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Mia 

„Wie würde sich dein perfekter Abschied anhören, ma petit fille?"

„Der Kaffee schmeckt scheußlich", sagte Jaswinda leise und drehte ihren Pappbecher hin und her. Ich blickte von meinem eigenen auf und sah sie aus müden Augen an.

Von oben bis unten bedeckt in Ruß und Asche, menschlicher, wie herkömmlicher, hatten Jaswinda und ich uns in einer vierundzwanzig Stunden Tankstelle wiedergefunden, weit weg von jeglicher richtiger Zivilisation. Die Einzige in der Nähe liegende Siedlung war bis auf den letzten Bewohner niedergebrannt.

Nun ja, fast.

„Er ist ok", erwiderte ich und nippte an dem schwarzen Gebräu, welches uns der Besitzer vor einer halben Stunde auf den wackeligen Klapptisch geknallt hatte. Er wirkte nervös. Es mochte an dem langsam verblassenden Rauch liegen, den man von hier aus gut am Horizont sehen konnte. Oder, und daran hielt ich eher, es lag an dem Anrufer, der ihn plötzlich ganz weiß hatte werden lassen.

„Kaffee sollte ein Genuss sein", hielt Jaswinda dagegen und starrte stur in ihren Becher. „Der Kaffee von meiner Mutter war immer köstlich gewesen."

Ich lehnte mich in meinem quietschendem Stuhl zurück und sah hinaus. Die Ladenfront war mit einer Schicht Schmutz und Staub überzogen, doch man hatte immer noch eine gute Sicht auf das Geschehen außerhalb.

„Wie hieß sie?", fragte ich leise und beobachtete die schwarzen Punkte in der Ferne, die von Sekunde zu Sekunde größer wurden. „Sie hieß Nael. Nach meiner Urgroßmutter." Sie trank einen Schluck und verzog angesichts des bitteren Geschmackes sofort das Gesicht.

Sie setzte den nicht ganz dichten Pappbecher ab und schob ihn mit einer Endgültigkeit von sich, die mich an ein Kind erinnerte, welches sich weigerte, sein Gemüse zu essen. Ich fragte mich, ob Jaswinda ein solches Kind gewesen war. Ich fragte mich bei ihrem leeren Blick und der abgeschotteten Ausstrahlung um sie herum, ob überhaupt Erinnerungen wie auf Bäume klettern oder Keksteig naschen bei ihr existierten.

„Cloè", sagte ich unvermittelt.

„Wie bitte?"

Ich stand auf, ging die zwei Schritte zum kleinen Abfalleimer und warf die aufgeweichte Pappe, zusammen mit einem kleinen Notizzettel, den ich unauffällig in dem Rest schwarzer Flüssigkeit ertränkt hatte, weg.

„Meine Mutter. Sie hieß Cloè", wiederholte ich. Cloè, die Frau mit dem Mona Lisa Lächeln. Jaswinda schwieg und ich fragte mich kurz, ob ich ihr in ganzen Chaos der letzten Wochen schon einmal den Namen meiner Nutzer verraten hatte. Doch ich konnte mich nicht erinnern, was einiges hieß.

Ich vergrub Cloè normalerweise tief in meinem Bewusstsein und ließ sie nur dann an die Oberfläche meiner Gedanken zurück, wenn ich die Orientierung verlor. Die Außenwelt hatte lange nichts mehr mit ihr zu tun gehabt.

Jaswinda mochte mein Vertrauen verloren haben, doch Cloè hätte sie wahrscheinlich gemocht. Sie stand noch, nach dem, was auch immer sie durchgestanden haben mochte. Sie versuchte zu leben, so gut es ihr eben gelang. Und sie war eine Frau, die nicht tatenlos zusah, wie der Anschlag auf mein Leben bewies, auch wenn ich den genauen Zweck dahinter noch nicht durchblickt hatte.

Ja, Mamman hätte sie gemocht. Sie war ähnlich gebrochen und wieder aufgerichtet worden. Mamman hätte sie in den Arm genommen und ihr gut zugeredet und sie hätte ihr geraten, die Monster in ihrem Leben irgendwo in den hintersten Winkel ihres Verstandes zu schieben.

Bei dem letzten Gedanken sackten meine Mundwinkel kurz nach unten.

„Ihr habt bisher nie über eure Eltern gesprochen, My Lady."
„Ich habe nie die Notwendigkeit darin gesehen."
„Und jetzt tut ihr es?"
Meine Finger fingen mit meinem Ehering an zu spielen. „Nein", sagte ich, während ich den dunklen Diamanten taxierte. „Ich habe gesagt, weil ich es wollte."
Und das entsprach der Wahrheit. Wenn es nach der Notwendigkeit ging, würde ich nie etwas von mir geben.

„Warum?"
Als Antwort sah ich sie lediglich stumm an. Jaswinda senkte den Kopf unter meinem Blick. „Ich brauche kein Mitleid", flüsterte sie.
„Glaube mir", sagte ich kalt, „mein Mitleid gilt nicht dir."

„Sie sind fast da", erklang plötzlich eine Stimme in meinem Kopf und gab mir einen guten Grund, meine Aufmerksamkeit weg von den Schreien zu lenken, die sich in meine Erinnerungen eingebrannt hatten.
„Solltest du nicht schon in Dubai sein?", gab ich streng zurück und trat an die Verkaufszeile, um mir einen Schokoladenriegel zu nehmen.

Stille war meine Antwort und Hades Anwesenheit verschwand.

Ich packte den Riegel aus und biss in die harte Oberfläche. Doch kaum hatte ich diese durchbrochen, versanken meine Zähne in weiches Karamell, welches meinen Heißhunger auf Zucker zumindest ein wenig löschte.

„Sie müssen den bezahlen", krächzte eine Stimme und ich sah kauend zu dem Ladenbesitzer auf. Ich schluckte, legte den halb aufgegessenen Riegel ab und hielt beide Hände hoch. „Ich habe kein Geld bei mir."

Das zerknitterte Gesicht des Ladenbesitzers verdüsterte sich. „Und der Kaffee?", fauchte er. Ich blinzelte und hätte beinahe über mich gelacht. Es lag schon eine Weile zurück, dass ich für etwas habe bezahlen müssen und wenn man aufhörte sich darüber Gedanken zu machen, wie man zu all den Juwelen, dem Gold und den prachtvollen Kleidern kam, rückte Alltägliches wie Kaffee oder ein Riegel erst recht in den Hintergrund.

„Ich sollte mir das Abgewöhnen", murmelte ich.
„Mein Gel-"
Der Ladenbesitzer verstummte abrupt, als ich die schmale Haarspange vor ihm ablegte, welche ich mir beim verlassen des Anwesens noch Hastig ins Haar gesteckt hatte, um einige, aberwitzige Strähnen aus dem Gesicht zu fischen.

Der Ladenbesitzer sah ein paar Mal von der goldenen Spange und dem kleinen Smaragd an dessen Spitze, zu mir, bis er sie schließlich nahm und einsteckte. Er wollte sich bereits umdrehen, als ich mit zwei Fingern auf die Oberfläche der Verkaufszeile klopfte. „Mein Wechselgeld", sagte ich freundlich.

Ich nutzte die Sprachlosigkeit des Mannes, nahm meinen Riegel und biss ein weiteres Mal hinein. Hinter mir knarrte ein Stuhl. „My Lady", sagte Jaswinda, in ihrer Stimme das erste Mal ein leichter Anflug von Emotionen. 
Ich nahm noch einen Bissen von dem Riegel, genoss den schweren Karamell Geschmack in meinem Mund und taxierte den Ladenbesitzer mit meinen Augen. Dieser erwiderte meinen Blick erst, bis seine Augen auf etwas an mir vorbei fielen.

Schnurrende Motorgeräusche und scharfe Bremsen füllten die Stille, die sich seit dem Feuer über die ganze Gegend gelegt hatte. Meine Hand ballte sich zur kurz zur Faust. Ich entspannte sie augenblicklich und schob mir den Rest des Riegels auf einmal in den Mund.

Ich kaute, bis sich der Brocken in meinem Mund zerkleinert genug zum Schlucken anfühlte. Anschließend beugte ich mich über den Tresen zum Ladenbesitzer vor. „Behalten sie das Wechselgeld, doch nutzen sie es weise. Es gibt viele Menschen in der Umgebung, die Unterstützung gebrauchen könnten. Menschen wie die Bewohner aus dem Dorf, die sie zu ignorieren beschlossen haben." Obwohl beim letzten Satz Wut in mir aufwallte, hielt ich meine Stimme neutral und lehnte ich mich entspannt wieder zurück. Es reichte mir, das Zittern in den Armen und Beinen des Ladenbesitzers zu sehen, auch wenn ich wusste, dass es nicht meinetwegen war.

„Alles eine Frage von Zeit", drang Hades Stimme sanft zu mir durch. „Wenn noch nicht einmal mein erster General das tut, was wir besprochen haben, wie kann ich es dann von einem Fremden Mann erwarten", erwiderte ich kalt, was Hades ein leises Lachen entlockte.

Autotüren wurden auf und zugeschlagen und ich wusste, dass meine Schonzeit offiziell abgelaufen war.

Schachmatt - Das Endspiel (#4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt