte. 'Innerer Dialog, eher Monolog von zwei Personen zugleich, Hauptpersonen. Aus Akt 3, Szene B, Abschnitt IX.'
Behutsam nahm ich das bereits aufgeschlagene Skript zu Händen. Als Überschrift der Szene B stand: 'Verzweiflung, Einsamkeit, Selbstverurteilung. 'Es handelte sich wirklich um 2 Monologe, der des männlichen Hauptcharakters füllte einen größeren Part der Seiten, da 'sie' bisher eigentlich nur im Hintergrund vorgekommen war. Das Geschriebene erinnerte mich ein wenig an meine eigene Situation und zeitgleich jagte es mir, diese in geschriebener Form zu lesen, die Röte ins Gesicht. War ich auf dem Marktplatz tatsächlich so theatralisch geworden, so dramatisch wie diese beiden? Zu meiner Verteidigung wusste ich noch gar nicht genau was normal war und was eher nicht.
Doch eben da ich sozusagen bereits irgendwie 'Erfahrung' gesammelt hatte, traute ich mir vielleicht zu, dieses Duett zu übernehmen und den Text zu schreiben.
Er: Wieso bin ich so? Ich kann mich nicht überwinden für andere glücklich zu sein. Stattdessen, frage ich mich, jedes mal, wenn ich ihre strahlenden Gesichter sehe: Warum nicht ich?
Sie: Wenn ich doch nur an deiner Seite stehen könnte, wir zu zweit, dann kann ich mit Mut vorangehen. Alleine, bin ich so schwach, hilflos, erbärmlich.
Genau diese zwei Textpassagen hatte Satoru mit einer Farbe hervorgehoben. Das war der Inhalt des Songs, den ich schreiben sollte, um ihn dann wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich, gemeinsam mit Hero, auf der Bühne zu singen.
Ich wusste wirklich nicht was ich davon halten und auch nicht, wie ich ihm gegenübertreten sollte. Erneut riss mich Satoru aus meinen Gedanken, wofür ich ihm doch ganz schön dankbar war.
„Hey, Hyena, wann sollen wir deiner Meinung nach das Casting machen?" Es war typisch von ihm, 'mir' diese Frage zu stellen. Mir, die ich von seinen und den Plänen dieser Unterwelt so viel Ahnung hatte, wie Hero vom Stricken. Hierbei, fiel mir noch rechtzeitig ein, dass ich es nicht wissen konnte, ob er Stricken gelernt hatte...
Bullshit, ich brauchte keinen Vergleich, ich hatte einfach nicht die leiseste Idee. „Keine Ahnung, brauchst du die Schauspieler schon bald?", fragte ich deswegen nur, es kam mir wie das 'Richtige', zu sagen vor.
„Je früher um so besser. Wenn wir die Darsteller haben, können wir das Bühnenbild zu ihrem Geschmack erstellen und die Kostüme auf sie und die Kulisse anpassen. Am besten wäre es wohl tatsächlich das Casting bereits morgen abzuhalten, aber soll man mal Schauspieler finden, außer mir selbst natürlich, die es schaffen, den Text innerhalb weniger Stunden zu lernen. Und die Ankündigung zieht Jess auch erst morgen früh durch...", auch dies war typisch für meinen 'Theater-Meister'.
Er beantwortete seine eigenen Fragen, und zwar zehnmal detaillierter, als ich es je hätte tun können. „Lass uns trotzdem versuchen es so früh wie nur möglich anzusetzen. Ist ja auch durchaus gut, Leute zu haben, die schnell und flexibel sind. Sagen wir in ein oder zwei Wochen ? Klingt plausibel."
Ab und zu war mir doch unklar, ob er überhaupt mit mir sprach, oder einfach mit sich selbst. Als ich ihm dann jedoch keine Antwort gab, drehte er sich zu mir um. „Oder? Hyena, was meinst du?" Daraufhin erschrak ich ein wenig, nickte und murmelte:
„Ja, ja, je früher, desto besser, richtig?" Damit schien er zufrieden. Dann zwinkerte er mir zu und verschwand mit: „Lern schön fleißig und schau dir den Teil für den Song genau an. Ich hab noch was zu erledigen.", aus der Tür. Dafür, dass er bisher, sehr viel, sehr oft zuhause gesessen war, ohne großartig etwas zu tun, schien Satoru nun doch ganz schön eingedeckt...
Aber das brauchte mich nicht weiter zu beschäftigen, ich hatte das Sofa und genügend Lernstoff für Tage...
Nun, die nächsten Stunden beschäftigte ich wirklich damit, den Text zu analysieren. Den kleine Teil für die Rolle des Mädchens, den Satoru, fürs Vorsprechen, grün unterlegt hatte. Weshalb nur musste mir das Schicksal so übel mitspielen? Nicht nur dass Hero mich ignorierte, nun musste ich mich wohl auch noch damit auseinandersetzen, warum er dies getan hatte, ... weshalb? Es frustrierte mich dermaßen, dass ich seufzte und beschloss alles so gut wie möglich auszublenden.
Und auf welchem Weg ging dies am besten? Natürlich mit Musik.
Strom war in der Halle nicht übermäßig vorhanden, da Satoru sich lediglich mit ein paar zusammengefundenen Solarplatten zu helfen wusste. Doch das was wir dadurch erzeugten, reichte für Licht und Sound. Der einzige Ort, wo Lautsprecher und CD-Player angeschlossen sein konnten, war die Bühne. Weshalb ich mich dorthin, mitten hinein setzte, zum Text lernen, nachdem ich ein Album von 'Pumfool' eingelegt hatte.Die Musik stürmte sofort meine Sinne. Es fühlte sich an, wie das Abtauchen in eine andere Welt. Die sanften Klänge machten mich ruhiger, lenkten von all den Gedanken ab, die mich zuvor noch durchmaterten. So konnte ich mich tatsächlich auf das Geschriebene konzentrieren und vollkommen darin versinken.
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I'm the Underdog
Teen FictionIn einer nicht allzu weit entfernten Zukunft beschließen die Obrigen der Gesellschaft, wegen eines mysteriösen Ereignisses in der Vergangenheit, dass die einzige Lösung, darin bestehe, der gesamten Menschheit Masken aufzusetzen, die jedem einzelnen:...