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Niemand betrat den Bereich des Weißen Königs. Martins Selbstempfang hatte eine Grenze überschritten, von der er genau wusste, dass sie unter normalen Umständen existierte. Die Tatsache, dass ich nicht Gabriel war, schien ihm einen Freifahrtschein verpasst zu haben. Und diesen mit Mut zu verwechseln.

„Professor Martins", durchbrach ich endlich die zum zerschneiden dicke Luft, und drehte mich langsam zu ihm um. Ich wollte, brauchte seine vollste Aufmerksamkeit, um die folgenden Worte so echt wie möglich klingen zu lassen. „Mein Name tut nichts zur Sache, aber das hier schon." Ich hob meine Hand, zeigte ihm den weißen Ring, dessen vertraute, elektronische Anwesenheit sich erneut in meinem Körper bemerkbar gemacht hatte, kaum, dass ich das Abteil betreten habe. „Der Name Denaux muss ihnen nichts bedeuten. Es steht ihnen frei zu ignorieren, was meine Familie über die Jahre hinweg aufgebaut hat. Sie können ignorieren, dass ich ein neues Mitglied dieser Familie bin und mich weiterhin als Ms Ryan betrachten, selbst wenn sie mich laut anders nennen. Sie können ignorieren, dass, wenn sie diesen Raum verlassen, auch ohne diesen Ring, es einem gewissen Mitglied meines Hofstaats keine dreißig Minuten kosten wird, ihnen einen Besuch abzustatten, um ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, wo sie erwünscht sind und wo nicht."

„Der Ring erleichtert mir lediglich alles."
Hier legte ich eine kleine Pause ein, schob meine Hände in meine Hosentaschen und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Fenster. Nutzte die sanfte Kühlung dazu, mich zu Ankern.
Ich sah es nicht, immerhin konnte ich mich nicht von außen betrachten. Doch ich spürte, wie mein Blut kalt wurde und jegliche Emotionen aus meinem Gesicht verschwanden, und mein Blick hart wie Granit wurde. Es war ein ungewohntes, aber kein neues Gefühl. Und es bedurfte keiner Analyse von mir, um zu wissen, dass meine folgenden Worte besser unberührt von anderen Emotionen blieben.

„Das was sie gerade getan haben, war mehr, als nur einen Schlüssel zu bringen." Ich sah zwar keinen Schlüssel, aber ich war zu der Schlussfolgerung gekommen, dass er anders diesen Ort nicht hätte betreten können. Und dass das wahrscheinlich seine zurechtgelegte Tarnung war, die er mir später hätte vortragen wollen. „Und dass wissen sie. Falls sie das nicht tun, dann gehen sie raus und fragen jeden, der ihnen begegnet, was es für Konsequenzen nach sich zieht, eine Denaux auf eine derartige Art und Weise zu beleidigen."

Ich sprach das letzte Wort in keinem anderen Ton aus, wie alles andere auch. Dennoch entzog es jegliche Farbe aus Martins Gesicht. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, gleich zwei Predigten an einem Tag zu halten. „Was soll es sein, Professor Martins?", fragte ich, als dieser es vorzog den Mund zu halten. Sein mahlender Kiefer und starrer Blick waren seine einzige Reaktion. Es war nicht viel, doch ich ließ es dabei und ließ ihm die Zeit. Jemandem zu Drohen war Neuland für mich und die Spielregeln teils gewöhnungsbedürftig, teils noch gänzlich unbekannt. Mein dunkler Sarkasmus rekelte sich wie eine dunkle Schlange und reckte züngelnd ihren Kopf. Ich pfiff ihn zurück wie einen Hund, der einem ausgerissen war.

"Drei Antworten, Madame Denaux."
Drei Antworten? Auf was mein Lieber.
Meine Frage musste mir im Gesicht gestanden haben, denn er fügte hinzu: „Auf jede Frage, Angelegenheit die sie interessiert. Ich war mit Gabriels Geschäften sehr vertraut, auch wenn mir nicht die Ehre zuteil gekommen war Mitglied seines Hofstaats zu sein.".

Ein billiger Deal und eine Lüge, dass wussten wir beide. Wem wollte er etwas vormachen, wenn er sogar wusste, wo Gabriel den Schlüssel zu diesem Ort aufbewahrte. Doch es war mir nicht gelegen, diese Situation mehr in die Länge zu ziehen, als unbedingt nötig. Den Kopf neigend ging ich zu der Sitzgruppe und setzte mich in einen der Sessel, was Professor Martins dazu zwang, sich auf die Chaiselongue niederzulassen. Professor Martins war groß und er besaß nicht Ethans, oder Gabriels, natürliche Eleganz, was ihn seltsam deplatziert aussehen ließ. Alistairs Person schoss mir kurz durch den Kopf und beinahe hätte ich angefangen zu lachen. Ihn auf dem zerbrechlich, antiken Schmuckstück zu sehen wäre so, als würde man einem Schwan Kampfbemalungen aufmalen.

Schachmatt - Das Endspiel (#4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt