Tako
Es waren einige Stunden vergangen, seit ihrem Gespräch mit der Wirtin. Sie alle waren schlafen gegangen, versuchten es zumindest, denn Tako lag noch um Mitternacht wach in seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke.
Ab und zu tanzten Lichter an den Holzbalken und erhellten kurz den dunklen Raum, malten unheimliche Bilder und Muster auf die alten Wände, die der Sänger aufmerksam verfolgte. Neben ihm schlief Tomaru und schnarchte, was ebenso ein Grund für die Schlaflosigkeit war.
Das Gesagte der Wirtin aber, hatte alle von ihnen vor den Kopf gestoßen. Ein Satz, ein paar Worte, die alles was sie bisher geglaubt oder vermutet hatten, in ein anderes Licht rückte. Tako traf es von allen am meisten, denn während sie mit der Frau sprachen, regte sich etwas in ihm und Bilder drängten sich an die Oberfläche. Erinnerungen, die jedoch so schockierend waren, dass er den anderen nichts von ihnen erzählen wollte.
Dies hielt er auch nicht für notwendig, es war nicht wichtig, oder? Schlussendlich hatten sie beschlossen neu anzufangen, alles was sie herausfanden war Geschichte, betraf sie nicht mehr und auch wenn der Grünhaarige wusste, dass seine Erkenntnis zu den brisanteren Ereignissen in ihrer gemeinsamen Vergangenheit gehörte, wollte er ihnen nicht davon erzählen.
Doch es war unmöglich sich mit dieser Entscheidung von den Schuldgefühlen zu erlösen. Er spürte diese verstärkt in seiner Magengegend und sie hinderten ihn am Einschlafen, was er jedoch, nach ihrer Reise dringend nötig gehabt hätte. Das Einzige, dass ihm diese Last von den Schultern nehmen würde, war es, reinen Tisch mit den anderen zu machen, doch...
Wie sollte er Taro und den anderen dann noch in die Augen blicken können? Das war sein erster Gedanke, nachdem er aus dem Flashback erwachte und auch jetzt noch zermarteten diese Worte seinen Kopf. Ihm blieb nichts anderes übrig, er musste schweigen. Selbst wenn es ihn in Stücke riss und er in einem Berg von Schuldgefühlen untergehen würde.
Der Grünhaarige drückte seinen Kopf in den Polster und bemühte sich nicht aus Verzweiflung zu schreien, oder zu laut zu Schluchzen. Irgendwann hielt er es dann jedoch nicht mehr aus und kletterte vorsichtig aus dem Doppelbett, welches er sich mit Tomaru teilte.
Auf Zehenspitzen schlich er zur Balkontür und öffnete sie. Es handelte sich um einen lange Balkon den man sich mit den anderen Gästen teilte.
Kühle Nachtluft wehte Tako entgegen und nachdem er hinausgeschlüpft war, drückte er die Türe wieder leise zu. Er stand barfuß auf den Holzdielen des rustikalen Balkons und wackelte mit seinen Zehen um sie aufzuwärmen. Frustriert legte er seinen Kopf auf das breite Geländer und schnaubte entnervt.„Verdammt, verdammt … kann es nicht endlich mal ein Ende geben. Warum jetzt, gerade jetzt … wo ich und Taro uns wieder vertr… ahhhh!“ Seine Hände bedeckten sein Gesicht, um weitere Ausrufe der Verzweiflung zu ersticken. Die Gefühle für den Gitarristen waren so frisch, so neu, plötzlich drängte sich etwas anderes dazwischen, zwischen diese Freundschaft, von welcher Tako glaubte sie wäre nur das, eine kameradschaftliche Freundschaft.
Er wollte es nicht wahrhaben, doch nun würde er viel lieber in den kräftigen Armen seines Bandkollegen liegen, beschützt und behütet … und geliebt, verdammt, geliebt... Und das war nicht möglich... Nicht wenn er Taro die Wahrheit nicht erzählte, doch dann musste er ihm alles gestehen...
Er wusste nicht, wie lange er über das ganze schon grübelte, doch als vereinzelte Regentropfen seine Haare und Arme trafen, richtete er sich auf und seufzte aus tiefem Herzen. Er aber dachte nicht daran hineinzugehen, oder sich näher an die Hauswand zu stellen. Es war ihm egal nass zu werden, die Kälte auf seiner Haut zu spüren und die Gänsehaut, die sich über seinen ganzen Körper zog, würde er gekonnt ignorieren.
Bald schon klebten ihm seine grünen Haare an der Stirn und den Ohren, kleine Wassertropfen sammelten sich an den Enden und fielen auf seine Schultern und die langen Wimpern. Jetzt konnte er weinen, hemmungslos und die Tränen im Regen verstecken, keiner würde es merken. Nun würde er seinen Gefühlen freien Lauf lassen, ohne sich jemandem erklären zu müssen.
Keinem nur der Frau, die sich leise neben ihn stellte. Tako blickte auf, blinzelte durch den Schleier und traf den Blick der freundlichen Wirtin. „Takori? Du wirst dich erkälten. Schade um die Stimme.“, war das einzige was sie sagte, keine Fragen, keine Erklärungen... Sie spannte einfach einen Schirm auf und hielt ihn über sie beide. Dann erst begann sie sich zu erkundigen, sanft und nicht fordernd.
„Was machst du im Freien? Konntest du nicht schlafen?“ Tako nickte nur auf ihre Frage hin, setzte jedoch nicht dazu an, sich zu erklären. Sie verstand ihn wohl auch ohne Worte und legte den freien Arm, in dessen Hand sie nicht den Regenschirm hielt, auf seine Schulter.
„Muss es schwer sein, … ich glaube dir. Zwar weiß ich nicht genau, was es ist, bei dir, aber schon ähnliches ist passiert mit meinem ältesten Sohn. Er, eines Tages konnte er nicht mehr einschlafen. Er war müde und erschöpft, doch kein Schlaf war zu finden, keiner, wusste warum. Es hatte zu tun mit seinen Gedanken, Erinnerungen, sagte er … Und eines Tages, dann … ist er gegangen und hat nur einen Zettel zurückgelassen. Darauf stand, er wollte jemanden suchen. Seither, ich habe ihn nicht mehr gesehen.“
Tako sah ihr in die Augen und sie tat ihm leid. Ihr Blick wirkte traurig und einsam. Ihr Sohn hatte sie verlassen, in einem Zustand, in dem es ihm nicht gut ging und sie wusste nicht, ob er damit zurechtgekommen war, wie es ihm ging, wo er sich nun befand.
Trotzdem versuchte sie nette Worte für Tako zu finden, diesen Dummkopf, der ohne passende Kleidung, oder Schirm im strömenden Regen stand. Plötzlich war dieses egoistische Selbsthassgefühl, dieses Schuldbewusstsein ein wenig gelindert. Es machte doch keinen Sinn, dass er sich hier quasi selbst fertig machte. Er sollte nun eher sein ganzes Feingefühl darauf richten, diese Frau zu trösten.
Doch machte es nicht den Anschein, als wolle sie getröstet werden. Sie lächelte ihn an und senkte den Schirm noch weiter zu ihren Köpfen. „Nun Tako, es ist bei dir nicht so schlimm, dass du gehen musst, oder? Du darfst sie nicht verlassen. Hoffentlich nicht! Ich glaube nämlich, dass sie ganz traurig wären. Wirklich traurig...“ Er nickte unsicher, doch in seinen Gedanken blieb ihm eigentlich kaum etwas anderes übrig und auch wenn er blieb. Wie sollte er mit diesen Erinnerungen, dieser Einstellung neben ihnen leben? Und selbst wenn diese Ereignisse schon lange her sein sollten … hatte er sich verändert, oder war er immer noch derselbe Takori wie zuvor?
Handelte es sich bei ihm immer noch um den Mann der wegen schmeichelnden Worten und Süßholzgeraspel seine Kameraden in den Hintergrund schob und sich selbst in den Mittelpunkt, als Anführer einer emotionsgeladenen Gruppe Jugendlicher stellte, die mit ihren weltverbessernden Aufforderungen diese, damalige, Welt in einen erneuten, viel schlimmeren Krieg führte, als ihn sich je jemand vorstellen konnte?
Würde er wieder einen solchen Fehler begehen, hatte er sich wirklich verändert? Nein, es war unmöglich es ihnen zu sagen, er schämte sich ja selbst noch Jahre danach dafür, keine Chance, dass sie ihm jemals verzeihen würden...
DU LIEST GERADE
I'm the Underdog
Teen FictionIn einer nicht allzu weit entfernten Zukunft beschließen die Obrigen der Gesellschaft, wegen eines mysteriösen Ereignisses in der Vergangenheit, dass die einzige Lösung, darin bestehe, der gesamten Menschheit Masken aufzusetzen, die jedem einzelnen:...