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Mia

„Fahrt die Trennwand runter", befahl ich, da ich hier hinten keinen Knopf fand, um es selbst zu tun. Ich versuchte nicht die Ungeduld aus meiner Stimme zu halten, was den Fahrer jedoch so nervös werden ließ, dass er sich zappelig hin und her drehte. Jaswinda stieß ein entnervtes Schnauben aus, beugte sich nach vorne, und drückte einen Knopf in nah der Mittelkonsole. Mit einem leisen Surren fuhr die Schalldichte Wand nach oben. Ethan hatte mir mal erzählt, dass er nur Wagen besaß, die Schalldicht, sowie Kugelsicher waren.

Alistair war kein Mann vieler Worte, doch kaum das der Motor den Wagen zum schnurren brachte, öffnete er den Mund.
Und ich hörte zu.

Es geschah bewusst oder unbewusst, doch ich konnte ein leises klicken in meinem Kopf hören, als ich meinen Key-Schlüssel für jeden „Anruf" außerhalb abstellte. 
Konzentration war ein komplexes Konzept, da es nur wenige Menschen gab, die wirklich zu einer 100% Konzentration fähig waren. Doch wann immer es um Ethan ging, schien mein Kopf die Überhand zu übernehmen.

„Ich bin Schotte, My Lady. Und als solcher bin ich stolz auf meine lange Ahnenreihe. Ich war ein Mann, der geglaubt hatte alles zu besitzen was er wollte, bis mir eines Tages ein junger englischer Lord vorgestellt wurde, der alles und noch mehr zu besitzen schien, und doch nach mehr strebte. So viel Mehr..." „Ich hielt es für einen Witz."

Und das zu recht, schoss es mir ungebremst durch den Kopf. Wie konnte jemand mehr wollen, wenn er alles denken mögliche besaß?Woher war dieser Drang in Ethan entstanden, die Welt besitzen zu wollen. Als Kind kann es ihm, Materiell gesehen, an nichts gemangelt haben.

„Ich empfand es als komisch, da es dem Jungen Lord an nichts zu mangeln schien", sprach Alistair das aus, was ich dachte. „Ich sah den Jungen Lord nicht wieder. Nicht nach dem einem mal an meinem Geburtstag. Aber ich hörte von seinen Taten, My Lady. Ich hatte mich geirrt."

Ich wartete, wollte mehr von diesen Taten hören, und durfte kurz hoffen, bevor Alistair seinen kurzen ehrlichen Moment unter einer einzigen Frage begrub.

„Warum wollt ihr zurück zur Schule?"

Ich lächelte. Ich konnte gar nichts dafür, es brach einfach aus mir heraus. Entweder das, oder ein wütender, leicht manisch ausfallender Schrei. Alistair hatte mir gerade genug Brotkrumen hingeworfen, dass ich der Spur folgte, sie für einen Weg hielt, der mich wohin führen könnte. Nur um festzustellen, dass sie mittendrin aufhörte, in dem Wissen, dass es vermutlich nicht mehr weit war, ich ohne zusätzliche Krummen jedoch nicht wusste, in welche Richtung ich jetzt weiter gehen sollte.

Mein Kopf drehte sich und als dann auch noch ein Bild von Ethan und mir als Hensel und Gretel in meinem Kopf auftauchte, glaubte ich, dass der manische Schrei sich doch noch an die Oberfläche gekämpft hatte.

„Um meinem Abschluss zu machen", hörte ich mich wie aus weiter Ferne sagen und atmete innerlich erleichtert auf, dass mein Über-Ich wohl auf Autopilot geschaltet hatte. „Um in der Lage zu sein und die Chance zu haben, auf eigenen Beinen stehen zu können."

Alistairs Gesicht blieb ausdruckslos und sein Schweigen ließ sich ebenfalls nicht wirklich deuten. Doch nach ein paar verstreichenden Minuten, schüttelte er sacht den Kopf. „Seid ihr sicher, dass ihr das machen müsst?", fragte er untypisch leise. Fast schon flehentlich.
Diesmal war mein Lächeln echt. Das merkte ich daran, wie sehr es in mir den Wunsch auslöste, dem brennen hinter meinen Augen nachzugeben. Doch das Brennen meiner Haut im Angesicht des Feuers im Dorf, brannte immer noch um ein Vielfaches heißer.

„Ja."
„Warum heute? Warum nicht erst in einer Woche!"
„Was für einen Unterschied würde es machen, außer, dass ich eine weitere Woche verlieren würde. Ich habe mich entschieden", setzte ich noch achselzuckend hinzu. Es wunderte mich ohnehin, dass Ethan mich bis jetzt noch nicht irgendwo angekettet hatte und dem ganzen zivilisiert gegenüber stand. Alistairs Worten und seinem angespannten Gesichtsausdruck nach, schien das jedoch nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen.

Ein Grund mehr, um so schnell wie möglich von ihm wegzukommen. Der Gedanke tat weh, doch der Schmerz prallte gegen eine steinernen Wand in mir drinnen einfach ab.
„Ich verstehe", murmelte Alistair schließlich und ließ den Kopf sinken.

Ich überlegte eine Weile, ob ich ihn nicht einfach ihm selbst überlassen sollte. Er sah in Gedanken vertieft aus, so, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Doch, mit jeder Meile, die das Auto zurücklegte, verlor ich meine Chance, mehr von den Brotkrummen zu bekommen, nach denen ich, ohne es zu wissen, von Tag eins süchtig gewesen bin.

„Was waren es für Taten?", fragte ich schließlich leise, ohne Alistair dabei anzugucken. Mein Blick war aus dem Fenster gerichtet, sah der Stadt dabei zu, wie sie geschäftig ihrem Alltag nachging und dabei ahnungslos an uns vorbeizog.

Sei es an meinem plötzlich unsicheren Ton, Alistairs eigner Nachdenklichkeit oder meiner vorherigen direkten, zumindest ansatzweise, Ehrlichkeit, begann der Schotte tatsächlich von Ethan Lockheart als junger Teenager zu erzählen.

„Ich traf my Lord das erste Mal mit Zehn und lief ihm das nächste Mal erst Drei Jahre später erneut über den Weg. Doch bereits ein Jahr nach unserem Treffen hörte ich, wie er die Schach Weltmeisterschaft gewonnen hat, nur um am selben Tag festzustellen, dass jegliche Nachrichte um seinen Sieg wie von Zauberhand verschwunden sind. Dafür hörte man eine Woche später, dass sein einziger Onkel Tod aufgefunden worden war. Er war ein Medien Mogul. Er leitete Bekanntheiten wie die Sun, die Times, und Teile von BBC."

Er musste nicht explizit sagen, was besagten Onkel vermutlich zugestoßen war. „Warum?", fragte ich lediglich, weil ich mir den Sinn dahinter nicht erschließen konnte. Warum dann erst als Schachweltmeister in den Fokus der Medien geraten. Doch Alistair zuckte nur die Schultern, was so viel hieß wie 'Ethan Lockhearts Wege sind unergründlich'.

„Wenig später", fuhr er nach einer kurzen Verdauungspause fort, „wurde berichtet, diesmal nur in privaten Kreisen, dass Ethan alleine für die Regelung eines Friedensvertrags zuständig war, für einen Drogenkrieg in Kuba, welcher schon sein Generationen angehalten hatte. Darüber hatte er gesprochen, weist du. Die Erwachsenen hatten an meinem Geburtstag darüber geredet..." Alistairs Stimme stockte, bis sie an einer völlig anderen Stelle der Geschichte erneut ansetzte, „Und wieder ein Jahr darauf, wurde plötzlich verkündet, dass Lady Lockheart Senior krank geworden ist. Schwer krank. Sie wurde einer Privatklinik übergeben und die ganzen Medien zerrissen sich das Maul darüber."

Mein Kopf zuckte hoch, zurück ins Innere des Wagens. Wenn Ethan (oder sein Vater?) jetzt in der Kontrolle der Medien war, was offensichtlich erschien, weshalb sollte er dann zulassen, dass man offen über die Probleme seiner Mutter sprach?

„Ein Einhalb Jahr später hieß es sie sei Tod. Ohne das irgendjemand sie je wieder zu Gesicht bekommen hätte. Doch mit ihrem Tod geschah noch etwas. Der Terroristen Anführer in einem der zerfressendsten Krisengebiete der Welt, so wie die Leiterin einer der Schlimmsten Menschen Schmuggler Ringe der Welt, Jahrelang unauffindbar, starben am selben Tag wie Lady Lockheart Senior."

Schachmatt - Das Endspiel (#4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt